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Marco Antalya

© dpa

Marco W.: Insasse Nummer 31

Die Haftanstalt im türkischen Antalya ist hoffnungslos überfüllt - aber Marco W. hat offenbar noch Glück mit seiner Zelle.

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Moderner Strafvollzug sieht anders aus, aber ein finsterer Kerker auch: Das Gefängnis der südtürkischen Urlauberstadt Antalya, in dem der Uelzener Schüler Marco W. seit mehr als zwei Monaten in Untersuchungshaft sitzt, ist besser als sein Ruf. „Die Stimmung unter den Häftlingen ist sehr gut“, sagt Ex-Insasse Mehmet (Name geändert), der in den vergangenen Jahren wegen Bagatelldelikten in Antalya einsaß und dem Tagesspiegel am Mittwoch das Leben im Knast beschrieb. Als freundliches Gedränge schilderte Mehmet den Alltag hinter Gittern in Antalya: Bis zu 120 Häftlinge leben zusammen in einem Schlafsaal – da hat Marco mit seinen 30 Mitinsassen noch Glück gehabt.

Die Haftbedingungen für den 17-jährigen Marco aus Niedersachsen mit der Unterbringung in einem Schlafsaal und unzureichenden sanitären Einrichtungen hatten in den vergangenen Tagen in Deutschland für Empörung gesorgt. Wenn man Mehmet und auch Marco selbst glauben kann, haben sich die Häftlinge in Antalya allerdings an die unangenehmen Umstände der Haft gewöhnt. Marco sagte in einem Zeitungsinterview, er werde gut behandelt und habe genug zu essen.

Völlig problemfrei ist das Häftlingsleben in der Südtürkei aber dann doch nicht. Die Haftanstalt in Antalya zählt zu den ältesten Gefängnissen des Landes. Zudem ist die Anstalt hoffnungslos überfüllt. Obwohl das Gefängnis für 500 Sträflinge ausgelegt ist, sitzen derzeit über 1500 Gefangene darin ein. Die Insassen könnten nur noch im Schichtbetrieb schlafen, weil die Betten nicht ausreichen, beschwerte sich die Anwaltskammer von Antalya erst kürzlich. Die Haftbedingungen stellten einen Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention und gegen die türkische Verfassung dar.

Etwas besser als den türkischen Gefangenen dürfte es Marco W. und den anderen Europäern in dem Ausländer-Schlafsaal gehen, in dem sie gemeinsam untergebracht sind. Vom Schichtbetrieb in den Betten ist hier keine Rede, auch wenn sie sich eine einzige Dusche und Toilette teilen müssen. Bis vor ein paar Jahren war das der normale Standard in türkischen Haftanstalten, doch seit einer großen Gefängnisreform vor einigen Jahren sind fast überall im Land neue und moderne Anstalten gebaut worden, die es durchaus mit westeuropäischen Standards aufnehmen können und sie teilweise sogar übertreffen. Auch in Antalya soll im kommenden Monat ein neues Gefängnis eröffnet werden, um die alte Anstalt zu entlasten.

Vorerst bleibt Marco W. aber in dem alten Gefängnistrakt. Im Moment gibt es unterschiedliche Darstellungen über die Geschehnisse. Der türkische Anwalt des 13-jährigen britischen Mädchens Charlotte M., die Marco W. sexuell bedrängt haben soll, spricht von versuchter Vergewaltigung. Dagegen hatte Marco W. gesagt, das Mädchen und er hätten den gemeinsamen Wunsch gehabt, miteinander zu schlafen. Noch weiß niemand, welcher Version die Richter in Antalya mehr Glauben schenken werden; der nächste Verhandlungstermin ist für Freitag kommender Woche angesetzt. Marco wird voraussichtlich noch mehrere Monate im Gefängnis von Antalya bleiben – eine Abschiebung nach Deutschland kommt offenbar erst nach einem Urteil in Betracht.

Während der Fall in der Türkei und in Deutschland für Aufregung sorgt, reagiert die englische Öffentlichkeit bis gestern eher zurückhaltend. Noch berichten nur die Korrespondeten aus Berlin. Und im Mittelpunkt stehen dabei die diplomatischen Bemühungen von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sowie die politische Dimension des Falles zwischen Deutschland und der Türkei. Der Ton ist sachlich. Bis gestern gab es noch keine großen Geschichten in den Boulevardblättern, keine Reportagen aus dem Freundeskreis von Charlotte M., keine Geschichten aus ihrer Heimat Manchester.

Selbst auf Internetseiten der großen britischen Zeitungen werden die Vorwürfe an den deutschen Jungen fast gar nicht von Engländern kommentiert. Die Statements kommen aus Deutschland, Spanien und sogar der USA. Nur Sonja Ruff aus York versteht Charlotte M. und ihre Familie nicht. „Warum hat die Familie gleich Anklage erhoben und warum hört man nichts von Charlottes Schwester und einem anderen Mädchen das angeblich mit im Raum war? Das macht die ganze Sache für mich sehr markwürdig“, schreibt sie unter timesonline.co.uk.

Doch die Ruhe könnte täuschen und zur Ruhe vor dem Sturm werden. Denn es ist in England nicht unüblich, dass die in einen Fall verstrickten Personen ihre Versionen exklusiv an Wochenendzeitungen oder Boulevardblätter verkaufen. Und spätestens dann dürfte auch in England mehr Aufregung über den Fall herrschen.

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