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Panorama: Nichts als warme Luft

Die groß angekündigte Live-Übertragung einer Bohrung in der Cheops-Pyramide hat sich als Flop erwiesen

Von Hartmut Wewetzer

Vorfreude ist auch in der Archäologie die schönste Freude. Erst recht, wenn es um das scheinbar letzte große Rätsel der Pyramiden geht und dieses Geheimnis vor unser aller Augen gelüftet werden soll. Zur besten Sendezeit in den USA, aber in den frühen Morgenstunden in Deutschland konnten die Fernsehzuschauer live miterleben, wie ein raupenförmiger Roboter einen 65 Meter langen engen Schacht in der Cheops-Pyramide in Gizeh hinaufrollte, um dann eine röhrenförmige Kamera durch ein Bohrloch in der Platte am Ende des Schachts zu stecken.

Gegen fünf Uhr morgens fiel dann Licht durch das bereits am Sonnabend gebohrte Loch. Das Ergebnis: ziemlich wenig. Keine Schatzkammer, kein verborgener Saal voller Papyrusschriften, keine Sarkophage, nicht einmal ein paar hingekritzelte Hieroglyphen. Nur ein etwa 45 Zentimeter tiefer Hohlraum, an dessen Ende das Scheinwerferlicht auf eine rissige Steinplatte fällt.

Viel Lärm um Nichts? Zahi Hawass, Leiter der ägyptischen Antikenverwaltung und unumstrittener Star des vom amerikanischen „National Geographic Channel“ in mehr als 140 Länder übertragenen Spektakels, war trotzdem euphorisch. „Ich freue mich außerordentlich, dass wir diesen Raum entdeckt haben“, sagte er schweißüberströmt in die Kamera. „Wir haben das erste Rätsel gelöst.“ Die Tatsache, dass es eine zweite Tür hinter der ersten gebe, mache das Rätsel um die größte Pyramide nur noch geheimnisvoller.

Geheimgänge, verborgene Türen, Pyramiden-Mysterien: Schon in den 90 Minuten vor der unspektakulären Enthüllung war das „letzte Rätsel der Pyramiden“ (ZDF) beschworen worden. In einem Vorfilm wurde, untermalt von New-Age-Klängen, reichlich in Pyramiden-Mythen und -Mystik geschwelgt und die Erwartungen geschürt: vom Gürtel des Orion, der Bundeslade, einer „Kammer absoluter Weisheit“ und „Cheops’ Geheimcode“ war die Rede.

Trotz aller medienwirksamen Ankündigungen bewahrheiteten sich am Ende die nüchternen Prognosen der Archäologen über die vermeintliche Geheimkammer. Sie hatten vermutet, dass sich hinter der mysteriösen Tür nur ein Hohlraum verbirgt und das der Schacht eine Art „Seelengang“ für den Pharao darstellt, durch den dieser die Pyramide verlassen kann. Vielleicht hat der enge, nur 20 mal 20 Zentimeter messende Gang auch nur logistische, bautechnische Gründe, wie der Berliner Pyramiden-Experte Michael Haase vermutet.

Umso vernichtender fiel nach der Sendung das Urteil der Fachleute über die „größte archäologische Sensation des Jahrzehnts“ (ZDF) aus. In ihren Augen war das ganze ein Medienflop. Der Leipziger Ägyptologe Frank Steinmann sprach von einer „Luftnummer“, und Dietrich Wildung, Direktor des Ägyptischen Museums in Berlin, wurde noch deutlicher: „Entschuldigen Sie diesen Ausdruck – wir sind alle verarscht worden“, sagte er im Inforadio Berlin-Brandenburg. Die angebliche erste „Tür“ am Ende des Ganges sei in Wahrheit eine fest eingepasste Steinplatte, die zweite „Tür“ ein „stinknormaler Kalksteinblock, der den Rest des sicher unvollendeten Ganges blockiert“.

Wildung bezweifelte auch, dass die Archäologen an diesem Dienstag das erste Mal hinter die „Tür“ geblickt hätten, schließlich sei das Loch bereits vor Tagen gebohrt worden. „Es widerspricht aller Erfahrung, dass die Archäologen dann nicht auch hinter die Steinplatte geschaut haben“, sagte Wildung.

Zahi Hawass, den ägyptischen Ausgräber-Star, wird die Kritik nicht anfechten. Niemand kann ihm die Schau stehlen. Auch nicht der Deutsche Rudolf Gantenbrink. Der Ingenieur und Amateur-Archäologe hatte 1993 einen selbstgebauten Roboter in den Schacht geschickt und an dessen Ende die erste „Tür“ entdeckt. Weil er eigenmächtig mit seinen Erkenntnissen an die Öffentlichkeit ging, setzte Hawass ihn vor die Tür und holte sich einen amerikanischen Roboter- Hersteller in die Pyramide.

Gewissermaßen als Schmankerl für die Zuschauer brach Hawass am Dienstagmorgen auch noch einen Sarkophag auf einem in der Nähe der Cheops-Pyramide gelegenen Friedhof auf. Oder er erweckte zumindest den Eindruck, die schwere Steinplatte des 4500 Jahre alten Grabes erstmals beiseite zu schieben. Es soll sich um das Grab eines Aufsehers vom Bau der Cheops-Pyramide handeln.

Im Innern lag nicht etwa eine Mumie mit kostbarem Schmuck, sondern ein zusammengekauertes Skelett, dem Hawass sofort mit einem breiten Pinsel über den Schädel fuhr. „Ägypten war keine Sklavenhaltergesellschaft,“ sagte er. Und dass die Überrreste des Mannes vor seinen Augen natürlich die eines Vorfahren des heutigen Ägypten sind, das scheint für Hawass auch klar. Wenig Zweifel dürften auch daran bestehen, dass wir noch viel von Hawass hören werden.

Altertumsexperten wie Sylvia Schoske vom Münchner Museum für Ägyptische Kunst kritisieren, dass die Darstellung des antiken Ägyptens zu sehr auf Pyramiden und Mumien festgelegt sei. Als Wissenschaftler bemühe man sich, gegen diese Klischees anzugehen. Allerdings berichtete „National Geographic Channel“ auch über die Grabungen des Amerikaners Mark Lehner. Er förderte in der Nähe der Pyramiden eine Siedlung mit Hunderten von Bäckereien, Bergen von Rinderknochen und etlichen Schlafsälen zutage. Der Alltag der Pyramidenerbauer – das war wirklich aufregend.

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