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Kann sich nur mühsam beherrschen. Anna Wintour, Chefredakteurin der US-Ausgabe der „Vogue“, 61 Jahre alt. Foto: imago

© IMAGO

Mode: Teuflische Gegnerin

Vogue-Chefredakteurin Anna Wintour, Herrin der Mode, giftet gegen junge Fashion-Bloggerinnen – und die setzen ihr gewaltig zu.

Es hatte ein harmonischer, festlicher Abend werden sollen am Pratt Institute. Die renommierte Hochschule für Kunst und Design auf der Westseite von Manhattan hatte in ihre Aula geladen, um Irving Penn zu ehren – den kürzlich verstorbenen Fotografen, der die Modefotografie des 20. Jahrhunderts sowie deren wichtigstes Medium, die Zeitschrift „Vogue“, maßgeblich geprägt hatte. „Vogue“-Chefredakteurin Anna Wintour persönlich hielt einen Vortrag, jene gefürchtete Modezarin, die in dem Film „Der Teufel trägt Prada“ als widerwärtiger Drachen porträtiert wurde. Nach ihrem Vortrag stellte eine Studentin eine ganz einfache Frage, die ihr so gar nicht behagte.

Wie sie die Bedeutung von Modeblogs in der Zukunft einschätze, wollte die Studentin wissen. Eigentlich ein unschuldiges Anliegen, doch es traf bei Wintour einen Nerv. Und so fuhr der Teufel in Prada die Hörner aus: „Wir begrüßen natürlich jede Diskussion über Mode“, erwiderte die 61-Jährige, hörbar gereizt. „Je mehr über Mode geredet wird, desto besser. Aber, verzeihen Sie bitte, wir haben den Eindruck, dass viele der Neuankömmlinge in dieser Welt nicht ganz das Verständnis für Mode und nicht ganz die Erfahrung haben, die sie haben sollten.“

Der aggressive Ton der Bemerkungen war unüberhörbar. Deshalb nannte dann auch die New Yorker Gesellschaftsklatsch-Website „Gawker“ Wintours Kommentare am nächsten Tag „zickig“ und machte eine „kaum verdeckte Abscheu“ von Wintour für die bunte neue Welt der Modekritik aus, die sich derzeit anschickt, den alten Institutionen des Gewerbes wie „Vogue“ das Terrain streitig zu machen. Der Quell von Wintours Degout war klar: Die „letzte Kaiserin“, wie die „New York Times“-Kolumnistin Maureen Dowd Wintour kürzlich nannte, fühlt sich von den Bloggern bedroht. Und dafür hat sie auch guten Grund. Seit Beginn der Wirtschaftskrise vor eineinhalb Jahren wirbt die Modebranche mit wachsender Begeisterung auf den deutlich billigeren Webseiten der Blogger. Der Anzeigenumsatz von Heften wie „Vogue“ oder „Elle“ ist deshalb drastisch zurückgegangen. Die Blogs hingegen boomen: Dutzende neuer Hobby-Modekritiker kommentieren vom Wohnzimmersofa aus die neuesten Trends und können mittels Werbung sowie Vertriebskooperationen mit den Modeherstellern sehr passabel davon leben.

Natürlich hat Anna Wintour noch immer die gewichtigste Stimme in der Branche. Designer verschieben den Beginn ihrer Präsentationen bei den großen Messen in Paris, Mailand oder New York, wenn die Hohepriesterin des Modegeschmacks und ihre Entourage im Verkehr stecken bleiben. Von der „Vogue“ verrissen zu werden, ist in der Couture-Branche noch immer die größte anzunehmende Katastrophe. Doch die Macht der Wintour bröckelte in den vergangenen zweieinhalb Jahren beträchtlich.

Damals, im September 2007, kam das legendäre Septemberheft der Vogue heraus – mit 727 Seiten an Anzeigen, 840 Seiten und mehr als zwei Kilo Gewicht insgesamt die wohl erfolgreichste Zeitschrift aller Zeiten. Im Rückblick war dies wohl das letzte Aufbäumen der fetten Jahre, die letzte unverblümte Artikulation dessen, wofür die „Vogue“ steht, seit Wintour 1988 das Ruder übernommen hat: Luxus ohne Grenzen und ohne Scham sowie unverholenes Elitedenken. Einen „letzten Tanz auf der Titanic“ nannte Maureen Dowd die „September Issue“.

Seitdem haben sich die Zeiten gewaltig geändert. Die „Vogue“ ist zwar noch immer mit 1,27 Millionen Druckexemplaren alleine der US-Ausgabe Marktführerin. Das Anzeigenaufkommen ist aber drastisch zurückgegangen. Die Septemberausgabe 2009 hatte gerade einmal 429 Seiten Anzeigen, der Werbeumsatz war 36 Prozent niedriger als zwei Jahre zuvor. Die Abonnentenzahlen sind zwar stabil, der Kioskverkauf ist jedoch ebenfalls stark zurückgegangen. „Fette Modehefte sind dermaßen passé“, titelte jüngst bissig das „Wall Street Journal“.

An ihre Stelle treten jetzt zunehmend Leute wie die gerade erst 14 Jahre alte Tavi Gevinson mit ihrem Modeblog „Style Rookie“ oder der 23 Jahre alte Bryanboy, die einfach frei von der Leber weg in ihren iMac hacken, was ihnen gefällt und was nicht. Statt einer 50 000 Dollar teuren Covergestaltung wie bei „Vogue“ reicht ein flüchtiger Schnappschuss mit der handlichen Kleinkamera oder mit dem Handy. Professionelle Modekritik wird durch heiteres, unverbindliches Modegeschnatter ersetzt. „Tavi kann sich wohl kaum auf die Kollektionen der vergangenen acht Jahre beziehen, weil sie damals gerade sechs Jahre alt war“, sagt Joe Zee, der Kreativdirektor von „Elle“, schnippisch. „Aber sie ist frisch und witzig“ , erkennt er neidlos an.

Dass darin ein Wert liegt, hat die Branche auch erkannt. Die junge Riege der Modeblogger sitzt seit Neuestem bei den Shows der New Yorker Fashion Week in der ersten Reihe und wird in die Jury wichtiger Preise berufen. Die Hersteller überhäufen sie mit Mustern und Geschenken und bieten ihnen lukrative Werbedeals an.

Mehr als die Hälfte ihres Umsatzes – der wie bei Grechen Cohen bis zu 50 000 Dollar pro Jahr beträgt – machen die Blogger jedoch mit Kommissionen für Produkte, die sie empfehlen und die man dann auch praktischerweise gleich auf ihrer Seite kaufen kann. Eine Praxis, die bei den etablierten Modemedien freilich nicht sonderlich gut ankommt. Kaiserin Anna wird angesichts dieser ihr zutiefst verhassten Konkurrenz jedenfalls nicht das Profil der „Vogue“ ändern. Der „Vogue“-Stil bleibt so wie die Mode, die sie zeigt – exklusiv, aufwendig, teuer. So zeigte das Magazin jüngst in einem Artikel über erschwingliche Mode, was sie unter einem Schnäppchen versteht: Vorgestellt wurde ein Kleid von Oscar De La Renta für tatsächlich weniger als 2000 Dollar. Grechen Cohen präsentierte derweil auf ihrem Blog eine Lounge-Hose für 33 Dollar, die man per Link dann auch gleich bestellen konnte. „Diese Hose MÜSST ihr haben“, schwärmte Cohen über das Teil. Anna Wintour würde da gewiss widersprechen. Wenn sie es denn je über sich brächte, naserümpfend Grechens Seite anzuklicken.

Sebastian Moll[New York]

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