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Entschleunigung am See. Die gelingt leicht, wenn man Bartmeise, Rohrschwirl oder Teichrohrsänger zwitschern hört. Foto: laif

© LAIF

Plauer See: Schweig mir von Rom

Rund um den großen Plauer See führt ein Uferweg. Wer hier entlangradelt, wird poetisch. Ganz nebenbei hat der See auch eine stark sedative Wirkung.

Im Sozialismus war nicht alles schlecht. Man muss nur lange genug Rad fahren, dann kommt einem plötzlich so ein Gedanke. Die Reifen rumpeln über Baumwurzeln, rollen sanft über weichen Waldboden, schieben sich schmatzend durch Morast, linkerhand (beim Radeln gegen den Uhrzeigersinn) liegt der See, sein klares Wasser schlägt glucksend ans Ufer. Kilometerweit geht das so. Stundenlang. Statt Motoren hört man Stockenten und Blesshühner, statt Häusern stehen da Buchenwälder und Haselnussbüsche. Segler, Surfer? Nur Aale, Hechte und Plötzen.

Plauer See, Mecklenburg, Autokennzeichen PCH, grob gesagt im Dreieck zwischen Hamburg, Rostock und Berlin gelegen, mit 38,7 Quadratkilometern siebtgrößter See Deutschland. Eher mäßig begabte Werbetexter schreiben über so eine Landschaft „Natur pur“, wofür sie an der tiefsten Stelle des Wassers (25,5 Meter) versenkt gehören. Und ganz drum herum, nahezu immer direkt am Ufer, führt ein öffentlicher ... tja: mal Pfad, mal Weg.

Jetzt, was hat das alles mit dem Sozialismus zu tun? Gegenfrage: Wie viele Meter des Starnberger Sees sind für jedermann zugänglich? Und dann ist da eben der Gedanke eines einsamen Radlers: Die Unberührtheit der Plauer Landschaft könnte auch an dem Mangel an Baumaterial in der DDR gelegen haben; wie auch an einem Mangel an Immobilienhändlern, die über einen unstillbaren Appetit nach sogenannten Filetgrundstücken verfügen. Im Übrigen hat der letzte Ministerrat der DDR handstreichartig elf Prozent der Landesfläche unter Naturschutz gestellt (dies wird nur erwähnt, um den Solidaritätszuschlag etwas erträglicher zu machen).

Ganz nebenbei hat der Plauer See eine stark sedative Wirkung. Diese quasi wissenschaftliche Aussage beruht auf der Beobachtung von zwei Dutzend Berlinern (West), die sich seit der Wende immer mal wieder als Probanden zur Verfügung stellen. Zentrum der Feldforschung ist das Westufer beim Plauer Ortsteil Seelust. Von der B 103 zweigt eine Straße mit frühmittelalterlichem Kopfsteinpflaster ab, am Ende dieser Schüttelmassage öffnet sich der weite Blick auf den See, und sofort sinkt der Ruhepuls, das Blut verdickt sich (wie durch Epo), wohlige Schläfrigkeit befällt Hirn und Muskulatur. Peter Glotz hätte da von einer „Entschleunigung des Psychohumanen“ gesprochen.

Jetzt, handelt es sich womöglich um ein biosphärisches Kleinod? Ja, durchaus. Ein Blick ins Röhricht zeigt Bartmeise, Teichrohrsänger und Rohrschwirl, beim Bad im seidenweichen Wasser trifft man Barsch, Blei, Schlei, Stör, Maräne und Rotfeder; der Fischotter taucht erfreut ab. (Das Wort Kleinod, so hat kürzlich eine Jury festgestellt, sei das schönste unter den vom Aussterben bedrohten Worten; es zu nutzen ist praktisch Artenschutz.)

An Land dominiert der Laubbaum, Eiche, Linde, Kastanie, Ahorn, Esche ... Sie umrahmen den See mit lichtem Grün. Anders als der finstere Nadelwald mit seinem suizidalen Brüten sorgen Blätter für eine heitere Zivilisationsferne. Weshalb am Ostufer ein Holzbrett an eine Birke geschlagen ist: „Wer nie hier von Lenzes Höh’n in Gottes schöne Welt geseh’n, ja den beneid’ ich wahrlich nicht, es ist und bleibt ein armer Wicht.“

Und jetzt, warum sollte man gegen den Uhrzeigersinn radeln? Erstens weil man so rasch zu einer zauberhaften Bucht kommt, an der Dresenower Mühle. Hier verrotten sozialistische Urlauberbaracken, vorn am Wasser rostet der Wachturm des Schwimmwarts, silbern glänzt der See wie der Rücken eines Gorillas. Baden!

Zweitens passt nun ideal am Südzipfel in Bad Stuer eine Kaffeepause (leider ist das Lokal mit dem Namen „Schweig mir von Rom“ zur Ruine verkommen; kulinarisch kein Verlust, poetisch schon).

Drittens knurrt am Nachmittag der Magen, und da rollt der Radler praktischerweise vor der Halbinsel Werder an die „Forelle“, Fischräucherei und rustikale Wirtsstube in einem. (Knapp 60 Kilometer hat so eine komplette Rundfahrt schon; Abkürzung per Schiff ist möglich.)

Hat schon was!, denkt der Radler bei gebratenem Wels, Schwarzbrot und Bier. Unterwegs hat er keine fünf Hotels gesehen – und weniger Häuser mit Seegrundstück, als es am Starnberger See Millionäre gibt (153). Das gefällt auch dem Kormoran.

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