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Polen: Ein Land liebt in Serie

Sie ist als Soap eine Marke wie die „Lindenstraße“, doch „L wie Liebe“ hat viel mehr Zuschauer. Lassen sich die Sendungen wie eine gesellschaftliche Chronik ansehen? Ein Besuch am Drehort.

Das Einzige, was die Einschaltquote der Fernsehserie „M jak Milosc“ – „L wie Liebe“ gefährden kann, sind Sportereignisse von nationaler Bedeutung. Das war so, als der Skispringer Adam Malysz für Polen durch die Luft flog, und das wird auch während der EM so sein, wenn die polnische Mannschaft an einem Dienstagabend gegen Russland antritt. Doch das sind Ausnahmen. Sonst folgen sieben, manchmal sogar acht Millionen Zuschauer zweimal pro Woche den Verwicklungen und Schicksalsschlägen im Leben der Großfamilie Mostowiak. Die „Lindenstraße“ der ARD müsste ihre Zahlen pro Sendung verfünffachen, um ähnlich erfolgreich zu sein.

Wie eng die Welt der Endlosserie inzwischen mit der polnischen Realität verknüpft ist, konnte man im Frühjahr beobachten – da war der Weggang einer der Hauptdarstellerinnen von „M jak Milosc“ der polnischen Presseagentur ebenso eine Meldung wert wie die Nachricht, Malysz wolle mit dem Skispringen aufhören.

Das Produktionsstudio liegt eine halbe Autostunde südlich von Warschau auf der linken Weichselseite im Dorf Orzeszyn. Nach der Fahrt durch einen Kiefernwald, an Feldern und neuen Einfamilienhäusern vorbei weist links am Straßenrand ein gelbes Schild den Weg zum „Filmstudio der Serie M jak Milosc“. Etwas weiter steht die Halle. In diesem unscheinbaren Flachbau, der einmal einen Großhandel für Gartengeräte beherbergte, werden seit zwölf Jahren tagein tagaus immer neue Folgen von Polens Soap Nummer eins gedreht.

Die Pinnwand im Eingangsbereich des Studios ist mit einem Foto und einigen Sinnsprüchen von Papst Johannes Paul II. geschmückt: „Wenn es auf Erden irgendetwas gibt, das es zu schaffen lohnt, so ist das nur eines – Liebe.“ Der lange Flur steht voller Kleiderständer und Requisiten. Dahinter beginnt ein Labyrinth aus Bühnenbildern. Man kann die berühmte Küche der Großeltern Mostowiak besichtigen, wo Oma Basia immer einen Tee und ein offenes Ohr für die Probleme in der Familie, Opa Lucjan einen Likör und manchen guten Rat für die Kinder und Enkel parat hat.

Jetzt aber strahlt eine andere Kulisse im Scheinwerferlicht: Das Wohnzimmer der jüngsten Tochter Malgosia und ihres mittlerweile dritten Ehemanns Tomek. Wir befinden uns in Folge 940, die im Oktober ausgestrahlt wird. Nach Tomeks Seitensprung bahnt sich eine veritable Ehekrise an. Malgosia wird von der blonden, 34-jährigen Joanna Koroniewska gespielt, deren Gesicht jüngst wegen ihrer echten Beziehungskrise auf etlichen polnischen Illustrierten zu sehen war.

Malgosia gehört seit der ersten Folge zur Besetzung. Auch die gescheiterte Ehe mit dem Deutschen Stefan Müller (gespielt von dem Kabarettisten Steffen Möller) geht auf ihr Konto. „Damals war ich wohl die am meisten gehasste Figur der Serie“, erinnert sie sich. „Die Zuschauerinnen fanden, Stefan sei doch ein herzensguter Junge, ich solle ihn nicht so schlecht behandeln.“ Dass der Deutsche ein netter Pechvogel war, trug wesentlich zu Möllers Popularität bei. „Er hat uns die Deutschen näher gebracht“, sagt Koroniewska, „uns verdeutlicht, dass man als Deutscher nicht automatisch Nationalist sein muss, dass das eine sympathische Nation ist.“

So wie die Serie auf polnische Befindlichkeiten zurückwirkt, greifen ihre Macher jene Themen auf, die der anvisierten Zielgruppe am Herzen liegen und spiegeln gesellschaftliche Entwicklungen. Als vor einigen Jahren Frauen in einer landesweiten Kampagne zur Krebsvorsorge aufgefordert wurden, machte sich auch das Krankenhaus in der Serie dafür stark. Und als die Polen von billigen, kohlensäurehaltigen Erfrischungsgetränken auf Fruchtsäfte umstiegen, trank man diese auch zu Hause im Dorf Grabina. Als der Staat für Wertpapiere warb, überlegten sogar die mittellosen Mostowiaks, so ihre Ersparnisse anzulegen. Und als Polen über den EU-Beitritt abstimmte, beeinflusste Steffen Möller den Ausgang des landesweiten Referendums; er spielte in der Serie einen netten deutschen Kartoffelbauern.

