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Edmund Hillary

© dpa

Nachruf: Einsame Spitze

Bienenzüchter und Abenteurer: Zum Tod des Everest-Bezwingers Sir Edmund Hillary.

„Das erste, was ich fühlte, war Erleichterung“, gestand Edmund Hillary, „Erleichterung, dass ich keine Stufen mehr hacken musste, dass wir keine Grate mehr zu bewältigen hatten, dass uns keine Eisblöcke mehr mit der Hoffnung, es geschafft zu haben, narren konnten.“ Der neuseeländische Bergsteiger stand mit seinem Gefährten Tenzing Norgay auf dem höchsten Punkt der Erde. Am 29. Mai 1953 bezwangen sie den Mount Everest. Doch die Freude in 8848 Metern währte nur kurz. „Ich suchte mit Tenzing eine Art mondänen Handschlag auszutauschen, aber das war nicht genug für ihn. Er warf seine Arme um meine Schultern und klopfte mir auf den Rücken. Also klopfte ich ihm auch auf den Rücken.“

Den Umarmungen sollte Hillary nicht mehr entkommen. Die Rückkehr ist ein Triumphzug, und er fängt schon am Fuß des Everest an. „Alles strömte aus den Zelten“, berichtet Expeditionsleiter John Hunt, „Freudenschreie und Beifallsrufe, im nächsten Augenblick waren wir bei ihnen. Händeschütteln und – ich erröte, es zu sagen: Wir umarmten sogar das Siegerpaar.“ Hillary, der bescheidene Bienenzüchter aus Auckland, hat ein Ventil geöffnet. Die Nachricht vom Erfolg, den die Briten wie den „Sieg“ einer Schlacht feiern, erreicht das Königreich am Vorabend der Krönung von Elisabeth II. The Crowning Glory: Everest is climbed, lautet eine Schlagzeile.

In den folgenden fünfzig Jahren wird Edmund Hillary zum Ritter geschlagen, er wird 1959 die Antarktis durchqueren, am 8463 Meter hohen Makalu beinahe einem Gehirnödem erliegen und seine Kletterkarriere aufgeben. Da er sich den Sherpas durch seinen Ruhm verpflichtet fühlt, wird er sich in Nepal für Schul- und andere Hilfsprojekten einsetzen, darunter den Bau eines Flughafens, der heute der Armada an Everest-Touristen zur schnellen Anreise dient. „Manchmal fühle ich mich schuldig“, wird er über die Umweltzerstörung und Verwahrlosung sagen, die sein Vorstoß in die heilige Bergwelt der Sherpas für diese mit sich bracht. Seine Frau und seine Tochter kommen 1975 in Kathmandu bei einem Flugzeugabsturz um. Schließlich wird er in den achtziger Jahren zum neuseeländischen Botschafter in Indien ernannt. Doch sein Leben steht immer im Schatten der Viertelstunde, die er als 33-Jähriger auf dem „Dach der Welt“ verbracht hat.

Die ironische Gelassenheit, mit der Sir Edmund alle Ehrungen hinnahm, geräucherten Lachs, Champagner und die Gesellschaft von Leuten genoss, die er trotz Macht, Einfluss und Geld nicht zu bewundern vermochte, verrieten, dass ihm das Heroische fern lag. Doch wie immer, wenn etwas, das als nicht machbar gilt, durch pure Willenskraft bewältigt wird, prägt sich dem kollektiven Gedächtnis das Bild des Helden ein, dessen physische Präsenz seiner mentalen Stärke und – in diesem Fall – seinem unbestechlichen Charakter in nichts nachsteht.

Dabei war sich Hillary stets bewusst, nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein. Stand er doch zunächst nur in der zweiten Reihe eines Unternehmen, in dem es für die Briten um mehr ging als die Besteigung eines Berges. Die Expedition, die 1953 unter dem strengen Kommando von Oberst Hunt wie ein militärischer Feldzug durchgeführt wurde, war die letzte Chance des Empires, wenigstens den „dritten Pol“ zu erobern, nachdem man sich vom Nordpol ferngehalten hatte und am Südpol deklassiert worden war. Acht mal hatten es die Briten an „ihrem“ Berg schon versucht. Im Jahr zuvor war ein Schweizer Team (zu dem auch Tenzing gehörte) bis auf 300 Meter an den Gipfel herangekommen. So bot Hunt neben der 13-köpfigen Mannschaft 350 einheimische Träger auf, um 13 Tonnen Ausrüstung auf acht Hochlager zu verteilen. Wie auf einer Ameisenstraße wand sich die Karavane durch die Eisbrüche des Khumbu-Gletschers. Der Berg wurde „belagert“, „bestürmt“.

Hillary verfügte kaum über hochalpine Erfahrung. Als begeisterter Skifahrer hatte er seine Kletterkünste in den neuseeländischen Bergen erworben. Während des zweiten Weltkrieges dient er als Navigator auf Wasserflugzeugen und wurde nach einem Unfall mit schweren Verbrennungen entlassen. 1950 reiste er ins Mekka des Alpinismus, ins Stubaital und Berner Oberland. „Unsere Ausrüstung war ebenso primitiv wie unsere Technik“, sagte er später, „Jede Seilschaft, der wir begegneten, war mit Bergführer unterwegs und der Wunsch, uns mit Informationen weiterzuhelfen, beklagenswert gering.“ Zwei Jahre zuvor hatten Hillary und sein Seilpartner in siebentägiger Rettungsaktion einen verunglückten Studenten vom Gipfel des La Perouse heruntergeholt.

Zum Himalaja reiste Hillary erstmals 1951. Dort traf er Eric Shipton, den führenden britischen Expeditionsleiter, der sofort begeistert von Hillary war, und das nicht nur, weil der sich schnell an das Höhenklima gewöhnte: „Ich fühlte mich unbeschwert beim Anblick seines unrasierten Gesichts und seiner heruntergekommenen Kleidung.“ Tatsächlich vermittelte Hillary auf Fotos stets den Eindruck eines Sunnyboys, der auf seine äußere Erscheinung wenig Wert zu legen brauchte.

Für Hillary war der Gipfel des Everest vor allem eine „psychologische Barriere“. In Tenzing Norgay, der 1986 mit 72 Jahren gestorben ist, fand er den verlässlichen Partner, um sich japsend, keuchend und hustend bis in die „Todeszone“ hinaufzuschleppen. Er wusste sich seine Kräfte einzuteilen. Als die erste Gipfelmannschaft sich übernahm und umkehren musste, ergriff er seine Chance.

Heute, da sich Hobby-Bergsteiger für Tausende von Dollars in den Spuren Hillarys auf den Everest führen lassen, droht dessen Leistung zu verblassen. Aber sein Credo hat weiter Bestand: „Wir haben alles gegeben, um als Bergsteiger ein Gefühl tiefer Zufriedenheit zu erleben. Nur für uns.“ Am Freitag erlag Sir Edmund Hillary im Alter von 88 Jahren einem Herzanfall.

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