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Medikamentenmissbrauch: Chemiekeulen für britische Heimkinder

Eine BBC-Doku berichtet über früheren Medikamentenmissbrauch – mit tragischen Spätfolgen für junge Frauen.

Mindestens zehn Frauen, die als Kinder in britischen Kinderheimen mit hohen Dosen von Pharmaka ruhiggestellt wurden, haben Kinder mit Geburtsdefekten zur Welt gebracht. Möglicherweise seien Hunderte ähnlicher Fälle noch unentdeckt, berichtet die BBC am Montagabend in einer Fernsehdokumentation.

„Man kann nichts tun. Wenn die Nadel in den Körper geht, ist es, als würde der ganze Körper dichtmachen“, erinnert sich die heute 41-jährige Teresa Cooper. Als 14-Jährige wurde sie in das Kinderheim Kendall House in der Grafschaft Kent eingeliefert und blieb dort 32 Monate. In dieser Zeit wurden ihr laut BBC mindestens 1248 Mal Betäubungsmittel und Antidepressiva in Mischungen von bis zu elf verschiedenen Medikamenten verabreicht. Alle drei Kinder Teresa Coopers haben Geburtsschäden. Ihr ältester Sohn hat seit der Geburt Atmungsschwierigkeiten. Das zweite Kind ist blind geboren und hat eine Lernbehinderung. Die Tochter Sarah, inzwischen 16, hat eine Hasenscharte und einen zu kleinen Unterkiefer und musste sich Dutzenden von Operationen unterziehen.

„Wir mussten morgens in der Reihe anstehen und unsere Medikamente nehmen“, berichtet Cooper. Sie habe keinerlei psychische Probleme gehabt, aber wegen ihrer Verlegung in das Heim sterben wollen und sich selbst verletzt. „Schmerzen habe ich nie gespürt. Wenn man so betäubt ist, fühlt man nichts. Aber Blut zu sehen, brachte Erleichterung. Ich sah, wie der innere Schmerz herauskommt.“

Argwöhnisch geworden, machte sich Cooper auf die Suche nach ihren damaligen Mitinsassen. Sie fand zehn Mädchen, die ebenfalls Kinder mit Missbildungen wie Gehirntumore und Wasserkopf oder Lernbehinderungen zur Welt gebracht hatten. „Wir waren junge Mädchen. Wir waren in der Pubertät. Ich glaube, diese Drogen haben etwas bei uns verändert.“

Das fragliche Kinderheim Kendall House, ein Institut der englischen Staatskirche Church of England, wurde 1986 geschlossen. Es war bereits 1980 Gegenstand einer TV-Dokumentation, das die Praktiken dort kritisierte. Aber die Sache wurde von den Behörden nie systematisch untersucht. Der inzwischen verstorbene Heimarzt behauptete damals, die Medikamente hätten keine Nebenwirkungen und seien ungefährlich.

„Sogar in den 80er Jahren war die Menge an Drogen, die man diesen Mädchen gab, ungewöhnlich“, sagte der Chef des britischen Pharmazeutenverbandes, Jeffrey Aronson, der BBC. Auch andere Experten glauben, dass der Einsatz der „Chemiekeule“ in Kinderheimen bis in die frühen 80er Jahre verbreitet war. Das hieße, dass Hunderte von Mädchen einem hohen Risiko ausgesetzt sind, Kinder mit Geburtsfehlern zur Welt zu bringen.

Tory-Schatten-Kinderminister Tim Laughton forderte eine umfassende Bestandsaufnahme. „Wir dürfen nicht in Panik verfallen. Aber wir müssen wissen, ob wir über dieses eine Heim und zehn Fälle sprechen oder über viel mehr Fälle in diesem und in anderen Heimen.“ Die Diözese Rochester, in der das frühere Kinderheim liegt, sagte ihre Kooperation zu.

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