In „M jak Milosc“ gehen die Figuren mit gutem Beispiel voran, dort wird nicht geflucht. Und weil man einander in der Regel unangemeldet besucht, ertappen sich engste Familienmitglieder dauernd in verfänglichen Situationen. Anders ließe sich die zähe Handlung kaum vorantreiben. Ständig werden Charaktere umgekrempelt, aus einem Bösen kann auf wundersame Weise über Nacht ein Guter werden.

Der große Regisseur und bekennende Serienfan Andrzej Zulawski sagte mal, er habe aus „M jak Milosc“ mehr gelernt als aus irgendeinem zur selben Zeit gedrehten polnischen Film. Rentner und Leute, die müde von der Arbeit kommen, sähen in der Familienserie viel mehr als jene streitlustigen Intellektuellen, die gar nicht die Geduld hätten, sich stundenlang in etwas wie „M jak Milosc“ zu vertiefen.

Die große Beliebtheit polnischer Familienserien, so heißt es in einem vergangenes Jahr von Soziologen im Verlag „Politische Kritik“ herausgegebenen Sammelband, zeige vor allem eines: dass die Heilige Familie in der polnischen Gesellschaft ein Auslaufmodell darstelle. Während immer mehr Ehen in die Brüche gingen, schaue man sehnsüchtig auf das Großfamilienidyll, wo alle eng aufeinander hockten und mehr Kinder hätten, als es die offizielle Statistik belegt. Bewusst gewählte Kinderlosigkeit käme in den Serien nicht vor.

Die Autoren interpretieren die Serienwirklichkeit als Wunschbild vieler Polen. Diese Lesart ist typisch für Angehörige der neuen urbanen Mittelschicht, deren Selbstverständnis sich zu einem großen Teil aus Abgrenzung vom sogenannten „anderen Polen“ speist, womit die rückständige, weniger gut ausgebildete Bevölkerung von Kleinstädten und ländlichen Gebieten gemeint ist.

„In ‚M jak Milosc’ ist die Familie das Nest, das die Kinder verlassen mussten und wohin sie sich Zeit ihres Lebens zurücksehnen“, sagt Ilona Lepkowska, die diese und auch die meisten anderen polnischen Soaps erfunden hat. Ihr Lebensgefährte Czeslaw Bielecki ging bei der Warschauer Bürgermeisterwahl als Kandidat der rechtskonservativen PiS ins Rennen. Nachdem die ebenfalls sehr erfolgreiche „Plebania“ – „Die Pfarrei“ im Januar zu Ende gegangen ist, will man es im Herbst mit einer Serie über polnische Emigranten in Großbritannien versuchen. Sie trägt den Arbeitstitel „Maly London“ – „Kleines London“ und stammt unter anderem aus Lepkowskas Feder.

Man ahnt schon, dass hier wieder Gesellschaftsgeschichte ins Format der Soap gepresst werden soll. Schließlich ist die massenhafte Auswanderung und inzwischen wieder Rückkehr von den Britischen Inseln ein wichtiges Kapitel in der jüngsten Geschichte Polens. Auch dies hat so manche Familie zerrüttet.

Doch ob sich die Serie „M jak Milosc“ tatsächlich einmal als Chronik des sozialen Wandels in Polen anschauen lässt? Der Kritiker Bartek Chacinski hält das für unwahrscheinlich. So sehr sich die Macher auch für den sozialen Wandel interessierten, schreibt er, so sehr würden sie den Wandel in den Erzähltechniken des Fernsehens selbst ignorieren. Der neue Blick auf die Protagonisten, die Anspielungen und Bezüge zu anderen und früheren Folgen – kurzum alles, was in den amerikanischen Autorenserien von Sopranos bis The Wire zur Grundausstattung gehört, fehle hier. „M jak Milosc“ spannt kein gesellschaftliches Panorama auf.

Eher gleicht die Serie einer Vitrine, die ein Polen ausstellt, das es so wahrscheinlich nie gegeben hat.

Stefanie Peter

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