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Präzedenzfall: Die "Ossis" – ein eigener Volksstamm?

Ein kurioser Rechtsstreit schlägt hohe Wellen: Gabriela S. fühlt sich wegen einer abgelehnten Bewerbung als "Ossi" diskriminiert und klagt wegen eines Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Sie beruft sich darauf, dass niemand wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit benachteiligt werden darf.

Hamburg - Die Ethnologin Judith Schlehe kann darüber nur den Kopf schütteln. Das Stuttgarter Arbeitsgericht verhandelt am Donnerstag die Frage, ob die „Ossis“ ein eigener Volksstamm sind. Das ergebe aus wissenschaftlicher Sicht „überhaupt keinen Sinn“, sagt Schlehe. „Hier werden Nationalität und Ethnizität in einen Topf geworfen.“ Beides sei aber „auf keinen Fall gleichzusetzen“. Außerdem bezeichne sich die seit vielen Jahren in Westdeutschland lebende Klägerin Gabriela S. doch selbst gar nicht als „Ossi“, sagt die Direktorin des Freiburger Völkerkunde-Instituts. Daher fiele auch das für eine Ethnie wesentliche Kriterium der „Selbstidentifikation“ weg.

Gabriela S. hingegen fühlt sich wegen einer abgelehnten Bewerbung als „Ossi“ diskriminiert und klagt wegen eines Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Sie beruft sich darauf, dass niemand wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit benachteiligt werden darf. Daher muss das Arbeitsgericht im Kern darüber entscheiden, ob die „Ossis“ ein eigener Volksstamm sind. Die gebürtige Ostberlinerin Gabriela S. hatte sich im vergangenen Sommer bei einem Stuttgarter Fensterbauer beworben. Sie wurde abgelehnt und vermutet als Grund ihre Wurzeln in der DDR. Auf den zurückgesandten Bewerbungsunterlagen hatte die Firma handschriftlich ein Minuszeichen vermerkt und dahinter das Wort „Ossi“.

Laut ihrem Anwalt Wolfgang Nau ist Gabriela S. schon seit 1988 im Schwäbischen zu Hause. Damals kam die Buchhalterin dank eines Ausreiseantrags in den Westen und ließ sich im Großraum Stuttgart nieder. Die Absage mit dem „Ossi“-Vermerk habe die 48-Jährige schwer belastet. „Sie war wie vor den Kopf geschlagen“, sagt ihr Anwalt. Sie fühle sich „ausgegrenzt und diskriminiert“. Der Anwalt findet den Fall auch aus fachlicher Sicht enorm spannend. „Das ist ein Präzedenzfall“, sagt Nau, „absolutes Neuland.“ ddp

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