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Belgische Modernität soll die künstlerische Baum-Adaption vermitteln.

©  Ziedler

Kunst: Fast ein Weihnachtsbaum

Statt Fichte oder Tanne steht auf einem der schönsten Plätze Europas ein Kunstobjekt. Brüsseler protestieren.

Die Quader türmen sich auf eine Höhe von gut 20 Metern. Sie bieten weiße Projektionsflächen an den Seiten, auf die Videos geworfen werden sollen. Der belgische Energieversorger Electrabel stellt das Objekt in den Mittelpunkt seiner Lichtshow, die Jahr für Jahr am Brüsseler Grand Place im Weihnachtsmonat aufgeführt wird. Unten sind viele Würfel aneinandergereiht, nach oben hin werden es weniger – die abstrakte Form eines Baumes ist durchaus erkennbar. Und all das wäre wahrscheinlich kaum der Rede wert, wenn dieses Kunstobjekt nicht den traditionellen Weihnachtsbaum in Belgiens Hauptstadt ersetzen würde.

Seit die Stadtverwaltung vor gut zwei Wochen ihre Pläne für den diesjährigen Weihnachtsmarkt öffentlich gemacht hat, ebbt der Protest nicht ab. Das Thema füllt die Leserbriefspalten der belgischen Zeitungen. Bereits 12 000 Unterzeichner kann auch eine Online-Petition verbuchen, die zur Rückkehr zu echtem Holz und echten Nadeln auffordert. Und die Facebook-Seite mit dem Namen „Sauvons le sapin de Bruxelles“, die zur Rettung des Brüsseler Weihnachtsbaumes aufruft, gefällt gut 4000 Nutzern.

Im Internet hat die Geschichte freilich schon längst ein kulturkämpferisches Eigenleben entwickelt. Ausgangspunkt war die Kritik der Stadträtin Bianca Debaets von den flämischen Christdemokraten, die bedauerte, dass immer mehr christliche Symbole aus dem katholisch geprägten Brüssel verschwänden. Erst sei der Weihnachtsmarkt in „Plaisirs d’hiver“ umbenannt worden, was mit „Wintervergnügen“ übersetzt werden könnte. Nun, so Debaets, verschwänden die Weihnachtskrippe und der Baum, der – wiewohl ursprünglich kein christliches Motiv – dennoch aufs Engste mit dem Fest der Feste verbunden sei.

Aus diesem Rückzug des Christentums aus dem öffentlichen Leben machten interessierte Kreise einen erzwungenen Rückzug. Auf unzähligen Webseiten findet sich nun die Lesart, die Brüsseler Stadtverwaltung habe nach Protesten muslimischer Bürger auf den Christbaum verzichtet, weil dieser ihr religiöses Empfinden beleidige.

„Das ist absoluter Unfug“, sagt Philippe Close vom Brüsseler Tourismusbüro, das den Weihnachtsmarkt mit jährlich rund 1,5 Millionen Besuchern organisiert: „Wir wollten dieses Jahr unsere Kultur und Modernität betonen und haben Künstler gefragt, ob sie den Weihnachtsbaum für uns neu erfinden könnten.“ Im Übrigen, so der Vertreter der Stadtverwaltung, könne von einem Rückzug der weihnachtlichen Symbolik aus der Innenstadt keine Rede sein; auf dem Grand Place stehe auch weiterhin die Krippe mit lebenden Tieren, umgeben von zahlreichen kleineren Weihnachtsbäumen mit Nadeln und aus Holz. Diese Rechtfertigung für das bunte Leuchtspektakel lässt Edgar Brodel nicht gelten. „Das Christentum wird dem Kapitalismus geopfert“, schreibt er als Reaktion auf eine der vielen Medienbeiträge im Netz, „armes Belgien.“

Unabhängig davon, wo man in der Frage Baum oder Kunst steht, einen Vorteil hat die Licht- und Toninstallation. Sie ist innen hohl und beherbergt eine Treppe, die auf eine Aussichtsplattform führt, von der aus der Besucher einen fantastischen Blick auf die gotische Fassade des Rathauses und die anderen Prachtbauten hat, die einen der schönsten Plätze Europas bilden. Hinaufzusteigen kostet vier Euro, der Erlös geht an das Obdachlosenhilfswerk Samu, was in gewisser Weise mehr zum Christfest passt, als einen Baum aufzustellen.

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