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Panorama: Leere im Blick

Jeder kannte die Skyline von New York. Jetzt fehlen zwei Türme – und die Lichter in der Nacht

Von Stephan Lebert

Es gehört zu den ewig wiederkehrenden Wahrheiten des Lebens, dass man nie weiß, wann einen Empfindungen so richtig packen. Man steht am Ground Zero, jetzt, ein Jahr danach, und fühlt – eigentlich gar nichts. Dabei müsste man eigentlich: Es gibt diese lange Wand mit Fotos, Briefen, Karten, Stofftieren, mit denen verzweifelt Trauernde an ihre hier verstorbenen Angehörigen erinnern. Da ist dieses leere Feld, wo einst die Türme standen, sieht ein bisschen wie eine große Baustelle aus, nur ein paar leicht schwarz angekohlte Hochhäuser drumherum erzählen diese andere Geschichte. Man müsste was fühlen, aber es ist nicht so.

Die Schriftstellerin Siri Hustvedt sitzt im Wohnzimmer ihrer Villa in Brooklyn und erinnert sich an ihre Bilder vom 11. September. Sie sei gerade dabei gewesen einen schwierigen Brief an einen krebskranken Freund zu schreiben, als ihr Mann Paul (Anmerkung der Redaktion: Paul Auster, auch Schriftsteller) ziemlich aufgeregt rief, sie solle doch schnell hier ans Fenster kommen. Das gehe jetzt nicht, antwortete sie, sie sei doch beim Schreiben. Doch, doch, rief Auster, komm, komm schnell. Sie standen dann zusammen im Zimmer ihrer Tochter, von dort hat, hatte man einen direkten Blick auf das World Trade Center. In diesem Moment brannte bereits der erste Turm, das zweite Flugzeug war noch auf dem Weg.

Siri Hustvedt erinnert sich, wie sie dann unten den Fernseher anmachten und den Einschlag des zweiten Flugzeugs sahen. Sie sagt, die beiden Bilder hätten bei ihr völlig verschiedene Reaktionen ausgelöst, „der Blick aus dem Fenster hat mich umgehauen, im Fernsehen hingegen haben mich die Aufnahmen eher kalt gelassen. Die Fernsehbilder waren für mich irgendwie unwirklich, wie Kino“.

Sie sagt auch, dass es bei ihrer Schwester genau anders war: „Sie war ganz nahe am World Trade Center, hat sozusagen alles live miterlebt. Meine Schwester war in diesem Inferno ziemlich cool gewesen, die ganze Zeit. Erst als sie nach Hause kam und die ewigen Wiederholungen der Schreckensbilder im Fernsehen sah, brach sie zusammen.“

Was ist das Bild, das einen ein Jahr danach am härtesten an den 11. September erinnert? Man steht nachts auf der Brooklyn Bridge und hat die berühmte Aussicht auf die Skyline von Manhattan vor sich, samt all den Assoziationen, die man früher bei diesem Anblick immer hatte: ein bisschen Woody Allen, viel Freiheitsstatue und ein wenig die Vorstellung, jetzt befinde ich mich im Mittelpunkt der Weltzivilisation. Aber diese Assoziationen haben keine Kraft mehr, weil es eben eine neue, schreckliche gibt. Ein paar Lichter sind eben nicht mehr da. Wie singt Herbert Grönemeyer in seinem neuen Lied „Mensch“? Du fehlst. Die New York Times brachte neulich ein großes Foto vom nächtlichen Empire State Building, mit der Überschrift: „Du stehst wenigstens noch, kleiner Kumpel.“

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