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Panorama: Pichler am Pranger

In Ostistanbul wird rigoros gegen Alkohol gekämpft

Die Herbstsonne auf dem Bosporus, eine Angel, ein paar Freunde und ein Bierchen – für viele Istanbuler gibt es nichts Schöneres, als einen Tag am Ufer zu verbringen. Mancherorts kann dieses Vergnügen jedoch teuer werden. Im Stadtteil Üsküdar am asiatischen Bosporusufer kassiert die islamisch beseelte Verwaltung von jedem, der in der Öffentlichkeit mit Alkohol erwischt wird, eine Geldstrafe von etwa 65 Euro. Damit nicht genug: Der fromme Bürgermeister von Üsküdar ließ die Namen der Alkoholsünder auch auf der Website seiner Verwaltung veröffentlichen – und stellte Gelegenheitspichler damit an den Internetpranger.

Bürgermeister Mehmet Cakir, der zur Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Erdogan gehört, ist seinen Landsleuten als eifriger Glaubenskrieger bekannt. Erst im vergangenen Jahr machte er mit dem Vorhaben Schlagzeilen, Teile Üsküdars zu alkoholfreien Zonen zu erklären. Damals wurde er von seiner eigenen Partei zurückgepfiffen, die sich um den Ruf der Türkei in Europa und die abschreckende Wirkung auf Touristen sorgte.

Auch Cakirs öffentliche Ächtung von Biertrinkern findet in Istanbul keine ungeteilte Zustimmung. „Wir sind hier doch nicht in Saudi-Arabien“, schimpfte eine Zeitung. Cakir selbst findet den Internetpranger völlig normal: Seine Verwaltung bemühe sich eben um Transparenz, sagte er. Nicht überall zeigt der fromme Bürgermeister jedoch so viel Tatkraft bei der Durchsetzung von Verboten. Das ebenfalls illegale Grillen in Parks werde hingenommen, beschwerte sich ein Mann in einer Fernsehdiskussion. Über die Griller beschwere sich auch niemand, entgegnete Cakir. Unerwähnt ließ er, dass das Grillen zu den Leidenschaften kleinbürgerlicher Familien gehört – und die stellen die Stammwähler der AKP.

Dass Cakirs Feldzug gegen den Alkohol in der Türkei nicht als kleine Lokalposse wahrgenommen wird, liegt am verbreiteten Misstrauen gegen die AKP: Gegner haben Erdogans Partei im Verdacht, insgeheim einen islamischen Gottesstaat vorzubereiten. Um den Schaden zu begrenzen, schaltete sich deshalb rasch die AKP-Zentrale in Ankara ein. Sie zwang Bürgermeister Cakir, den elektronischen Pranger wieder abzuschaffen.

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