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Selbstmitleid. Roman Polanski meldet sich nach langer Zeit zu Wort.

© AFP

Offener Brief: Zeugen seiner Klage

Der Regisseur Roman Polanski bricht nach sieben Monaten sein Schweigen wehrt sich in einem offenen Brief gegen seine Auslieferung in die USA.

Der Text liest sich wie eine Verteidigungsrede, ein spätes Echo auf Emile Zolas berühmten Brandbrief „J’accuse“, und nicht wenig selbstmitleidig. „Je ne peux plus me taire“, „Ich kann nicht länger schweigen“, wiederholt Filmregisseur Roman Polanski gleich acht Mal hintereinander, in einem offenen Brief, den er am Sonntag gleich in mehreren Sprachen auf Bernard-Henri Lévys Internetseite „La règle du jeu“ veröffentlicht hat. Außerdem veröffentlichte er den Beitrag zeitgleich in „Le Monde“, der „New York Times“ und der „Neuen Zürcher Zeitung“.

Eine Sensation. Nach sieben Monaten bricht Polanski sein Schweigen. Noch zur Berlinale im Februar hatte es dröhnend im Raum gestanden, dieses Schweigen. Polanskis Verfilmung von Richard Harris’ „Ghostwriter“, in der Haft fertiggestellt, war im Wettbewerb gelaufen, unter Abwesenheit des Regisseurs. Keine Interviews, keine Äußerungen, keine Pressekonferenzen mit LiveSchaltung: Außer Solidaritätserklärungen aller Beteiligten war aus der Schweiz nichts zu vernehmen. Nur eine übellaunige Erklärung, warum er den Regiepreis nicht persönlich entgegennahm: „Als ich das letzte Mal zu einem Filmfestival gereist bin, bin ich im Gefängnis gelandet.“

Der 76-jährige Regisseur war am 26. September 2009 bei der Einreise in die Schweiz festgenommen worden. Er hatte beim Filmfest in Zürich einen Preis für sein Lebenswerk erhalten sollen. Seit Anfang Dezember hält er sich, mit einer elektronischen Fußfessel gesichert, in seinem Ferienhaus in Gstaad auf. Wegen Fluchtgefahr musste er eine Kaution von drei Millionen Euro hinterlegen. Aus prozesstaktischen Gründen habe er so lange geschwiegen, schreibt Polanski heute: „Ich wollte, dass die Justizbehörden der Schweiz und der Vereinigten Staaten und meine Anwälte ihre Arbeit ohne jede Polemik meinerseits tun konnten.“ Doch am 22. April hat ein Berufungsgericht in den USA Polanskis Antrag auf Verurteilung in Abwesenheit abgelehnt. Auch der Antrag von Polanskis damaligem Opfer Samantha Geimer, das Verfahren einzustellen, ist abgelehnt worden. Damit steht eine Auslieferung in die USA offenbar bevor.

Hausarrest in Gstaad. Polanskis Sohn Elvis steht auf diesem Archivbild im Schlafanzug vor dem Chalet und erschrickt, als der Wachhund einer Polizistin plötzlich bellt.
Hausarrest in Gstaad. Polanskis Sohn Elvis steht auf diesem Archivbild im Schlafanzug vor dem Chalet und erschrickt, als der Wachhund einer Polizistin plötzlich bellt.

© dpa

Das Auslieferungsgesuch der USA beruhe auf einer Lüge

In dieser Situation wählt Roman Polanski nun harte Worte. Das Auslieferungsgesuch der USA beruhe auf einer Lüge, schreibt er in seinem offenen Brief, er sei vom damaligen Richter hintergangen worden, auch heute, 33 Jahre später, mache der Staatsanwalt Wahlkampf auf seine Kosten, werfe ihn den Medien aus aller Welt zum Fraß vor. Er, Polanski, habe seine Schuld damals eingestanden, habe eine 42-tägige Haftzeit im Gefängnis von Chino verbüßt, man sei mit dem Richter einig gewesen, dass die Strafe damit abgesessen sei. Erst als diese Übereinkunft vom Richter wieder zurückgezogen worden sei, habe er das Land verlassen.

Verhärtete Fronten. Ein Regisseur, der überzeugt ist, ihm geschehe seit Jahrzehnten Unrecht. Ein Rechtssystem, das zum Selbstzweck und Selbstläufer geworden scheint: Obwohl alle Beteiligten die Angelegenheit längst begraben wollten, beharren die US-Behörden auf Auslieferung. Es scheint nur noch darum zu gehen, ein Exempel zu statuieren. Doch ob Polanskis Prominenz ihm tatsächlich genutzt oder geschadet hat, ist schwer zu sagen. Die eine Seite sieht einen Medienstar, der nur wegen seiner Berühmtheit glimpflich davongekommen ist, die andere Seite sieht den Mann, dessen Mutter in Auschwitz umkam und dessen damals schwangere Frau Sharon Tate 1969 von der Manson-Bande ermordet wurde, als vom Leben genug gestraft.

Worum es geht: Roman Polanski hatte 1977 bei einem Fotoshooting in der Villa von Jack Nicholson die damals 13-jährige Samantha Geimer mit Alkohol und Drogen versorgt und dann Sex mit ihr gehabt. Im Gerichtsverfahren hatte er sich des „Geschlechtsverkehrs mit einer Minderjährigen“ für schuldig bekannt und eine 42-tägige Haft angetreten. 1978 hatte er sich der Fortsetzung des Verfahrens durch Flucht entzogen. Das Thema war 2008 erneut aufgekommen, als die Dokumentarfilmregisseurin Marina Zenovich in ihrem Film „Roman Polanski – Wanted and Desired“ die Geschichte neu aufgerollt hatte, mit Beteiligten und Zeugen gesprochen hatte und unter anderem einen Staatsanwalt zu Wort kommen ließ, der behauptete, den Richter Laurence Rittenband damals von der Notwendigkeit einer Haftstrafe überzeugt zu haben. Der Staatsanwalt hat inzwischen zugegeben, dass das nicht wahr ist. Ein Dickicht der Behauptungen. „Ich hoffe, die Schweiz wird einsehen, dass es keinen Grund für eine Auslieferung gibt, so dass ich in Frieden und als freier Mann in mein Land und zu meiner Familie zurückkehren kann“, endet Polanskis Brief. Allein: Es wird keinen Frieden und erst recht keine Freiheit geben, solange dieses Verfahren nicht abgeschlossen ist.

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