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Zwischen den Fronten. Während der Westen und die Islamisten um die Hilfe wetteifern, sind viele Menschen wieder auf der Flucht.

© dpa

Pakistan: Die zweite Welle

Eine neue Flucht vor Wassermassen und eine neue Bewertung im Westen – wie Pakistan immer mehr zu einem Thema wird.

Während sich am Freitag Hunderttausende Pakistanis ein zweites Mal auf die Flucht vor weiteren Wassermassen begaben, rückt im Westen seit einigen Tagen immer mehr eine neue Bewertung der Ereignisse in den Vordergrund. Anlass ist ein Aufruf der Taliban. Sie haben die Regierung in Islamabad und die Opfer der Jahrhundertflut zum Verzicht auf internationale Hilfe aufgefordert. Im Gegenzug boten die radikal-islamischen Aufständischen an, 20 Millionen Dollar Katastrophenhilfe zur Verfügung zu stellen. Der Sprecher der Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP), Maulana Azam Tariq, hatte der Nachrichtenagentur dpa am Telefon gesagt: „Alle Unterstützung, die kommt, ist von den Christen und Juden, die die Feinde des Islams sind. Die Menschen sollten gewarnt sein, dass die Ungläubigen uns versklaven wollen, indem sie die Hilfe stellen.“ Sollte die Regierung ausländische Unterstützung ablehnen, würden die Taliban mit 20 Millionen Dollar einspringen.

Es ist offensichtlich, dass die Taliban die rasche internationale Hilfe als Gefahr für ihre Position sehen. Die ersten, die geholfen hatten, waren Helikoptereinheiten der pakistanischen Armee, die auf eigene Initiative tätig wurde, sowie Helikoptereinheiten der US-Armee. Ebenfalls schnelle Hilfe kam durch in Pakistan ansässige ausländische Hilfsorganisationen. All diese Retter trafen immer wieder im Katastrophengebiet auf andere Helfer, die radikalislamistischen, verbotenen Organisationen angehören. Sie und die westlichen Helfer befinden sich gleichsam in einem Wettlauf.

Die westlichen Staaten haben in den vergangenen Tagen ihre Hilfszusagen erheblich aufgestockt. Am meisten gefordert ist die US-Regierung von Präsident Barack Obama. Die USA haben es mit einem islamischen Land zu tun, das über die Atombombe verfügt und eine unfähige Regierung hat, deren Geheimdienste wiederum mit den Taliban zusammenarbeiten. Die US-Regierung muss jetzt ihr eigentlich langfristig angelegtes Hilfsprogramm für Pakistan umstellen. Denn was die Opfer der Überschwemmungen jetzt brauchen, ist sofortige Hilfe. Das finanzielle Hilfspaket für Pakistan hatte die US-Regierung schon vor Monaten geschnürt: 7,5 Milliarden Dollar sollten in den nächsten fünf Jahren fließen. Damit wollte Washington demonstrieren, in Islamabad nicht nur einen Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus zu sehen und vorrangig an einer militärischen Kooperation mit der Atommacht interessiert zu sein, sondern auch den Menschen selbst zu helfen.

„Die Flut selbst ist der schwerste Rückschlag für das Ziel der USA, die pakistanische Regierung so zu unterstützen, dass sie dem Volk besser dienen kann“, sagt Wendy Chamberlin, die einst als Botschafterin der USA in Pakistan war. Ohnehin sei ein „guter Teil“ des Hilfspakets dafür vorgesehen gewesen, in die Finanzierung der Infrastruktur des Landes, in neue Straßen, Strom- und Kraftwerke zu fließen, ergänzt Chamberlin, die inzwischen dem Think Tank Middle East Institute vorsteht. „Jetzt muss dieses Geld umgewidmet werden, damit das repariert werden kann, was zerstört wurde.“ Die USA haben inzwischen 76 Millionen Dollar als Soforthilfe freigegeben. Das Geld werde genutzt, damit internationale Organisationen und pakistanische Nichtregierungsorganisationen Lebensmittel, Trinkwasser und Medikamente verteilen könnten, teilte Washington mit. Auf eines wollen die USA dabei besonders achten: Dass die einheimischen Helfer keine Verbindungen zu den radikalislamischen Taliban haben. Diesen nahestehende Organisationen versuchen derzeit, als schnelle Helfer vor Ort ihr Ansehen zu verbessern und ihren Einfluss ausbauen.

„Das darf jetzt nicht zu großer Frustration bei der Regierung führen“, sagte der Südasien-Analyst Ashley Tellis. Ihr eigentliches Ziel, die demokratischen Institutionen zu fördern, hätten die USA bereits modifiziert. Damit die Hilfe für die Pakistaner viel sichtbarer wird, haben sie sich bereits mehr auf den Ausbau der Infrastruktur konzentriert. Diese Ziele müssten sie angesichts der Überschwemmungen aber wohl noch einmal überarbeiten. Allerdings sind der Hilfe der USA Grenzen gesetzt. Washington könne damit vermutlich nur kurzfristig und in bescheidener Weise bei den Millionen von hilfsbedürftigen Pakistanern punkten. „Der Anti-Amerikanismus ist tief verwurzelt“, sagt Tellis. Während über die langfristigen politischen Folgen für Krieg und Frieden debattiert wird, kämpfen die Opfer der Flutkatastrophe weiter um ihre Existenz. Nach einer Flutwarnung für die südpakistanische Stadt Jacobabad haben die Behörden die etwa 400 000 Einwohner zur Flucht aufgerufen. Tausende Menschen brachten sich am Freitag mit Autos, auf Traktoranhängern oder auf Eselskarren in Sicherheit. Das Hochwasser im Noorwah-Kanal könne jederzeit über die Ufer treten, sagte der Verwaltungschef des Distrikts Jacobabad, Kazim Ali Jatoi. Zahlreiche Bewohner weigerten sich aber, ihre Häuser und Besitztümer zurückzulassen. „Ich habe eine Warnung herausgegeben, aber ich habe nicht genug Mittel, um eine Evakuierung zu erzwingen“, sagte Jatoi. Zu denjenigen, die sich weigerten zu fliehen, gehörte der 46-jährige Noor Mohammad. „Ich habe meine Frau, meinen alten Vater und drei Kinder an einen anderen Ort gebracht, aber ich werde hierbleiben, um meinen Besitz zu schützen“, sagte er. „Wohin sollte ich mein Eigentum bringen? Es ist überall Wasser.“ os/AFP/dpa

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