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Gegen Mindestverzehr. Gabriele Weishäupl, Wiesn-Chefin, vergleicht ihn mit den „Stopfen von Gänsen“.

© Clemens Bilan/dapd

Münchner Oktoberfest: Ein Prosit der Gemütlichkeit

Gabriele Weißhäupl ist 68er-Studentin gewesen – und leitet seit 26 Jahren das Münchner Oktoberfest. Die häufig als "Miss Oktoberfest" Titulierte war immer fest entschlossen, das Massenspektakel nicht völlig als Ballermann-Veranstaltung und Kommerz-Abzocke preiszugeben.

Was ist die Wiesn? Gabriele Weishäupl gibt eine kurze Antwort: „Ein Volksfest der Stadt für die Münchner.“ So hat es die 64-jährige Münchner Tourismusdirektorin seit ihrem Amtsantritt 1985 schon immer gesehen. Die häufig als „Miss Oktoberfest“ Titulierte war immer fest entschlossen, das Massenspektakel auf der Theresienwiese nicht völlig als Ballermann-Veranstaltung und Kommerz-Abzocke preiszugeben. „Mir san koa Disko“, sagt sie immer wieder und wünscht sich eine Wiesn „in Richtung mehr Gemütlichkeit“.

Den Start zum 178. Oktoberfest gab am Samstag um Punkt 12 Uhr Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD). Mit erneut nur zwei Schlägen zapfte er das erste Fass Wiesn-Bier an und eröffnete damit das größte Volksfest der Welt. Nach einem kräftigen „Ozapft ist“ reichte er die erste frisch gezapfte Maß dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU), um mit ihm auf eine friedliche Wiesn anzustoßen. In diesem Jahr war das Treffen der beiden Politiker mit besonderer Spannung erwartet worden, da Ude bei der kommenden Landtagswahl 2013 gegen Seehofer antreten will. Seehofer betonte aber vor Festbeginn im Bayerischen Rundfunk: „Die Wiesn ist traditionell eine politikfreie Zone und so wollen wir es auch halten.“ Ein Politikum ist dagegen traditionell der Bierpreis: Dieses Jahr kostet die Maß erstmals mehr als neun Euro.

Für Gabriele Weishäupl ist es das letzte Oktoberfest als Chefin, kommendes Jahr geht sie in den Ruhestand. Pünktlich vor Beginn der diesjährigen 17-tägigen Veranstaltung hat sie sich wieder, wie so oft, heftig mit den mächtigen Wirten der Festzelte angelegt. Den in den meisten Zelten verlangten Mindestverzehr kritisiert sie als „Zwangs-Atzung“ – das ist die Fütterung von Tieren – und meint, es gehe dort teils zu wie beim „Stopfen von Gänsen“. Der Hintergrund: Wer Plätze an einem Tisch reserviert, muss in den meisten der gewaltigen Festhallen Gutscheine für den Mindestverzehr kaufen. Die Preise liegen bei bis zu 80 Euro pro Person am Abend und an den Wochenenden, die dann aufgetrunken und -gegessen werden sollen. Spitzenreiter bei den Preisen sind das Weinzelt und das Zelt des Feinkost-Gastronomen Michael Käfer. Auch das „Hippodrom“ des umstrittenen Wirtes Sepp Krätz, der im vergangenen Jahr Bedienungen beleidigt und geschlagen haben soll, liegt mit 60 Euro Zwangsverzehr in der oberen Preisklasse.

Die Wirte wiederum pochen auf ihre „unternehmerische Freiheit“. An die Tradition, dass für einen Wiesn-Besuch ein halbes Hendl und zwei Maß Bier veranschlagt werden, halten sich die meisten Betreiber nicht mehr. Und wollen sich sicherlich auch nicht an die Gepflogenheiten von früher erinnern: Bis in die 50er Jahre war erlaubt, eine eigene Brotzeit oder Hendl mit ins Zelt zu bringen. Schließlich war die Wiesn für das Volk gedacht. In den bayerischen Biergärten gilt diese Regel immer noch.

Dass sie mit einer gehörigen Portion Durchsetzungsvermögen ausgestattet sein musste, wusste Weishäupl schon zu Beginn ihrer Tätigkeit als Wiesn-Chefin. 38 Jahre alt war die promovierte Kommunikationswissenschaftlerin und Angestellte der Messe, als sie sich im Stadtrat gegen 40 männliche Bewerber durchsetzte. Und nicht nur das: Auch die Münchner CSU hatte sie zuerst abgelehnt.

