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Der Mensch will Lügengeschichten hören. Carl Friedrich von Münchhausen, hier dargestellt in einem Film mit Hans Albers, gilt als berühmtester Lügenerzähler der Geschichte. Damit hat er die Philosophie inspiriert.

© WDR

Psychologie: Wie Lügner entlarvt werden

Wissenschaftler haben neue Methoden gefunden – aber wer will die Wahrheit schon so genau wissen? Im Alltag ist die "soziale" Lüge seit jeher dem friedlichen Zusammenleben von Menschen förderlich.

Wer lügt? Wer sagt die Wahrheit? Nicht nur die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange oder der Kachelmann-Prozess werfen diese Frage auf. Ob es Bill Clintons Versicherung war, er habe keine sexuelle Beziehung zu der Praktikantin Monica Lewinsky gehabt, ob DDR-Staatschef Walter Ulbricht zwei Monate vor dem Mauerbau sagte, niemand habe die Absicht, eine Mauer zu bauen, ob Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Uwe Barschel sagte: „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort“ – immer wieder wühlen Lügen und die Suche nach der Wahrheit die Öffentlichkeit auf.

Israels Ministerpräsident Netanjahu hat jetzt sogar den Geheimdienst gegen seine engsten Mitarbeiter eingesetzt. Sie mussten sich einem Lügendetektor-Test unterziehen, weil irgendjemand Netanjahus Geheimverhandlungen mit Russland ausgeplaudert hatte.

Lügendetektoren aber, das wissen Forscher, sind gänzlich ungeeignet. Sie messen allenfalls, ob ein Mensch aufgeregt ist. Das sind Menschen meistens, wenn sie verhört und dabei an einen Detektor angeschlossen werden. Über den Wahrheitsgehalt sagen sie nichts aus. In Deutschland sind deshalb solche Geräte nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1998 in Strafprozessen nicht zugelassen.

Was kann man tun, um Menschen der Lüge zu überführen?

„Ich hatte keine sexuellen Beziehungen zu dieser Frau“, sagte 1998 US-Präsident Bill Clinton. Monica Lewinsky aber bewahrte das Kleid mit seinem Sperma auf.
„Ich hatte keine sexuellen Beziehungen zu dieser Frau“, sagte 1998 US-Präsident Bill Clinton. Monica Lewinsky aber bewahrte das Kleid mit seinem Sperma auf.

© AFP

Auch Hirnströme, wie sie das Elektroenzephalogramm (EEG) aufzeichnet, sind keine zuverlässige Hilfe, wenn es gilt, zutreffende von bewusst falschen Aussagen zu unterschieden. Bleibt der Traum, die moderne Bildgebung zu nutzen und Tatverdächtige wie Zeugen in den Hirnscanner zu legen. Was passiert im Kopf, wenn ein Mensch lügt? „Inzwischen herrscht Übereinstimmung, dass bestimmte Areale des Gehirns stärker aktiviert sind, wenn Menschen die Unwahrheit sagen“, sagt die Psychologin Anett Galow vom Institut für Forensische Psychiatrie der Charité. Allerdings ist es eine im hohen Maß künstliche Situation, in die die Versuchsteilnehmer hier gebracht werden. Und ihre Reaktionen sind viel zu unspezifisch, um als Beweise herhalten zu können. „Wir sehen im Scanner leider keine Pinocchio-Nase“, sagt die Psychologin.

Die bekommt der hölzerne Held von Carlo Collodis Kinderbuchklassiker vom Lügen ganz automatisch. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Da kann man mit der Unwahrheit im privaten wie im öffentlichen Raum weit kommen – ohne rein äußerlich groß aufzufallen. Ein Ratgeber, wie ihn der Münchner Jurist und Wirtschaftspsychologe Jack Nasher im letzten Jahr veröffentlicht hat, ist insofern sehr willkommen, schon des vielversprechenden Titels wegen. „Durchschaut: Das Geheimnis, große und kleine Lügen zu entlarven“ will den Leser vor allem instand setzen, sein Gegenüber anhand auffälliger Körpersprache der Unwahrheit zu überführen. Ein Lügner wirke oft steif wie der hölzerne Pinocchio und vermeide Blickkontakt, so schreibt Nasher.

„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“, sagte DDR-Staatschef Walter Ulbricht am 15. Juni 1961, exakt zwei Monate vor Beginn des Mauerbaus.
„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“, sagte DDR-Staatschef Walter Ulbricht am 15. Juni 1961, exakt zwei Monate vor Beginn des Mauerbaus.

