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© dpa

Prozess in der Türkei: Urteil im Fall Marco – aber keine Entscheidung

Urteil im Fall Marco im Missbrauchsprozess in der Türkei: Das Gericht in Antalya hat den 19-jährigen Schüler aus Uelzen am Mittwoch wegen Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs zu zwei Jahren, zwei Monaten und 20 Tagen Haft verurteilt. Nach dem Schuldspruch ist nun der türkische Berufungsgerichtshof am Zug.

Mehr als zwei Jahre lang hatten Marco W. und die anderen Beteiligten am Prozess gegen den niedersächsischen Teenager am Schwurgericht im südtürkischen Antalya auf diesen Moment gewartet – und als er dann kam, brachte er doch nicht die erhoffte Erleichterung. Denn mit der Bewährungsstrafe für Marco W. ist das Drama um den jungen Mann aus Uelzen noch nicht vorüber. Allen Prozessbeteiligten war schon vordem Urteil vom Mittwoch klar, dass das Urteil nicht das letzte Wort der türkischen Justiz sein würde: Der Fall geht jetzt ans oberste Berufungsgericht der Türkei in Ankara.

Wie so oft im Marco-Prozess, gab es auch am Mittwoch wieder Verzögerungen. Erst gegen Abend türkischer Zeit gab das Gericht seine Entscheidung bekannt: Zwei Jahre, zwei Monate und 20 Tage Haft, zur Bewährung ausgesetzt. Marcos Anwalt Ahmet Ersoy, der Freispruch für seinen Mandanten gefordert hatte, reagierte sofort: „Wir werden in die Revision gehen“, sagte er. Auch Ömer Aycan, der Anwalt der Nebenklage, hält einen Einspruch seiner Seite gegen das Urteil für möglich. Aycans Argument: Marco sei zu billig davongekommen.

Mit dem Urteil fand ein Rechtsstreit ein vorläufiges Ende, der in Deutschland Solidaritätsaktionen für den Angeklagten auslöste und vorübergehend die deutsch-türkischen Beziehungen belastete.

Doch auch nach dem Urteil vom Mittwoch bleibt umstritten, was in jener schicksalsträchtigen Nacht im April 2007 in einem Hotelzimmer in Side bei Antalya geschah. Der damals 17-jährige Realschüler Marco W. hatte im Hotel mit der 13-jährigen Charlotte M. aus dem britischen Manchester angebändelt. Abends in ihrem Zimmer verging sich Marco an dem Mädchen, sagt die Anklage. Marco selbst gab intime Kontakte mit der kleinen Charlotte zu und wurde deshalb wegen sexuellem Missbrauch angeklagt. Er musste acht Monate in Untersuchungshaft verbringen, bevor er kurz vor Weihnachten 2007 nach Deutschland zurückkehren durfte. Er ist seitdem nicht wieder in der Türkei gewesen.

Rechtsstreit verlagert sich nach Ankara

Obwohl er zugab, dass er mit Charlotte schlafen wollte, wies Marco den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs zurück. Er betonte, Charlotte habe sich als 15-jährige ausgegeben – nach türkischem wie nach deutschem Recht würde sie damit nicht mehr als Kind gelten. Zudem habe auch Charlotte die Zärtlichkeiten gewollt; auch dieses Argument zieht nur, wenn es sich nicht um ein Kind handelt. Marcos Verteidiger kritisierten zudem vehement die nach ihrer Ansicht völlig ungenügende Beweisführung der Anklage. Am Ende konnten sie sich damit vor dem Gericht in Antalya nicht durchsetzen.

Nun verlagert sich der Rechtsstreit also nach Ankara. Nach Einschätzung von Prozessbeteiligten kann es Jahre dauern, bevor der Berufungsgerichtshof in dem Fall entscheidet. Der Gerichtshof ist stark überlastet, und da im Fall Marco, anders als bei anderen Prozessen, noch keine Verjährung droht, werden die Akten mit dem Schuldspruch für den deutschen Teenager beim Ankaraner Gericht nicht an vorderster Stelle stehen.

Anders als in Deutschland ist der Fall Marco zudem in der Türkei längst aus den Schlagzeilen und der öffentlichen Aufmerksamkeit verschwunden: Dass am Mittwoch die Entscheidung des Schwurgerichts in Antalya anstand, war von den türkischen Medien nicht einmal mehr erwähnt worden. Es gibt also keinen öffentlichen Druck auf die Berufungsrichter, sich rasch mit den Akten aus Antalya zu befassen.

Wie der Berufungsgerichtshof in der Sache Marco entscheiden wird, ist schwer vorauszusagen. Der ‚Yargitay’, wie das Gericht auf Türkisch heißt, hat bei Urteilen wegen Vergewaltigungen in den vergangenen Jahren sehr unterschiedliche und einige recht merkwüdige Entscheidungen gefällt. Eine konsequente Linie der Rechtsprechung zugunsten von Angeklagten oder Opfern lässt sich daraus kaum ablesen.

Vor zwei Jahren hoben die Berufungsrichter eine Haftstrafe gegen einen mutmaßlichen Vergewaltiger mit dem Argument auf, die vergewaltigte Frau habe während des Gewaltaktes nicht um Hilfe gerufen und ihrem Ehemann erst nach zwei Monaten von der Tat erzählt – die Frau hatte ausgesagt, sie habe ihre im selben Haus schlafenden Kinder schützen wollen. Im vergangenen Jahr revidierte der Gerichtshof ein anderes Urteil in einem Vergewaltigungsprozess als zu milde.

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