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Marco W.: Schlecht beraten

Ohne Absprache mit seinen Anwälten veröffentlicht Marco ein Buch, in dem er sich zur Anklage äußert. Dabei zeigt sich das türkische Gericht schon jetzt dünnhäutig.

Mehmet Iplikcioglu hielt sich zurück. „Überrascht“ sei er gewesen, als er von dem geplanten Buch seines deutschen Mandanten Marco Weiss erfahren habe, sagte der Istanbuler Anwalt am Donnerstag. Doch es war dem Strafverteidiger anzuhören, dass es mehr als nur Überraschung war, die ihn bewegte. Denn mit dem Buch könnte sich Marco neue Probleme mit der türkischen Justiz einbrocken. „Wenn er uns etwas gesagt hätte, hätten wir ihm Ratschläge geben können“, sagte Iplikcioglu. Aber Marco sagte offenbar niemandem etwas. Sein deutscher Anwalt Matthias Waldraff reagierte „entsetzt“ auf die Buchankündigung und legte aus Protest sein Mandat nieder. Weil das Buch während des noch laufenden Verfahrens vor dem Schwurgericht in Antalya erscheine, sehe er keine Möglichkeit mehr, Schaden von Marco abzuwenden, sagte Waldraff der Hannoverschen „Neuen Presse“.

Dass Marco Weiss vor der Urteilsverkündung ein Buch über die Ereignisse veröffentlicht, ohne seine Verteidiger zurate zu ziehen, lässt Zweifel daran aufkommen, ob der 18-Jährige wirklich weiß, was er eigentlich tut.

In dem Buch will Marco über seine schicksalsträchtige Begegung mit der damals 13-jährigen Charlotte M. aus Manchester in einem Hotel in Side bei Antalya und über seine anschließende Haftzeit berichten. In „Bild“ erzählte er am Donnerstag in einem ersten Kapitel über das, was zwischen ihm und Charlotte geschehen sein soll. Glaubt man ihm, dann wurde er als argloser Jüngling von dem Mädchen, das er als eine Art Lolita darstellt, regelrecht verführt. Sex gab es keinen – wegen eines vorzeitigen Samenergusses. Dafür schreibt er über Küssen und Streicheln, was bei einer 13-jährigen ebenfalls strafbar sein kann. Er habe genau gehört, dass sich Charlotte vorher als 15-Jährige ausgegeben habe, schreibt Marco. Und das, obwohl es in der Hoteldisco sehr laut war und er „nicht so der Englisch-Profi“ ist, wie er an anderer Stelle schreibt.

Wer hat ihn da bloß beraten?

Einen Mann in Antalya dürften all diese Einzelheiten ganz besonders interessieren. Ömer Aycan vertritt als gerichtlich bestellter Pflichtanwalt das Mädchen Charlotte, und er ist nach wie vor überzeugt, dass seine Mandantin von Marco sexuell missbraucht wurde. Sollten sich aus dem Buch von Marco neue Erkenntnisse ergeben, werde er diese vor Gericht zur Sprache bringen, sagte Aycan. Dass Marco auf die Idee mit dem Buch gekommen sei, überrasche ihn überhaupt nicht, fügte der Anwalt hinzu. „Die Familie ist schon von Anfang an hinter dem Geld her.“ Aycan und Marcos Familie tauschen bereits seit langem heftige Vorwürfe aus. Wenn Aycan in Marcos Buch neue Hinweise auf eine Schuld sieht, könnte dies das Verfahren noch weiter in die Länge ziehen. Nach der jüngsten Verhandlung am Mittwoch waren alle Prozessbeteiligten eigentlich davon ausgegangen, dass es bei der nächsten Sitzung am 10. April kommenden Jahres ein Urteil geben werde. Doch sollte Aycan beantragen, neue Beweismittel – wie etwa Buchauszüge, in denen Marco sich belastet – in das Verfahren einzubringen, könnte sich der seit Juni 2007 laufende Prozess noch weiter hinziehen.

Anwalt Iplikcioglu warnte Marco zudem davor, in dem Buch etwas zu schreiben, was als Kritik am Gericht in Antalya verstanden werden könnte. Denn dies könnte einen neuen Rechtsstreit wegen der versuchten Einflußnahme auf ein laufendes Verfahren nach sich ziehen – ein solcher Versuch ist in der Türkei strafbar, und türkische Richter sind sehr dünnhäutig in dieser Hinsicht.

Wenn es in dem rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft lancierten Buch, das im „Hamburger Kinderbuch Verlag“ erscheint, nur um die „247 Tage im türkischen Knast" gehen sollte, wie der Untertitel verheißt, wäre das aus Sicht von Iplikcioglu unbedenklich. Sollte sich Marco aber auch über das Gericht äußern, dann ändert sich die Sache. Im für Marco schlechtesten Fall wird ihm dann Beeinflussung der Richter vorgeworfen. Selbst wenn es nicht dazu kommt, weiß niemand, ob der Richter in Antalya sich darüber freut, in einem deutschen Buch aufzutauchen, in dem es laut Verlagsankündigung um „Folter, Schlafentzug und harte Drogen" geht.

Das türkische Gericht hatte in der Vergangenheit schon sehr dünnhäutig auf Forderungen deutscher Politiker reagiert, den Prozess zu beschleunigen. Gleichwohl schien noch vor zwei Tagen alles auf einen Freispruch hinzudeuten.

Und jetzt das. Für Anwalt Iplikcioglu stand am Donnerstag noch nicht fest, wie sich das an diesem Freitag erscheindende Buch auf seine Arbeit als Marco-Verteidiger auswirken wird. Derzeit wolle er nichts sagen, weil er das Buch noch nicht kenne. Sollten sich aber Faktoren ergeben, „die meine Arbeit als Verteidiger schwächen“, dann komme auch für ihn der Rücktritt in Frage.

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