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Matthies meint: Eine Woche Tod ist mehr als genug

Kenner der ARD-Serie „In aller Freundschaft“ wissen: Die spielt im Krankenhaus, aber ohne Tote. Immer ist jemand in Lebensgefahr, wird blutig operiert, die Anästhesistin jammert „Ich verliere ihn!

Kenner der ARD-Serie „In aller Freundschaft“ wissen: Die spielt im Krankenhaus, aber ohne Tote. Immer ist jemand in Lebensgefahr, wird blutig operiert, die Anästhesistin jammert „Ich verliere ihn!“, und der Chef kommandiert „Weg vom Tisch!“ – und wenig später liegt der eben noch Halbtote glücklich und geläutert im lichtdurchfluteten Einzelzimmer.

In dieser Woche aber ist dort allen Ernstes jemand gestorben. Zack, EKG flach, aus. Könnte irgendetwas besser das Ausmaß des Elends beschreiben, das uns die ARD mit ihrer Themenwoche „Leben mit dem Tod“ bereitet hat? Am gestrigen Freitag ist sie zu Ende gegangen, und es war schlicht zum Haareausraufen. Todesfälle, Schlaganfälle, Organspender, Hospize, Bestatter – ein Gewitter der Volkserziehung bis in die letzte Talkshow, das nur an notorischen ARD-Verächtern vorbeigerauscht ist. Die sitzen nun vermutlich immer noch doof vor ihren Daily Soaps und denken: „Sterben? Ich doch nicht!“

Ein Grundaxiom der Betroffenheitsgesellschaft lautet: Wir setzen uns zu wenig mit dem Tod auseinander. Eine Behauptung, die inzwischen so unantastbar ist wie „Biomöhren sind gesund“ oder „Videospiele machen dumm“. Das Thema ist angeblich „tabubehaftet“ und von „Sprachlosigkeit“ bestimmt. Wie die Gesellschaft zu dieser Erkenntnis gelangt ist, lässt sich nur vermuten: Ein Grund dürfte die Tatsache sein, dass es wegen der Überalterung immer mehr Menschen gibt, die vor und nach jedem ARD-Musikantenstadl nur noch an Krankheit, Sterben und Tod denken. Sie meinen nun, dass sich gefälligst auch die Jüngeren mal mit diesen blöden Gedanken herumschlagen sollten, und zack, ist die Themenwoche fertig.

Als Erfinderin wird übrigens Intendantin Dagmar Reim genannt, von der man weiß, dass sie mit großer Sorgfalt Todesanzeigen sammelt; eine gewisse Befangenheit scheint also vorzuliegen. Wir können nur hoffen, dass die Steckenpferde der anderen ARD-Intendanten etwas heiterer sind, wenn auch sie in die Form der Themenwoche gegossen werden. Wenn nicht: „Depression“ wäre die logische Konsequenz für den November 2013. Extrem tabubehaftet!

Oh ja, wir verdrängen den Tod, mag sein. Warum auch nicht? Es gibt noch vieles andere, was wir verdrängen, ohne dass die ARD den moralischen Zeigefinger hebt. Das Leben, zum Beispiel. Wie wäre es mit einer heiteren, optimistischen Themenwoche? Übers Leben? Aber das hat wahrscheinlich kein Intendant zum Hobby.

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