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Hektik hinter dem Vorhang. Der Inspizient der Met ruft Sänger und Statisten auf die Bühne.

© Marty Sohl/Metropolitan Opera

Met-Aufführungen für alle: Oper im Kino

Die New Yorker Met erreicht mit ihren Übertragungen weltweit ein Millionenpublikum – auch am Samstag Abend in Berlin. Ein Besuch in den Kulissen.

Hinter der Bühne öffnet sich eine andere Welt. Marcelo Alvarez, der König Gustav in Verdis „Maskenball“ singt, verlangt nach Wasser, als er nach der Arie von der Bühne kommt, und trinkt, als sei er kurz vor dem Verdursten. Eine Helferin korrigiert die Schminke Dmitri Hvorostovskys, der den Anckarström spielt, und rückt seinen Hut zurecht. Kurz vor der Pause naht Starsopranistin Deborah Voigt, begleitet von einer Kameracrew. Gleich wird sie die Hauptdarsteller interviewen. Die Bilder gehen live zu 170 000 Zuschauern, die die Aufführung in hunderten Kinos weltweit erleben. Hvorostovsky nutzt es, um die Familie in Moskau auf Russisch zu grüßen.

So wie beim „Maskenball“ vor einer Woche werden auch heute, wenn sich um 13 Uhr in New York der Vorhang zu Verdis „Aida“ hebt, neben den 3800 Gästen im ausverkauften Opernhaus Zehntausende in Kinosälen rund um die Erde zuschauen. In Berlin ist es dann 19 Uhr, in Moskau 22 Uhr, in Los Angeles an Amerikas Westküste 10 Uhr morgens.

Live dabei zu sein, wenn Weltstars wie Liudmyla Monastyrska als Aida, Roberto Alagna als Radames und Olga Borodina als Amneris ihre Arien singen, das sei die besondere Attraktion, sagt Peter Gelb, Generalmanager der Metropolitan Opera. „The Met: Live in HD“ ist ein Lieblingsprojekt für ihn. Das merkt man rasch, wenn sich der 59-Jährige in seinem Büro hinter dem Bühneneingang in Begeisterung redet. Er will neue und jüngere Bevölkerungsgruppen gewinnen, um die Oper vor dem schleichenden Tod durch Überalterung der Zuschauer zu bewahren.

Gleich nach dem Wechsel zur Met 2006 – zuvor leitete er bei Sony die Abteilung für klassische Musik – begann er mit den Übertragungen. In der ersten Saison verfolgten 325 000 Menschen die Aufführungen in Kinos. In der laufenden Saison wird es annähernd die zehnfache Zahl sein, wenn man die Zuschauer der zeitversetzten Ausstrahlungen in Asien sowie der „Encores“ in den USA und Kanada an einem Mittwochabend hinzuzählt. Gut drei Millionen Menschen bei zwölf Opern-Übertragungen, das sind vier Mal so viele, wie die Met mit rund 240 Aufführungen pro Saison in das Opernhaus in New York zieht. Ein Ende des Wachstums ist nicht abzusehen. Inzwischen wird in 1900 Kinos in 64 Ländern übertragen. 2012 kamen Ecuador, Guatemala, Indien, Jamaica, Madagaskar, Montenegro, Qatar und Serbien hinzu. Deutschland ist laut Gelb der wichtigste Markt in Europa.

Es liegen gewiss Welten zwischen dem Erlebnis einer Aufführung in New York und der Übertragung auf eine Leinwand, ob in Washington oder Berlin. In den Kinos hängen keine Kristalllüster, und gibt es keine goldverzierten Ränge oder samtene Logensitze. Die Besucher machen sich nicht schick, in den Pausen gibt es statt Sekt und Lachshäppchen Cola, Popcorn und Fastfood. Dem Augenschein nach stammt der Großteil des Kinopublikums aber aus ähnlichen Gesellschaftsschichten wie in der Oper: Bildungsbürgertum, überwiegend in fortgeschrittenem Alter. Die Sehgewohnheiten im Kino sind andere als im Theater. Die Filmversion zeigt nicht ständig die ganze Bühne in der Totale. Alle vier bis fünf Sekunden wechseln Einstellungen, Bildausschnitte, Perspektiven. Dreizehn Kameras sind in den Logen, im Orchestergraben und an ferngesteuerten Stahlarmen über dem Zuschauerraum installiert; eine davon lässt sich an der Vorderkante der Bühne über die ganze Breite von rechts bis links fahren. Sie zoomen sich in die Gesichter der Hauptdarsteller und die Teile der Bühne, wo sich gerade Entscheidendes abspielt.

Dirigiert und zusammengeschnitten wird das Ganze im „Truck“, einem Übertragungswagen, der auf der Rückseite der Met auf der Amsterdam Avenue parkt und die Größe eines Baucontainers hat. Drinnen sitzen Techniker vor einer Wand mit Monitoren, die die Bilder der dreizehn Kameras zeigen. Es herrscht eine Atmosphäre angespannter, aber eingespielter Professionalität. Halblaute Kommandos fliegen durch den Raum: „Kamera 5 – jetzt! Kamera 3 – jetzt!“ Vor jeder Übertragung wird ein Probenband angefertigt. Filmregisseur Matthew Diamond entwickelt daraus ein Drehbuch, das die Schnitte und Einstellungen vorgibt.

In US-Kinos ist eine ähnliche Begeisterung und Ergriffenheit zu spüren wie in der Met selbst. Viele schließen sich dem Applaus in New York nach einer gelungenen Arie an. Besonderes Lob findet das Programm, mit dem die Pausen zwischen den Akten für das Filmpublikum überbrückt werden. Die Kameras zeigen den Bühnenumbau hinter den Kulissen. Sänger werden auf dem Weg zur Garderobe interviewt, ebenso Dirigent, Regisseur, Maskenbildner, Kostümschneider. Als Interviewer wechseln sich Weltstars wie Deborah Voigt, Renee Fleming und Joyce DiDonato ab. Unter New Yorker Opernfans hat sich herumgesprochen, was die Met da ihrem Kinopublikum bietet. Vor den Monitoren in den Wandelgängen drängen sich nun oft die Operngäste in den Pausen.

Peter Gelb weiß, dass er auch Kritik auf sich zieht. Oper im Kino? Für Traditionalisten grenzt das an ein Sakrileg. Die Einwände reichen vom Verdacht, die Operninszenierung müsse sich zu sehr nach den Bedürfnissen der Kameraleute richten, bis zur Sorge, die attraktive Kinoübertragung mit dem billigeren Ticket werde sich zu einer bedrohlichen Konkurrenz für die lokalen Opernhäuser entwickeln.

Gelb versucht zu beschwichtigen. Die traditionelle Opernaufführung habe Priorität, der musikalische Anspruch Vorrang. Bei der Rollenbesetzung würden Sänger nicht nach ihrer Kinotauglichkeit ausgewählt. Gute Oper koste jedoch Geld. Die Met verdient elf Millionen Dollar mit den Übertragungen, trotz der Kosten von rund 1,2 Millionen Dollar pro Aufführung. Die Kinobesucher hören zudem in jeder Pause die halb werbende, halb mahnende Einladung: „Nichts ist mit dem Originalerlebnis zu vergleichen. Besuchen Sie die Met – oder ihr lokales Opernhaus!“

In Berlin wird „Aida“ heute in den Cinestar-Kinos am Alexanderplatz, im Sony- Center und am Borsigturm in Tegel übertragen sowie in der Kulturbrauerei.

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