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Panorama: Mister Blair räumt auf

Wie der Premier Ordnung schafft – unter seinen Bürgern und in seiner Familie

Erfahrene Graffitireiniger wurden gleich stutzig. Wie Tony Blair da im Anzug und wie immer perfekt gebügelten weißen Hemd den Hochdruckreiniger in der Hand hielt und auf eine mit Graffiti bemalte Ziegelmauer in Swindon spritzte, das war fotogen, aber irgendwie unglaubwürdig. Aber das ganze Land wusste: Der Premier will wieder einmal die Straßen Großbritanniens für die ordnungsliebenden und gesetzestreuen Bürger zurückerobern.

Es ist Blairs Lieblingsthema. Mit dem „Respect Action Plan“ kann er seine Popularität im Handumdrehen steigern – und löst ebenso unausweichlich eine heftige Diskussion aus, warum die Briten ihr in der verklärten Erinnerung legendäres und mustergültiges Gemeinschaftsverständnis, ihre unerschütterliche Höflichkeit und den guten alten Respekt vor Lehrern und Polizisten verloren haben.

Alle zwei Sekunden verstößt jemand im Land gegen die Ordnung, das ergab eine von der Labourregierung angeordnete nationale Stichprobe am 10. September 2002. Niemand glaubt, dass das heute besser ist. Kinder schlagen ihre Lehrer blau oder gehen zum „Shoplifting“ statt in die Schule. Alte Omas werden bespuckt. Nachbarn schütten sich Müll in die Vorgärten. Joyrider fahren Kinderspielplätze platt. Und Graffiti werden gesprüht.

Bobbys, die bei der Streife fröhlich mit den Nachbarn plaudern, sind eine Erinnerung ans England der fünfziger Jahre. In manchen Vierteln traut sich die Polizei nicht einmal mehr aus ihren Streifenwagen heraus.

„Graffiti sind und bleiben Verbrechen“, erklärte Blair, bevor er zum Hochdruckreiniger griff, und setzte die Sache zunächst theoretisch auseinander: Die Gesetze aus dem 19. Jahrhundert reichten heute nicht mehr. In der Praxis werde niemand, der eine Frau anspuckt, vom Gesetz belangt, weil das für die Polizei viel zu aufwändig wäre. Blair will, dass man respektlosen Omabespuckern eine Sofortstrafe von 130 Euro abknöpft und den Sprayern die Dosen abnimmt, bevor sie überhaupt zu sprühen beginnen: „Wenn sie damit nicht zufrieden sind, können sie ja Einspruch erheben.“

Schon 1999 erfand die Labour Partei „Asbos“ – Anti Social Behaviour Orders –, um die Gesellschaft vor Sozialstörern zu schützen. Viele davon machten Schlagzeilen, wie die Gefängnisstrafe für die Schulschwänzermutter Patricia Amos oder die Kürzung von Sozialhilfe für Familien, die regelmäßig ihre Nachbarschaft tyrannisieren. Nun hat Blair noch schärfere Maßnahmen vorgeschlagen.

Unsoziale Familien sollen zwangsgeräumt und in spezielle Rehabilitierungslager eingewiesen werden können – das soll nicht nur für Sozialmieter gelten, sondern für alle: Auch wer einen privaten Mietvertrag hat oder sein Haus selbst besitzt, kann zum Umzug ins Erziehungslager verdonnert werden. An Kritik daran mangelt es natürlich nicht.

Die Konservativen werfen Blair vor, mit seinen autoritären Maßnahmen den Gemeinschaftssinn zu untergraben: „Je mehr die Regierung für unsere Problemkinder verantwortlich gemacht wird, desto weniger verstehen wir, dass zur zivilisierten Gesellschaft auch der Mut gehört, Jugendliche zur Rede zu stellen, wenn sie eine Oma anspucken“, schrieb der Tory-Abgeordnete Boris Johnson. Wie sollten Jugendliche die Gesellschaft respektieren, wenn ihnen die Selbstachtung, der Respekt vor sich selber fehle, fragen andere. Jugendliche mit Problemen müssten gefördert, nicht nur abgestraft werden.

Als bevormundend wurde auch der Vorschlag wahrgenommen, eine „Nationalakademie für Elternhilfe“ einzuführen. Eltern von außer Kontrolle geratenen Jugendlichen sollen zum Elternunterricht geschickt werden wie Verkehrssünder in die Fahrschule.

Aber auch mit diesem Projekt hatte Tony Blair nicht viel Glück. Wie er denn seine Kinder im Griff habe und zur Ordnung rufe, fragte ihn die BBC-Moderatorin Kirsty Wark in einer Fernsehtalkshow. Nach zu langem Zögern, einer zunächst verhaspelten Antwort und blitzschneller Nachfrage der Moderatorin gab der Premierminister schließlich zu, dass er seinem älteren Sohn – aber nicht dem erst fünfjährigen Leo – schon mal eine Ohrfeige gegeben habe: „Aber wir alle kennen den Unterschied zwischen einem Klaps und der Misshandlung von Kindern.“

Schon als Blair vor fünf Jahren seinen volltrunkenen Sohn Euan von der Polizeiwache abholen musste, sagte er: „Vater sein ist schwerer als Premier sein.“ Und dafür haben die Briten von heute aber nun doch Verständnis. Auch Clem Henricson vom „Nationalen Institut für Familien und Eltern“ zeigte Verständnis: „Ein milder Klaps, daran stören wir uns nicht. Wir sind alle menschlich.“

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