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Die Deutschen und die Schweiz, eine Hassliebe.

© dpa

Kurze Liebe: Immer mehr Deutsche verlassen die Schweiz

Die deutschen Fachkräfte, die in der Schweiz arbeiten, sind die latenten Anfeindungen leid und werden von der deutschen Wirtschaft mit großem Aufwand als Rückkehrer umworben. Jetzt wundert sich die Schweiz und muss gucken, wo sie bleibt.

Einen typischeren Zürcher Ort gibt es kaum. Das Zunfthaus zur Meisen, ein Palais an der Limmat, wo das Zürcher Bürgertum speist, heiratet, feiert. So auch gestern. Nur, dass diesmal ein „bayerischer Abend“ stattfand, mit Bier und Weißwurst. Die Gastgeber: Leute vom bayerischen Wirtschaftsministerium. Die Gäste: Deutsche, die in der Schweiz sind. Besser gesagt: Deutsche, die nicht länger in der Schweiz sein wollen. Die sollen zurückgeholt werden. Dafür hat man in Bayern die Initiative „Return to Bavaria“ gegründet, die überall auf der Welt Ausschau nach rückkehrwilligen Fachkräften hält. Deutsche Wissenschaftsstiftungen bieten deutschen Professoren in der Schweiz bis zu 100 000 Euro, wenn sie an einen deutschen Lehrstuhl zurückkehren, vermeldet entsetzt die „Neue Zürcher Zeitung“.

Deutsche in der Schweiz haben sich nicht immer korrekt verhalten

Für die Schweizer kommt das ungewohnt. Rund 280 000 Deutsche leben in der Schweiz. Die Deutschen kamen als Ärzte, Ingenieure, Universitätsprofessoren, das passte nicht jedem. Allein die letzte Kampagne der Stadt Zürich, Fachstelle für Integration. Ein Plakat richtete sich explizit an die Zugezogenen aus Deutschland. Darauf ein Mann mit schweinsrosa Gesicht und blondem Kevin-Kurányi-Bart, der verschlagen zwinkert. Darunter stand: „Sag doch statt ‚Ich krieg dann mal' lieber ‚Bitte könnte ich vielleicht?'“ Und dann der Slogan der Integrationskampagne: „Lerne unsere Umgangsformen.“

Viele Schweizer mögen Deutsche nicht

Vielleicht gibt es bald einen anderen Spruch, so etwas wie „Bleibt doch noch ein bitzeli“. Denn der Zustrom aus Deutschland reißt ab. Wanderten 2008 noch 46 000 Deutsche ein, waren es im vergangenen Jahr 27 000. Gleichzeitig verließen 2012 aber 16 500 Deutsche das Land aber wieder. Einer von ihnen ist Christoph Plate. Plate war zehn Jahre Auslandsredakteur bei der „Neuen Zürcher Zeitung“, jetzt ist er zurück in Ravensburg. In einem Artikel schreibt er, was ihn dazu bewogen hat. Unter anderem „die geistige Enge, die vielen Vorschriften, den latenten Antisemitismus, die Ausländerfeindlichkeit, die völlige Abwesenheit von Selbstironie“. Von den Schweizer Preisen, für Essen, Kinderbetreuung oder eine ganz normale Bratwurst, ganz abgesehen.

Die Deutschen werden in der Schweiz nur schwer heimisch

Er sei nie heimisch geworden, was daran liege, dass die Atmosphäre im Land engstirnig und feindselig sei. „Wir haben erst später verstanden, dass die Weltoffenheit der Schweiz ein Werbegag von Schweiz Tourismus und Swatch war“, schreibt Plate. Sein Artikel trägt den Titel: „Nichts wie weg.“ Den Schweizern kommt das gar nicht so gelegen. Zwar schimpft man gerne auf die Deutschen, wirft ihnen vor, dass sie die Mieten hochtreiben, den Schweizern die Jobs wegnehmen würden. Berühmt wurde die SVP-Nationalrätin Nathalie Rickli, die einmal sagte: „Es hätt zviil Tüütschi.“

Und als die Schweiz dieses Jahr die Ventilklausel in Kraft setzte, also die Zuwanderung aus EU-Ländern beschränkte, richtete sich das auch gegen Deutschland. Doch die Kehrseite der Abwanderung ist, dass die Deutschen in der Schweiz gesuchte Fachkräfte sind, dazu gut integriert, auch wenn sie manchmal Worte und eine Tonlage wählen, die die Schweizer nicht mögen. Die Schweizer Wirtschaft fürchtet jetzt um die gut ausgebildeten Arbeitskräfte aus Deutschland.

Jetzt wundern sich die Schweizer plötzlich

In Schweizer Krankenhäusern sind derzeit 40 Prozent der Assistenz- und Oberarztstellen durch deutsche Mediziner besetzt, das Schweizer Gesundheitswesen ist auf die Deutschen angewiesen. Vom Mangel bei den Hausärzten ganz zu schweigen, den können nicht mal die Zugezogenen abfangen. Schon jetzt weisen Politiker daraufhin, dass der Schweiz ein Fachkräftemangel drohen könnte. Und selbst die Boulevardzeitung „Blick“, normalerweise nie um einen deutschenfeindlichen Kommentar verlegen, fragt ganz plötzlich bange: „Haben sie die Schnauze voll von uns?“

In der Schweiz fehlen mehr denn je Fachkräfte

Die Großbank Credit Suisse sieht schon den Schweizer Immobilienmarkt gefährdet. Es gebe „gewisse Absatzprobleme“, vor allem im gehobenen Segment. Denn die Leute, die jetzt in die Schweiz einwandern, kommen aus Portugal, Italien und Spanien. 2012 arbeiteten erstmals mehr Einwanderer aus diesen Ländern bei Finanzdienstleistern, IT-Firmen oder Beratungsfirmen als in den üblichen Branchen, wie Handel, Tourismus und Reparatur. Und die wohnen laut Credit Suisse lieber „bei Freunden oder im günstigen Altbau“. Verena Mayer

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