zum Hauptinhalt

Ölkatastrophe im Golf von Mexiko: BP schickt neue Glocke in die Tiefe

Seit Monaten fließt Öl in den Golf von Mexiko, jeden Tag bis zu 8200 Tonnen. Nun unternimmt BP einen neuen Anlauf zur Eindämmung der Katastrophe. Wie erfolgversprechend ist der?

Das Wetter spielt mit. Die See ist in diesen Tagen relativ ruhig, auch der Wind im Golf von Mexiko bläst nur verhalten. Und daher hat Küstenwachenadmiral Thad Allen, der oberste Krisenmanager der Regierung im Kampf gegen die Ölpest, dem BP-Konzern grünes Licht für eine weitere mehrgliedrige Reparatur am Unglücksbohrloch in 1500 Meter Wassertiefe gegeben. Dreierlei soll dabei erreicht werden: Die locker sitzende Auffangglocke über dem „Blowout Preventer“ – dem riesigen Ventilsystem über dem Hauptbohrloch–, die nur einen Teil des austretenden Öls erfasst, soll durch eine dicht schließende Glocke ersetzt werden. Bei dieser Auswechslung werden im Innern zugleich Druckmessgeräte installiert. Ihre Messergebnisse sollen helfen, das Bohrloch endgültig von innen zu verschließen, sobald zwei Entlastungsbohrungen ihr Ziel erreicht haben: den alten Bohrschacht einige hundert Meter unter dem Meeresboden. Und ein drittes Spezialschiff namens „Helix Producer“, das Öl aufnehmen kann, soll über ein weiteres Steigrohr mit dem Bohrloch verbunden werden. Dadurch würde die Auffangkapazität auf 53 000 Barrel (8,4 Millionen Liter) pro Tag gesteigert – das wäre erstmals mehr, als nach derzeitigen Schätzungen aus dem Bohrloch sprudelt.

Was passiert jetzt genau?

Am Sonnabend haben Roboter begonnen, die alte Auffangglocke zu entfernen. Über Unterwasserkameras konnte man verfolgen, wie der Metalltrichter angehoben wurde und das Rohöl daraufhin wieder mit ungehemmtem Druck aus dem Bohrloch strömte. Die neue Glocke, ein etwa zehn Meter hoher und 100 Tonnen schwerer Stahlkoloss mit komplizierter Ventiltechnik und maßgefertigten Gewinden für die Verbindungsstellen zu Blowout Preventer und Steigrohren, wartete auf einem Schiff darauf, in die Tiefe heruntergelassen zu werden.

Zuvor müssen die Tiefseeroboter den Stumpen des alten Steigrohrs entfernen, der mit sechs großen Bolzen auf dem Blowout Preventer befestigt ist. Er war bei der Installation der ersten Auffangglocke nur abgesägt worden. Die unregelmäßigen Kanten an der Schnittstelle waren der Grund, warum damals keine dicht schließende Glocke aufgesetzt werden konnte. Das Lösen der Bolzen werde einen Arbeitstag beanspruchen, sagt BP. In der Öffnung hängen aber auch zwei längere Stücke Bohrstangen. Das eine ist vermutlich das Bohrgerät, das in Betrieb war, als die Plattform am 20. April explodierte. Das andere fiel wohl bei der Explosion herab und blieb im Stumpen hängen, als das 1,5 Kilometer lange Rohr, in dem der Bohrer sich drehte, kollabierte, mehrfach knickte und auf den Meeresboden sank. Diese aus dem Ventilsystem ragenden Stangen müssen zusammengebunden werden, damit sie das Überstülpen der neuen Glocke nicht behindern.

Wie lange soll das dauern?

Im besten Fall kann die neue Glocke am Mittwoch installiert sein. Danach vergehen aber noch mehrere Tage, bis sie abgedichtet ist. BP warnt, es könnten unerwartete Probleme auftauchen. Der Konzern hat vier bis sieben Tag für die gesamte Operation veranschlagt. Für den Fall, dass die Installation scheitert, bleibt die alte Glocke in der Nähe „geparkt“. So kann man sie notfalls wieder verwenden.

Parallel gehen die Arbeiten am neuen Auffangsystem mit nun insgesamt drei Auffangschiffen voran. Es hieß, womöglich könne die „Helix Producer“ bereits am späten Sonntag (Ortszeit) Rohöl aus dem Loch aufnehmen. Ihre Kapazität liegt bei 20 000 Barrel (3,18 Millionen Liter) pro Tag. Das kleinste der drei Schiffe, das 8000 bis 9000 Barrel aufnimmt, arbeite auch während der Operation am Bohrloch ungehindert weiter, hieß es.

Wie groß sind die Erfolgschancen?

BP und die Regierungen haben diesmal keine prozentualen Angaben über die Erfolgsaussichten gemacht. In den bereits mehr als 80 Tagen seit der Explosion der Ölplattform „Deepwater Horizon“ hat es mehrfach unerwartete Pannen und Rückschläge gegeben. Am Wochenende äußerten sich die Verantwortlichen zuversichtlich: „Die Operation verläuft nach Plan.“

Was kommt danach?

Die Hauptfrage ist, wann der Ausfluss von Rohöl aus dem Bohrloch komplett gestoppt werden kann. Der Versuch, es von außen mit schwerem Bohrschlamm und allerlei Müll zu verstopfen, war im Mai gescheitert. Die Alternative ist ein Verschluss von innen. Dazu müssen Entlastungsbohrungen schräg seitlich von oben in den alten Bohrschacht unterhalb des Meeresbodens vorangetrieben werden. Das ist technisch äußerst anspruchsvoll. Es gilt, über eine Entfernung von mehreren Kilometern in einem sich zum Ende hin krümmenden Bogen einen Schacht zu treffen, der weniger als einen halben Meter Durchmesser hat. Ursprünglich wurden dafür 90 Tage veranschlagt – bis Mitte August. Neuerdings heißt es, BP werde bereits um den 28. Juli am Ziel sein. Branchenexperten sagen, der Konzern habe größtes Interesse, vor einer für Ende Juli anberaumten Aktionärsversammlung positive Nachrichten zu verbreiten. Wegen der Milliardenausgaben für Reinigungsarbeiten und Schadenersatz habe BP damit beginnen müssen, wertvolle Beteiligungen und Förderrechte rund um die Welt zu verkaufen. Der Konzern bestreitet das.

Die Hurrikan-Saison steht bevor. Wie groß ist die Gefahr?

Die Zeit drängt. In den nächsten Wochen könnte sich das Wetter deutlich verschlechtern. Für 2010 wurde eine überdurchschnittliche Zahl von Wirbelstürmen vorhergesagt. Regelmäßig bilden sich über dem Südatlantik Wetterformationen, die einen tropischen Sturm auslösen können, der über dem warmen Golf an Stärke gewinnt. Der erste Hurrikan, „Alex“, nahm seinen Weg noch fern vom Bohrloch. Seine Ausläufer unterbrachen aber die Reinigungsarbeiten mehrere Tage lang. Das ist auch der Grund, warum Washington zur Eile mahnte: Die neue Absaugglocke soll sturmresistenter sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false