zum Hauptinhalt

Panorama: „Maria“ lockt

Die älteste Glocke der Dresdner Frauenkirche wird heute eingeholt – die Stadt feiert die Weihe mit großem Geläut

Maria wird sich erst heute auf den Weg machen. Maria – das ist die älteste der acht Glocken der Dresdner Frauenkirche. Sie hat, im Gegensatz zu ihren sieben Geschwistern, ein eher geruhsames Wochenende hinter sich. Am ersten Mai waren die sieben neuen Glocken aus Karlsruhe kommend eingetroffen und waren danach in einer Art Prozession durch die Dresdner Innenstadt kutschiert worden. Maria hingegen hing in ihrem hölzernen Glockenstuhl neben der Frauenkirche und läutete zur Begrüßung der Neuen. Ganze vier Tage haben die Dresdner die neuen Frauenkirchenglocken gefeiert. Zu Tausenden waren sie auf den Schlossplatz geströmt, um die golden glänzenden Riesen in Augenschein zu nehmen, mit den Händen zu berühren und am Sonntag, zur Glockenweihe, das erste Mal andeutungsweise den Klang zu vernehmen, die künftige Stimme der wieder aufgebauten Frauenkirche. Dann ging alles sehr schnell. Gestern schon wurden die ersten vier Glocken eingeholt. Heute nun wird Maria folgen.

Maria ist eine Besonderheit. Sie ist nicht nur die älteste und einzig erhalten gebliebene originale Frauenkirchenglocke, sie ist sogar älter als die Frauenkirche überhaupt. Maria wurde bereits 1518 gegossen, mehr als 200 Jahre vor dem Bau der jetzigen Dresdner Frauenkirche, und war damals Teil des Geläuts des Klosters Altzella bei Nossen. Nach der Säkularisierung des Klosters schenkte der sächsische Kurfürst August die Glocke der Frauenkirche. Dort hing sie dann bis 1925. Als die Frauenkirche ein anderes Geläut erhielt, wurde sie von der Landeskirche der Landesanstalt in Hubertusburg übereignet, von dort gelangte sie 1960 in die Kirchgemeinde Dittmannsdorf, kehrte schließlich 1998 zur Frauenkirche zurück und avancierte zur Stimmgeberin. Auf ihren Klang wurden die anderen sieben Glocken, die erst im April diesen Jahres gegossen wurden, abgestimmt. Das mag den Dresdnern jenen kleinlichen Streit erspart haben, der um die klangliche Stimmung der neuen Frauenkirchenorgel monatelang bis zur Erbitterung geführt wurde.

Die Herstellung der neuen Dresdner Frauenkirchenglocken ging nicht ohne Zwischenfälle ab. Nach einem ersten Guss in der traditionsreichen Glockengießerei Albert Bachert in Bad Friedrichshall waren bei sechs der sieben neuen Glocken Fehltöne zu vernehmen, so dass der Guss wiederholt werden musste. Als Ursache wurde der Ornamentschmuck der Glocken ausgemacht. Einzig die große Friedensglocke „Jesaja", 1,6 Tonnen schwer, galt als gelungen. „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen", ist auf der Glocke zu lesen. Das Ornament zeigt die Zerstörung der New Yorker Zwillingstürme und das Datum 11. 9. 2001, des Schreckenstages, an dem der Künstler Christoph Feuerstein mit seiner Arbeit begann.

Mit der Einholung der Glocken hat so etwas wie die „heiße Phase" beim Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche begonnen. Zu Pfingsten, am 7. Juni, wird die Kirche das erste Mal seit 58 Jahren wieder ihre Stimme vernehmen lassen und die Feiertage einläuten. Damit kehrt die Frauenkirche zunächst vor allem akustisch in das Bewusstsein der Dresdner zurück.

Bis die Kirche äußerlich vollständig wieder hergestellt ist und das Kreuz auf die Laterne aufgesetzt wird, soll noch etwa ein Jahr vergehen. Noch etwas länger zieht sich der Innenausbau hin.

Ralf Hübner[Dresden]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false