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War nie verdächtig, weil er soziale Netzwerke mied. Attentäter James Holmes.

© dapd

Nach dem Attentat von Denver: Machen sich Facebook-Verweigerer verdächtig?

Der Attentäter war nicht bei Facebook aktiv. Forscher glauben, dass Online-Abstinenz auf Störungen hindeuten kann. In US-Personalabteilungen wird man sogar misstrauisch, wenn Jobbewerber in Sozialen Netzwerken nichts von sich preisgeben wollen.

Von Katrin Schulze

Wer macht so etwas? Wer schießt in einem Kino ohne Rücksicht auf irgendetwas um sich? Die Ermittler wissen es nicht, für sie bleibt die Person James Holmes vorerst ein Rätsel. Bei seinem ersten Auftritt vor Gericht am Montag schwieg er und ließ seine Pflichtverteidiger sprechen. Er wirkte teilnahmslos und benommen. Nicht einmal das Internet hilft den Ermittlern, obwohl da doch mittlerweile beinahe jeder seine Spuren hinterlässt. Nach bisherigen Erkenntnissen war Holmes aber weder bei Facebook noch bei Twitter aktiv. Zwei Konten bei Youtube soll er gelöscht haben, ein paar Einträge unter Pseudonym in Foren gibt es wohl von ihm ebenso wie einen Account bei einer Kontaktbörse. Mehr nicht.

Für die Öffentlichkeit war der junge Mann so weitgehend unsichtbar, unverdächtig. Er deutete sein Vorhaben nicht wie andere Amokläufer vor ihm online an und sprach nicht über seine irren Gedankengänge. Ein 24 Jahre alter US-Amerikaner, ein ehemaliger Student und Waffennarr offenbar, der nicht vernetzt ist, keine Bilder tauscht und seine Befindlichkeiten nicht mit der Community teilt. Das ist nicht nur ziemlich selten, sondern kommt einigen auch ziemlich verdächtig vor.

Bildergalerie: Das Kino-Massaker in Denver

Glaubt man Richard E. Bélanger und seinen Kollegen, könnte dieses Verhalten sogar auf eine ernsthafte Krankheit hinweisen. In einer Studie aus dem vergangenen Jahr haben die Psychologen herausgefunden, dass junge Menschen, die sich mit ihren Online-Aktivitäten sehr zurückhalten oder das Netz gar nicht nutzen, ähnlich häufig zu Depressionen und anderen psychischen Leiden neigen wie jene, die das Netz exzessiv nutzen. Bei Jugendlichen, die regelmäßig, maximal zwei Stunden täglich, online gehen, sei dies nicht der Fall.

Kein Facebook-Profil, kein Job-Angebot

Wecken Jugendliche, die keinen Facebook-Account besitzen, also Misstrauen? Bei einigen Personalabteilungen in den USA bestimmt, wurden dort doch zuletzt Fälle bekannt, in denen Chefs von ihren Bewerbern die Zugangsdaten für ihr Profil verlangten. Wer kein Profil besitzt, für den gibt es auch kein Jobangebot, weil er etwas zu verbergen hat. So weit geht es hierzulande noch nicht. Aber auch in Deutschland erkundigen sich „70 bis 80 Prozent der Personaler nach den Bewerbern im Netz“, sagt der Hannoveraner Psychologe Christoph Möller.

Dass Nutzer freizügige Bilder und private Nachrichten besser nicht für Jedermann zugänglich machen sollten, ist den meisten inzwischen bewusst. Dass aber auch das Gegenteil – die absolute Abstinenz – verdächtig macht, scheint neu. „Das Internet ist ein selbstverständlicher Bestandteil des Lebens geworden“, sagt Möller. Und: „Es ist möglich, dass man durch virtuelle Freunde positive Rückmeldungen und Empfindungen erhält.“ Aber eben nur, solange es die Nutzer nicht übertreiben. Solange sie weiterhin auch reale Kontakte pflegen und die virtuellen Ausflüge nicht zur Sucht werden, denn die kann nach Angaben des Wissenschaftlers „psychische Grundstörungen und Ängste verstärken“.

Video: Attentäter von Aurora vor Gericht

Von der anderen Seite ist Möller dagegen nicht überzeugt: „Dass eine Abstinenz vom Internet Ähnliches bewirkt, lässt sich nicht behaupten.“ Trotzdem ist der Attentäter von Aurora nicht der erste Attentäter, der soziale Netzwerke mied. Auch der Norweger Anders Breivik, der vor einem Jahr zum Massenmörder wurde, war vor seiner Tat weitestgehend unsichtbar im Web. Wie Holmes meldete er sich nur in wenigen Foren zu Wort, versteckte sich sonst, isolierte sich. Er galt als Außenseiter.

Und vielleicht ist das für die Fahnder und Gutachter im jüngsten Fall auch die wichtigere Erkenntnis: Dass Holmes nicht nur keine Facebook- Freunde hatte, sondern – so weit bekannt – auch keine guten Bekannten und Freunde im richtigen Leben.

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