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Kreuze und Blumen erinnern an die Loveparade-Tragödie in Duisburg

© dpa

Prozess nach Loveparade-Katastrophe: Es konnte nicht gut gehen

In Duisburg beginnt am Dienstag das erste Loveparade-Verfahren. Es wird dabei nicht nur um die Gründe der Tragödie gehen.

Dieser Tunnel sorgt immer noch für Beklemmungen. Er wirkt düster, niedrig, lang. Die Autogeräusche fangen sich im Ohr, Züge donnern über einen hinweg. Vor fünf Jahren, am 24. Juli 2010, starben hier bei einer Massenpanik 21 Menschen, mehr als 500 wurden verletzt. Auf dem Gelände, wo damals die letzte Loveparade stattfand, war es an einer Rampe zu einem tödlichen Gedränge gekommen.

Am Dienstag beginnt nun der erste Zivilprozess vor Gericht. „Rest in Peace“, Ruhe in Frieden, steht an der Wand des Tunnels. Der Ort ist leer, nur eine Gedenktafel erinnert an die Katastrophe. In den Sprachen der Verstorbenen aus sieben Ländern steht der Satz „Liebe hört niemals auf“. Daneben Blumen, Grablichter, Plüschtiere, Engel. Fotos von fröhlichen Menschen.

Auch das Foto von Marie-Anjelina Sablatnig ist darunter. Sie starb im Alter von 19 Jahren, war Auszubildende in einer Bäckerei in Bielefeld. Zu ihrer Mutter, die damals in Österreich lebte, hatte sie eine enge Beziehung. Sie weiß noch, wie ihre Tochter anrief und sagte: „Mama, gleich fahre ich zur Loveparade.“ Bis heute lassen sie die Erinnerungen nicht los. Sabine Sablatnig hat bei der Katastrophe ihr einziges Kind verloren: „Für uns Angehörige ist der Strafprozess wichtig. Ich kann gar nicht abschließen“, sagt sie.

Jeden Tag schaut sie sich Bilder ihrer toten Tochter und Videos vom Unglückstag an. Immer wieder sieht sie das Menschenknäuel, in dem so viele starben. Sie fragt sich, warum ihre Tochter gestorben ist? Weil das Gelände zu klein für so viele Menschen war? Sie fragt sich, warum die Festival-Besucher nicht über die gesperrte Autobahn zum Gelände gehen durften statt durch einen Tunnel und diese enge Rampe? Warum wurden der damalige Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU), der Lopavent-Veranstalter Rainer Schaller und die Polizei bis heute nie belangt? Ihre Gedanken kommen nicht zur Ruhe.

Die Berechnungen seien falsch gewesen

Sabine Sablatnig war Busfahrerin bei der Bahn. Nach dem Unglück konnte sie nicht einmal mehr in einen Bus steigen. Heute lebt sie vom Krankengeld und ist sauer auf Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), die ihr Versprechen nicht einhält, die Sache schnell aufzuklären. Über das „Warum“ hatte die Staatsanwaltschaft die Angehörigen informiert, erzählt der von der Stadt Duisburg beauftragte Ombudsmann Jürgen Widera. Zwei Mal habe es Treffen zwischen Betroffenen, Eltern und der Staatsanwaltschaft gegeben. „Es konnte nicht gut gehen“, habe die Staatsanwaltschaft gesagt. Die Berechnungen seien falsch gewesen.

Der evangelische Pfarrer Widera regelt für die Opfer des Unglücks Organisatorisches: Von Wiedereingliederungsanträgen in den Beruf über betreutes Wohnen bis hin zu alltäglichen Dingen – wenn der Strom zum Beispiel abgestellt wird, weil ein Betroffener nicht mehr zahlen kann. Vielen gehe es immer noch nicht gut, erzählt Widera. Seiner Meinung nach sei es gut, dass der Zivilprozess jetzt losgeht. Und wichtig sei auch, dass bald darauf der Strafprozess folge. Sonst werde das nichts mit der Ruhe, sagt Widera. Auch wenn er weiß: „Dann wird alles wieder aufgewühlt.“

Es geht nur teilweise um die Gründe

Um die Gründe für die Katastrophe geht es im Zivilverfahren nur zum Teil. Den Auftakt macht ein 53-jähriger Duisburger Feuerwehrmann. Die 8. Zivilkammer muss über die Klage gegen die Veranstalterin „Lopavent“, deren Geschäftsführer Rainer Schaller und das Land Nordrhein-Westfalen urteilen. Es geht um Schadenersatz in fünfstelliger Höhe. Der Feuerwehrmann war damals als Retter im Einsatz. Er ist vorzeitig in den Ruhestand gegangen. Landgerichtssprecher Matthias Breidenstein rechnet damit, dass der erste Prozesstag recht kurz sein wird. Insgesamt gibt es neun Klagen mit 19 Verfahren.

Zehn Prozesskostenhilfen seien beantragt worden, davon wurden zwei schon zurückgewiesen, so das Gericht. In jeder einzelnen Klage muss entschieden werden, ob dem Kläger Schadenersatz und Schmerzensgeld zustehen. Die Chancen werden als gering eingeschätzt.

Gegen Oberbürgermeister wurde nie ermittelt

Noch ist kein Strafprozess in Sicht. Auch wenn im Februar 2014 Anklage gegen den früheren Duisburger Stadtentwicklungsdezernenten, fünf Mitarbeiter des städtischen Bauamts und vier Verantwortliche der Firma Lopavent erhoben wurde, die die Techno-Veranstaltung organisiert hatten. Wegen Körperverletzung und fahrlässiger Tötung. Gegen den früheren Oberbürgermeister Sauerland und den Fitnessunternehmer Schaller wurde nie ermittelt.

Momentan befindet man sich sozusagen in einem Zwischenverfahren. Es wird geprüft, wie und ob die Anklage zulässig ist. Die Kammer musste lange auf die Beantwortung ihrer Fragen zum Gutachten des britischen Forschers Keith Still warten. Der sagte: Die Panik und das Desaster waren vorhersehbar. Die Veranstaltung hätte nie genehmigt werden dürfen. Die Frist für alle Stellungnahmen läuft bis zum 25. September. Danach muss das Gericht alles bewerten.

Jörn Teich hat sich auf einen Vergleich eingelassen: „Ich hätte den Zivilprozess gar nicht durchgehalten.“ Teich hat die Loveparade miterlebt, war mit seiner damals vierjährigen Tochter da. Heute setzt er sich für die Betroffenen ein und versucht, ins Leben zurückzufinden. Er wohnt wieder bei den Eltern, hat in ihrem Haus eine Wohnung mit Betreuung. Teich hat eine posttraumatische Belastungsstörung, sein Körper fängt unter Stress an zu zittern. Für die Eltern und Überlebenden ist er dennoch ein wichtiger Ansprechpartner. Und jetzt auch Beirat in der von Betroffenen gegründeten Stiftung für Traumatisierte. Wenn Jörn Teich an den Zivilprozess denkt, dann sorgt er sich. Weil für die Betroffenen am Ende nicht viel übrig bleiben könnte. Außer Anwaltskosten.

Stephanie Hajdamowicz

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