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Künstliche Befruchtung: Erstes deutsches Retortenbaby wird 25

Anders als Louise Brown, das erste Retortenbaby der Welt aus England, meidet Deutschlands erster durch künstliche Befruchtung gezeugter Mensch bis heute die Öffentlichkeit. Damals war Oliver W. eine Sensation.

München - Viel ist von ihm nicht bekannt. Dass der im oberfränkischen Langensendelbach aufgewachsene Oliver W. sich zum stattlichen Mann entwickelt hat, dies berichten Bekannte. Als Beruf hat er Installateur gelernt. Am Montag wird W. nun 25 Jahre alt. Er kann dann auch darauf anstoßen, als erfolgreicher Praxistest einer medizinischen Kunst die Türen geöffnet zu haben, die hierzulande inzwischen fast 100.000 Menschenleben ermöglichte. Allerdings hat die Gesundheitsreform der so genannten In-Vitro-Fertilisation (IVF) inzwischen schwer zugesetzt.

Als Oliver W. am 16. April um 14:49 Uhr in der Frauenklinik in Erlangen per Kaiserschnitt auf die Welt kam, klangen nicht nur auf der Entbindungsstation die Sektgläser. 53 Zentimeter groß und 4150 Gramm schwer war die damalige Sensation, die der Frauenarzt Siegfried Trotnow ermöglicht hatte.

Der 2005 verstorbene Reproduktionsmediziner hatte im Sommer 1978 von seiner Klinik den Auftrag erhalten, das nachzumachen, was kurz vorher in Großbritannien mit der Geburt von Louise Brown vorgemacht worden war. Trotnow und sein kleines Team arbeiteten gegen erhebliche Widerstände. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft zahlte keinen Pfennig. Und selbst in der Erlanger Frauenklinik wurden Trotnow und seine Leute von einigen Kollegen für verrückt erklärt. Aber 1981 schafften die Ärzte den Durchbruch. In einer Petrischale verschmolzen Eizelle und Spermium. Nach zwölf erfolglosen Versuchen bei anderen Frauen gelang dann bei Olivers Mutter der Transfer des befruchteten Eis: Die erste deutsche In-Vitro-Fertilisation war geglückt.

Morddrohungen nach der Geburt

All dies geschah verborgen im Labor, die deutsche Öffentlichkeit wurde bewusst im Unklaren gelassen. "Da wird selbst die katholische Kirche weich, wenn sie die Kinder taufen muss," lautete das Motto der Forscher, wie Trotnow später erzählte. Als Oliver dann zur Welt kam, brach aber trotzdem ein Sturm der Entrüstung los. "Feministinnen haben uns das Haus eingerannt, und auch der Vatikan war dagegen", sagte Trotnow. Besonders radikale Gegner sprachen sogar Morddrohungen aus.

Doch so heftig die Reaktion mancher Gegner ausfiel, so euphorisch reagierten ungewollt kinderlose Paare. In ganz Deutschland entstanden Zentren für Reproduktionsmedizin: 1986 waren es schon 28, bis 1996 stieg die Zahl auf 66, heute gibt es 117. Das Interesse von Paaren an der künstlichen Befruchtung nahm über die Jahre zu, der Höhepunkt wurde mit knapp 106.000 Behandlungen im Jahr 2003 erreicht. Darunter sind allerdings auch andere Methoden neben der IVF, die derzeit nur noch etwa ein Viertel der Behandlungen ausmacht.

Weniger Retortenbabys nach der Gesundheitsreform

Mittlerweile hat sich die Zahl der künstlichen Befruchtungen allerdings wieder stark verringert. Vor allem die Gesundheitsreform von 2003 sorgte für einen Einbruch. Seitdem müssen Eltern die Hälfte der Behandlungskosten selbst zahlen. Pro Zyklus macht dies mindestens 1500 Euro Eigenanteil aus, die Kassen müssen außerdem höchstens bei drei Behandlungen zahlen. Da trotz aller technischer Fortschritte für die künstliche Befruchung weiterhin meist mehrere Versuche gebraucht werden, kann die Behandlung für viele unbezahlbar werden. In 2005 gab es in Deutschland deshalb nur noch 11.089 IVF-Behandlungen, aus denen 1559 Kinder hervorgingen. Im Jahr vor der Reform waren es noch 5741 Geburten.

Bei den Erlanger Pionieren der Reagenzglas-Kinder ist die einstige Aufbruchstimmung längst neuen wissenschaftlichen Zielen gewichen. Die Forschung konzentriere sich jetzt darauf, jungen krebskranken Frauen eine Perspektive mit eigenen Kinder zu eröffnen, berichtet Klinikdirektor Matthias Beckmann. Bei diesen Frauen seien durch die Krebsmedikamente häufig die Eierstöcke beschädigt. Die Erlanger arbeiten deshalb an Methoden, die es solchen Frauen ermöglichen sollen, nach Abschluss ihrer Krebstherapie noch Kinder zu bekommen. (Von Ralf Isermann, AFP)

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