© dpa

Im Privaten, wo man die feinsten Nuancen des Mienenspiels von Freunden und Partnern gut kennt, mag eine solche Veränderung von Körperhaltung und Gesichtszügen tatsächlich auffallen. Psychologen, die die Glaubhaftigkeit von ihnen bisher unbekannten Angeklagten oder Zeugen beurteilen sollen, können sich jedoch nicht auf die Einschätzung von deren Mimik und Gestik stützen, wie man inzwischen weiß. „In der Wissenschaftslandschaft spielt die Körpersprache für das Aufdecken von Lügen eine immer geringere Rolle, denn die ist individuell zu unterschiedlich“, sagt Galow. Stattdessen konzentrieren sie und ihre Kollegen sich auf die sachlichen Informationen, die in einer Aussage stecken. In den letzten Jahren hat besonders Aldert Vrij, Professor für angewandte Sozialpsychologie an der Universität im englischen Portsmouth, pfiffige Konzepte entwickelt, die sich eine Grundwahrheit über das Lügen zunutze machen: Es kann nicht nur nervös und aufgeregt machen, es ist auch eine große geistige Herausforderung und ziemlich anstrengend. Nur wer immer die Wahrheit sage, könne sich ein schlechtes Gedächtnis leisten, wusste schon der frühere Bundespräsident Theodor Heuss. Vrijs Studien folgen dem Prinzip, Lügnern die Arbeit noch schwerer zu machen. So anstrengend, dass die Truggebäude schließlich einstürzen.

„Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass die Vorwürfe haltlos sind“, sagte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Uwe Barschel kurz vor seinem Rücktritt und seinem Tod 1987.
„Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass die Vorwürfe haltlos sind“, sagte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Uwe Barschel kurz vor seinem Rücktritt und seinem Tod 1987.

© dpa

Für eine seiner Untersuchungen, die er der Fachwelt vor zwei Jahren vorstellte, wurden studentische Versuchspersonen zu Testzwecken in zwei Gruppen geteilt, von denen die eine angehalten wurde, Geld aus einem Portemonnaie zu nehmen und das später in einem „Verhör“ abzustreiten, während die andere zur gleichen Zeit ein harmloses Spiel spielte und später bei der Wahrheit bleiben konnte. Genau diese Version mit dem Spiel sollten aber auch die „Täter“ später im Interview erzählen – und als Alibi verwenden. Den Teilnehmern beider Gruppen stand eine Belohnung in Aussicht, falls sie dort ihren „Vernehmer“ von ihrer Unschuld überzeugen könnten. Dafür mussten sie sich allerdings gehörig abrackern, denn Vrij und seine Arbeitsgruppe veranlassten sie, den Tathergang „rückwärts“, von seinem Ende her, zu erzählen. Dieser zusätzlichen kognitiven Belastung sahen sich offensichtlich viele der „Lügner“ schlechter gewachsen als die Versuchsteilnehmer, die bei der Wahrheit bleiben durften. Jedenfalls tippten später Polizisten, die Videoaufzeichnungen der Verhöre anschauten und dabei die Lügner ausfindig machen sollten, fast immer zutreffend. Andere Erschwernisse, die Lügner leichter an die Grenzen ihrer geistigen Leistungsfähigkeit bringen sollen, bestehen in überraschenden Fragen zu Details des Tathergangs oder auch in der Bitte, genaue Zeichnungen vom Ort des Geschehens anzufertigen. „Kriminalisten haben solche Methoden schon immer eingesetzt, jetzt werden sie erstmals wissenschaftlich unter die Lupe genommen“, kommentiert Psychologin Galow. Dass das Entwerfen, Errichten und Erhalten komplizierter Lügengebäude geistige Schwerstarbeit ist, wird auch in der psychologischen Glaubwürdigkeitsbegutachtung schon lange berücksichtigt. „Mit der genauen Untersuchung der Aussage, mit Intelligenztests und anderen Methoden versuchen wir deshalb herauszufinden: Könnte dieser Zeuge diese Aussage machen, ohne dass sie auf einem wahren Erlebnis beruht?“

Lügengespinste zuverlässig zu durchschauen, wäre in der Verbrechensbekämpfung wünschenswert. Im Alltag dagegen ist die „soziale“ Lüge seit jeher dem friedlichen Zusammenleben von Menschen förderlich – die wiederum die Adressaten einer eleganten Ausrede oder eines leicht übertriebenen Kompliments oft auch gar nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen möchten. Oder wollen Eheleute und Freunde wirklich immer ganz genau wissen, was der andere treibt? Oder denkt? „Wenn alle Menschen immer die Wahrheit sagten, wäre das die Hölle auf Erden“, sagte einmal der französische Schauspieler Jean Gabin.

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