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Pädophilie-Skandal: Jahrhundertprozess um Kinderschänder geht zu Ende

Vor sechs Jahren kam in Portugal der Fall einer systematischen Schändung von Waisenkindern ans Licht. Wochenlang stand das Land unter Schock. Jetzt neigt sich der Prozess dem Ende zu. Den Angeklagten werden Taten zur Last gelegt, die an Widerwärtigkeit kaum zu übertreffen sind.

In staatlichen Heimen sollen jahrelang Dutzende von Jungen und Mädchen sexuell missbraucht worden sein. Die mutmaßlichen Kinderschänder entstammten den höchsten Kreisen der Gesellschaft. Im November 2004 wurde der Jahrhundertprozess über den größten Skandal in der portugiesischen Geschichte eröffnet. Vier Jahre später neigt sich Portugal längstes Gerichtsverfahren nun dem Ende zu.

In dieser Woche begann die Staatsanwaltschaft mit den Schlussplädoyers, die Verteidigung wird in zwei Wochen folgen. Den Angeklagten werden Taten zur Last gelegt, die an Widerwärtigkeit kaum zu übertreffen sind. Sie sollen sich gezielt an Kindern aus den Waisenheimen der staatlichen Kette "Casa Pia" vergangen haben, weil diese keine Angehörigen hatten und daher besonders schutzlos waren.

Anwalt: "Der Barbarei wird ein Ende gemacht"

In den staatlichen Heimen habe es jahrzehntelang sexuellen Missbrauch von Kindern und Kinderprostitution gegeben, betonte Staatsanwalt João Alibéo. Die Verantwortlichen hätten dies ignoriert. Der Anwalt Pedro Namora, selbst ein ehemaliger Heimbewohner, sagte: "Egal wie der Prozess ausgehen wird, das Verfahren sorgte dafür, dass der Barbarei des organisierten, sexuellen Missbrauchs von Heimkindern ein Ende gemacht wurde."

Der Pädophilie-Skandal hatte die Bevölkerung in Portugal ähnlich erschüttert, wie dies in Belgien in den 90er Jahren beim Skandal um den Kinderschänder Marc Dutroux der Fall war. Allerdings ist den Portugiesen vier Jahre nach der Eröffnung des Prozesses nicht viel klarer geworden, was in den Heimen wirklich vor sich ging. Wie die Urteile der Richter ausfallen werden, ist ungewiss.

Von den sieben Angeklagten ist nur die Hauptfigur Carlos Silvino alias "Bibi" geständig. Der frühere Aufseher und Fahrer der "Casa Pia" soll in mehr als 600 Fällen Jungen vergewaltigt oder mit Geld und Geschenken gefügig gemacht haben. Zudem soll der 52-Jährige Prominenten Kinder aus Heimen für Sexorgien "beschafft" und dafür Geld kassiert haben. Zu seiner Entlastung sagte er aus, früher als Heimkind selbst ein Opfer von sexuellem Missbrauch gewesen zu sein.

Fernsehstar auf der Anklagebank

Die anderen Angeklagten bestritten die Vorwürfe. Sie beteuerten immer wieder, die angeblich geschändeten Kinder nie gesehen zu haben. Zu den Angeklagten gehören der Fernsehstar Carlos Cruz, der einst Portugals beliebtester Entertainer war und als "Sr. Televisão" (Mr. Fernsehen) bekannt war, ein Ex-Botschafter, ein Prominenten-Arzt, ein Anwalt, ein Heimleiter und eine Immobilienbesitzerin. Die einen wiesen darauf hin, dass die Aussagen ehemaliger Heimkinder voller Widersprüche seien. Die anderen legten zahllose Quittungen und Belege vor, um nachzuweisen, dass sie nicht dort waren, wo die Kinder missbraucht worden sein sollen.

Zeitweise reichte der Skandal bis in die höchsten Spitzen der Politik. Ehemalige Heimkinder wollten den Ex-Sozialminister Paulo Pedroso, die damalige "Nummer zwei" der Sozialistischen Partei, als einen der Kinderschänder erkannt haben. Der Politiker verbrachte fünf Monate in Untersuchungshaft. Später ließen die Ermittler die Vorwürfe gegen ihn fallen. Die Justiz sprach Pedroso kürzlich eine Entschädigung von 100.000 Euro zu.

In den Ermittlungsakten waren - irrtümlicherweise - auch die Namen des damaligen Staatspräsidenten Jorge Sampaio und des EU-Kommissars António Vitorino aufgetaucht. Die Politiker, die damals zu den beliebtesten in Portugal gehörten, waren in anonymen Schreiben mit dem Skandal in Verbindung gebracht worden. Die Ermittler nahmen die Schriftstücke zu den Akten, obwohl sie diese nach den Vorschriften in den Papierkorb hätten werfen müssen. Der Chefankläger musste sich öffentlich für die Panne entschuldigen. (küs/dpa)

Hubert Kahl[dpa]

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