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Panorama: Nach ausländerfeindlichen Übergriffen haben sich Heimbewohner aus Rathenow an die Öffentlichkeit gewandt - mehr Zivilcourage gefordert

Die Bewohner von zwei Asylbewerberheimen in Rathenow (Havelland) haben ihre Verlegung in ein anderes Bundesland gefordert. Die Behörden könnten nicht für die Sicherheit von Ausländern in Brandenburg garantieren, heißt es in einem Memorandum, das gestern 47 Asylbewerber der örtlichen Polizei zuleiteten.

Die Bewohner von zwei Asylbewerberheimen in Rathenow (Havelland) haben ihre Verlegung in ein anderes Bundesland gefordert. Die Behörden könnten nicht für die Sicherheit von Ausländern in Brandenburg garantieren, heißt es in einem Memorandum, das gestern 47 Asylbewerber der örtlichen Polizei zuleiteten. Die Verfasser verweisen auf drei tätliche Übergriffe mit verletzten Ausländern allein in Rathenow in den vergangenen Wochen und auf ähnliche Überfälle in Potsdam, Belzig und Cottbus. Trotz einer permanenten Lebensbedrohung täten die Behörden nichts für die Sicherheit von Menschen, die wegen Lebensgefahr aus ihren Heimatländern geflüchtet seien. "Wir wollen uns nicht länger in Angst oder mit Waffen bewegen müssen. Wir wollen nicht länger Blut sehen", heißt es in dem Protestschreiben (siehe untenstehender Artikel).

Landesausländerbeauftragte Almuth Berger verurteilte die tätlichen Übergriffe scharf. Zugleich sprach sie sich gegen eine Verlegung der Asylbewerber in andere Bundesländer aus. Dies sei aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Zudem sei es keine Lösung, Brandenburg "ausländerfrei" zu machen. Berger regte eine Bewegung der Einwohner zur Ächtung von Übergriffen und Beleidigungen gegen Ausländer an. So sollten Einheimische künftig Asylbewerber auf ihren Gängen durch die Stadt begleiten, um sie zu schützen. "Wir brauchen mehr Zivilcourage in diesem Land, und dafür müssen wir die Menschen aus ihrer Gleichgültigkeit herausreißen." Berger hofft, dass der "Hilferuf" aus Rathenow die Bevölkerung aufrütteln wird.

Der Oranienburger Polizeipräsident Peter Kirmße sicherte zu, dass Angriffe auf Leben und Gesundheit ganz rigoros aufgeklärt würden. Es sei besonders schwerwiegend, wenn Gäste des Landes angegriffen werden. Seit Jahresbeginn 1999 bis zum 27. Januar 2000 habe es in Rathenow vier Übergriffe auf Ausländer gegeben, die alle aufgeklärt worden seien. Zu einem erst durch das Memorandum der Asylbewerber bekannt gewordenen Fall seien Ermittlungen aufgenommen worden. "80 Prozent dieser Straftaten werden aufgeklärt", betonte der Rathenower Schutzbereichsleiter Lutz Schubert. Die Polizei führe seit 1998 intensive präventive und repressive Maßnahmen gegen rechte Gewalttäter durch.

Landrat Burkhard Schröder (SPD) wies die Vorwürfe zurück, Asylbewerber würden von Polizei und Behörden unzureichend geschützt. Hinweise von Journalisten, wonach Wachschutzunternehmen der Rathenower Asylbewerberheime die Ausländer bedrohen sollen, werde er prüfen lassen. Schröder nahm jugendliche Gewalttäter indirekt in Schutz, indem er sagte, die Lebensverhältnisse und Perspektiven machten die Jugendlichen zu dem, was sie sind. Der Landrat kündigte an, dass eines der beiden von der Arbeiterwohlfahrt in Rathenow betriebenen Asylbewerberheime wegen des Baus eines Gewerbegebiets geschlossen werde. Einige der Bewohner würden auf andere Heime im Kreisgebiet verteilt.

Bürgermeister Hans-Jürgen Lünser (SPD) nannte es erschreckend, dass seine Stadt wegen gewälttätiger Übergriffe wieder Grund für negative Schlagzeilen liefert. Vor einiger Zeit hatte es in dem Ort mit 28 000 Einwohnern Massenschlägereien zwischen deutschstämmigen Aussiedlern aus ehemaligen GUS-Staaten und einheimischen Jugendlichen gegeben. Auch regelrechte Straßenkämpfe zwischen rechter und linker Szene waren entbrannt.

"Rathenow ist kein Hort oder Herd der Ausländerfeindlichkeit", beteuerte Lünser. Die Stadt habe viele Aktivitäten gegen Fremdenhass unternommen. Dazu gehörten die Bildung eines kriminalpräventiven Rates, gemeinsame Streifen von Ordnungsamt und Polizei sowie Initiativen für mehr jugendgemäße Freizeitangebote.

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