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Panorama: Probieren geht über studieren

In Italien kann man guten Geschmack nun lernen: Eine Uni für Feinschmecker bildet Experten der Esskultur aus

Bestimmte Grundvoraussetzungen muss man schon mitbringen. Wie zum Beispiel die Bereitschaft, nach dem Kochen Teller und Gläser zu spülen. Da viel gekocht wird, fällt auch viel Geschirr an. Zu viel Geschirr für die 25 Spülmaschinen, die in der großen barocken Anlage stehen. Wir sind in Bra, in Piemont. Der Ort ist Feinschmeckern in ganz Europa ein Begriff. Hier gründete in einem kleinen Lokal Carlo Petrini „Slow Food“. In den letzten zehn Jahren ist aus dem Verein mit nur 12 Mitgliedern ein Feinschmeckerclub mit über 100 000 Anhängern weltweit geworden. Eine Institution, der es nicht nur darum geht, mit Hilfe der von ihr publizierten Reiseführer Tipps für gute Lokale und Winzer zu liefern.

Den Initiatoren und Mitgliedern von Slow Food liegt vor allem daran, Gastronomie und Önologie, die Lehre vom Wein, als Wissenschaftszweige zu installieren. Die „Universita di Scienze Gastronomiche“, die Universität der gastronomischen Wissenschaften, ist deshalb die Realisierung eines lang gehegten Traums. „Man muss sich vergegenwärtigen“, erklärt der grauhaarige Carlo Petrini, Gründer und Präsident von „Slow Food“, Feinschmecker und leidenschaftlicher Jäger nach gastronomischen Raritäten, „dass wir auch in den USA die erste Feinschmeckervereinigung überhaupt geworden sind“.

Dieses große Interesse am Essen und am Trinken führte schließlich zum Projekt einer Universität. Es handelt sich nicht um eine private Einrichtung, um Kochen zu lernen, oder das Verkosten von Wein. „Es geht uns“, sagt Carlo Petrini, „um die Wissenschaft von den Lebensmitteln“. In Zusammenarbeit mit den Regionen Piemont und Emilia-Romagna, mit dem Bildungsministerium in Rom und einem zur Finanzierung des gewaltigen Projekts gegründeten Freundschaftsvereins entstand eine Privathochschule mit allem drum und dran. Untergebracht ist sie in dem prächtigen barocken Gebäude in Bra, verfügt aber auch über eine Zweigstelle im großen Barockschloss von Colorno, in der Emilia-Romagna. „Eine solche Ausbildung kann uns die Sicherheit geben“, erklärt die 24-Jährige Studentin Claudia Manganella, „auf wissenschaftlicher Basis Gastronomie studiert zu haben“. Es geht ihr darum, „einen Studienabschluss in allen Bereichen zu machen, die zur Gastronomie gehören“. Claudia kommt aus Mailand, aber die Gastro-Uni ist für Studenten aus aller Welt offen. Unterrichtssprachen sind Italienisch und Englisch. Die Zweisprachigkeit ergibt sich schon aus dem Lehrpersonal für den insgesamt fünfjährigen Diplomstudiengang. Zu den Hochschullehrern gehören so international prominente Persönlichkeiten wie die indische Umweltforscherin Vandana Shiva, der Lebensmittelhistoriker Massimo Montarini von der Universität Bologna, Francois Sabban von der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales in Paris sowie die wegen ihrer kritischen Urteile gefürchteten Weinpäpste Hugh Johnson und Jancis Robinson. Die Professoren sind Köche und Lebensmittelwissenschaftler, Önologen und Gentechniker, Landwirtschaftler und Geologen sowie Anthropologen.

Die neue Universität bietet zwei Diplomstudiengänge an. Zum einen die Wissenschaft von der Gastronomie und zum anderen die Wissenschaft von der Agroökologie. Zum Studienfach Wissenschaft der Gastronomie gehören Disziplinen wie die Methode der Ernährungserziehung, gastronomische Literatur und Kritik, Gastrojournalismus, Geschichte landwirtschaftlicher Gebiete oder auch internationales Lebensmittelrecht. Agroökologie ist im Sinne von Petrini „der richtige Umgang mit der Landwirtschaft“. Zu diesem Studiengang gehören Disziplinen wie Lebensmittelindustrie und die Wissenschaften vom Anbau von Lebensmitteln unter Berücksichtigung verschiedener Klimazonen. Die Studenten – von denen an der Slow-Food-Uni rund 100 gleichzeitig studieren und wohnen können – werden theoretisch und praktisch ausgebildet. Studentin Claudia wird deshalb nicht nur in Bra die Studienbänke drücken. Ihr Lehrplan sieht auch Stationen im Ausland vor, an Forschungseinrichtungen und Universitäten. Sie wird zusammen mit ihren Studienfreunden in verschiedene Länder reisen, auch außerhalb Europas, um vor Ort gastronomische und landwirtschaftliche Realitäten zu studieren. Neben den fünfjährigen Diplomstudiengängen werden in Bra auch Masterstudiengänge zwischen zwei oder drei Jahren angeboten. Einziger Nachteil der nagelneuen Slow-Food- Hochschule: die deftigen Preise. Jedes Studienjahr kostet 19 000 Euro. Doch dafür bekommen die Studenten freie Unterkunft und erstklassiges Essen. Wer sich den guten Geschmack nicht leisten kann, für den stehen auch Stipendien zur Verfügung.

Thomas Migge[Bra]

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