Bald gab die Tourismusdirektorin der Stadt und speziell dem Oktoberfest optisch ein neues Markenzeichen: Zu Terminen erscheint sie immer im Dirndl. Und das, wo sie doch „eine 68er-Studentin“ gewesen sei, wie sie betont. Dirndl oder Lederhose trugen vor 26 Jahren nur wenige betagte Bayern auf dem Land. Auch auf dem Oktoberfest präsentierten sich damals lediglich die Bedienungen in der Tracht. Dennoch behielt Weishäupl das Dirndl damals als Arbeitskleidung bei und verriet unlängst, dass man gar nicht so viele dieser Kleidungsstücke benötige, wenn man sie geschickt wechselnd mit verschiedenen Blusen und Schürzen kombiniere. Die Trachten sind inzwischen längst wieder fester Bestandteil des Oktoberfestes. Nicht nur prominente Gäste übertreffen sich dabei gegenseitig mit angeblich originellen Trachtenstücken.

Gabriele Weishäupl war 42 Jahre alt, als ihr Sohn zur Welt kam, den sie allein groß- gezogen hat. Mit ihm verbringt die gebürtige Passauerin weite Teile ihrer Freizeit, am liebsten im Ferienhaus in der niederbayerischen Heimat. Dort trägt sie Jeans und T-Shirt und hört klassische Musik.

Als sie in München angetreten war, drohte das Oktoberfest am Massenandrang zu kollabieren. Mehr als sieben Millionen Besucher wurden in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre pro Wiesn gezählt. „Das war zu viel“, erinnert sich Weishäupl. Sie stoppte jegliche Werbung der Stadt für das Spektakel. In diesem Jahr werden 5,7 Millionen Gäste erwartet. Auch verordnete sie den Wirten der bis zu 10 000 Menschen fassenden Zelte, dass die Musik eine gewisse Dezibel-Lautstärke nicht überschreiten darf. Sie selbst, so sagt sie immer wieder, würde ganz traditionelle Volksmusik ohne jegliche Lautsprecher bevorzugen. Ein wenig zumindest hat sich das Oktoberfest in diese Richtung entwickelt. Natürlich grölen die Massen weiterhin schwitzend und mit erhobenen Maßkrügen „Fürstenfeld“ oder das „Flieger-Lied“. Allerdings gibt es seit dem vergangenen Jahr, anlässlich des 200-jährigen Jubiläums, auch die Alte Wiesn auf einem Teil des Geländes, die offiziell „Oide Wiesn“ heißt. Dort ist alles kleiner, leiser, traditioneller. Die Fahrgeschäfte sind vom Ende des 19. Jahrhunderts, ausgeschenkt wird ein dunkleres Bier, wie es das früher gab, Popmusik ist verboten. Gabriele Weishäupl fährt dort gerne auf einem kleinen Karussell und lobt das „wunderschöne, altmodische Teil“.

Die Wiesn, so sagt sie, sei unter ihrer Ägide kleiner geworden, „geordneter“, und das ist für sie begrüßenswert. Nie lässt sie unerwähnt, für wen dieses im Jahr 1810 von Kronprinz Ludwig, dem späteren König Ludwig I., gegründete und mittlerweile größte Volksfest der Welt gedacht war: für die Münchner und die Bayern. Noch heute kommen 60 Prozent der Besucher aus der Landeshauptstadt selbst und 80 Prozent aus dem Freistaat. Diese Zahlen gehen oft unter, wenn von den Exzessen der Australier und Amerikaner die Rede ist, die sich besinnungslos besaufen und, auf dem Tisch stehend, gleichzeitig Bier trinken und mit offener Hose in hohem Bogen auf den Boden urinieren.

Bis zum letzten Wiesn-Tag, dem 3. Oktober, haben Weishäupl und ihre Mitarbeiter das Büro auf die Theresienwiese verlegt. Für sie gilt in diesen turbulenten zwei Wochen wie immer, dass sie in dieser Zeit keinen Alkohol anrührt. Lediglich am letzten Abend, wenn alles vorbei ist, genehmigt sie sich ein Glas Wein. Diesmal dürften es vielleicht auch zwei werden.

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