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Mehboba_Ahdyar

© AFP

Mysteriöser Fall: Die verschwundene Olympionikin

Anfang Juli verschwand das einzige weibliche Mitglied des afghanischen Olympiateams unter mysteriösen Umständen aus dem italienischen Trainingslager. Ein Verbrechen kann mittlerweile ausgeschlossen werden. Ist Mehboba Ahdyar vor den ständigen Morddrohungen der Taliban geflohen?

Als Ahdyar am 4. Juli 2008 vermisst gemeldet wurde, befürchtete die italienische Kriminalpolizei zunächst ein Kapitalverbrechen. Die 19-Jährige, die sich mit einem Stipendium des Internationalen Olympischen Komitees in der Nähe von Rom auf die Spiele in Peking vorbereitete, war in der Vergangenheit immer wieder von muslimischen Fanatikern bedroht worden. Obwohl sie bei Wettkämpfen stets mit Schleier und im hochgeschlossenen Trainingsanzug antrat, warf man ihr "unislamischen Lebensstil" vor, bezeichnete sie als Prostituierte und bedrohte sowohl sie auch ihre Familie mit Mord. Und so lag der Verdacht, dass die Olympia-Starterin Ahdyar beseitigt wurde, bevor sie in Peking zur weltweiten Symbolfigur für die Rechte afghanischer Frauen werden konnte, zunächst nahe.

Bereits nach kurzer Zeit gab die Kripo allerdings Entwarnung, denn mit der jungen Frau waren auch ihr Gepäck und ihre Papiere verschwunden, was eine Entführung äußerst unwahrscheinlich machte. Sechs Tage, nachdem die Sportlerin zuletzt gesehen worden war, meldete sich schließlich das IOC zu Wort.

Sprecherin Emmanuelle Moreau erklärte, das Internationale Olympische Komitee IOC wisse, "dass Athleten manchmal glauben, eine harte Entscheidung treffen zu müssen, um ihre Lebensumstände zu verbessern. Es hat den Anschein, dass dies auch im vorliegenden Fall geschehen ist." Konkret: "Sie wird vermisst. Wir haben keine offiziellen Informationen, wir wissen lediglich, dass sie Asyl in Norwegen beantragen wollte."

Die Verwirrung um die Sportlerin wird immer größer

Wie die junge Frau von Italien in den hohen Norden gelangt sein könnte und wer sie auf ihrer Reise begleitete, ist nicht klar. Klar ist dagegen, dass sie in Norwegen angekommen sein muss, denn mehrere Medien des Landes berichteten Ende letzter Woche übereinstimmend, dass Ahdyar vor Ort einen Asylantrag gestellt habe. Angeblich sei dieser jedoch abgelehnt worden. Eine offizielle Bestätigung gibt es allerdings nicht, da das zuständige Außen-Ministerium sich nicht über konkrete Entscheidungen in Einzelfällen äußern darf.

Auch die Meldung des norwegischen Fernsehsenders NRK, wonach die Sportlerin abgeschoben worden sei, ließ sich nicht verifizieren. Bis heute ist Ahdyar weder in Italien noch in Afghanistan aufgetaucht - die Verwirrung um die Athletin wurde nach einem Statement des afghanischen Olympischen Komitees Ende letzter Woche sogar noch größer. Dessen Vorsitzender Sayed Mahmoud Zia Dashti erklärte, die Leichtathletin befände sich nur in Italien, um eine Verletzung am Bein behandeln zu lassen. Aufgrund dieser Verletzung sei es ausgeschlossen, dass Ahdyar in Peking starten könne. Ihre Familie sei bei ihr und kümmere sich um sie.

Das IOC bestätigte diese Äußerung jedoch nicht. Dass Mehboba Ahdyar einfach so auf die Teilnahme an den Olympischen Spielen verzichten würde ist zudem sehr unwahrscheinlich. Die aus einem der ärmsten Bezirke Kabuls stammende Vorzeigesportlerin ließ sich in der Vergangenheit durch keinerlei Widerstände von ihrem Recht auf Sport abbringen und lebte im Gegenzug mit einem beträchtlichen Sicherheitsrisiko. Denn nicht nur Fundamentalisten bedrohten die junge Frau, auch für ganz gewöhnliche Kriminelle wurde sie als mögliches Entführungsopfer zunehmend interessant, da auch in Afghanistan - wenn auch im internationalen Maßstab mit 1000 Dollar extrem bescheidene - Prämien für Rekorde gezahlt werden.

Angefangen hatte alles eher als Hobby: Mit 15 Jahren war Ahdyar zunächst bei Straßenrennen gestartet, zu diesem Zeitpunkt hatten mit der 100-Meter-Läuferin Robina Muqimyar und der Judoka Friba Razayee zum ersten Mal afghanische Frauen bei Olympischen Spielen teilgenommen. 2006 wechselte Ahdyar dann zu den Mittelstrecken, und erwies sich als Talent: Schon ein Jahr später hatte sie die bestehenden Landesrekorde über 800 und 1500 Meter gebrochen, allerdings lagen ihre Bestleistungen rund eine Minute über den jeweiligen Weltrekorden.

Wurde Mehboba Ahdyar doch in Norwegen Asyl gewährt?

Trotz nicht erreichter Qualifikation erhielt Mehboba Ahdyar das Startrecht für Peking. Dass ihr Start dort von einem Funktionär nun so vehement ausgeschlossen wurde, könnte auch daran liegen, dass ihr entgegen norwegischer Presseberichte Asyl gewährt wurde - ein Wechsel der Staatsbürgerschaft führt beispielsweise zu einer automatischen Sperre für internationale Wettkämpfe.

Dass ihre Familie anscheinend nicht mehr in Afghanistan ist, könnte ein weiteres Indiz für Asyl sein. Denn nicht nur die Sportlerin wurde in der Vergangenheit bedroht, wie Mutter Moha Jan Anfang des Jahres in einem Interview sagte. "Wir haben sehr große Angst", sagte sie damals, und berichtete, dass Mehbobas Vater einmal sogar kurz inhaftiert worden sei, um der Forderung nach sofortiger Beendigung der sportlichen Karriere seiner Tochter Nachdruck zu verleihen. Gleichzeitig gab sich die Mutter kämpferisch: "Kein Problem ist groß genug, um uns davon abzuhalten, Mehboba zu unterstützen."

Elke Wittich

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