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Panorama: „Raubtier“ oder naives Opfer?

Michael Jacksons Schicksal liegt in der Hand der Geschworenen – jederzeit kann das Urteil kommen

14 Wochen dauerte der Prozess, an 65 Tagen wurde verhandelt, 130 Zeugen wurden gehört. Jetzt liegt Michael Jacksons Schicksal in den Händen von zwölf Geschworenen. Am Freitag hatte der stellvertretende Staatsanwalt Ronald J. Zonen als Letzter das Wort, zuvor stellte Jacksons Verteidiger Thomas A. Mesereau in seinem Schlussplädoyer seine Sicht der Dinge dar. In mehr als acht Stunden bekam die Jury zwei Geschichten im Zeitraffer erzählt, die unterschiedlicher kaum hätten seien können. Die Anklage stellte den 46 Jahre alten Pop-Sänger als pädophiles „Raubtier“ dar, das seine jungen Opfer zur eigenen Befriedigung in die „Welt des Verbotenen“ lockte. Er habe gezielt vaterlose Jungen aus sozial instabilen Familien auf seine Neverland-Ranch eingeladen, sie mit Geschenken, Alkohol und Pornografie gefügig gemacht und sei schließlich mit ihnen ins Bett gegangen. Die Verteidigung wiederum sieht in dem gefallenen Star ein naives Opfer seiner eigenen Gutmütigkeit, schamlos ausgenutzt von geldgierigen Prominenten-Jägern. Nur handfeste Beweise für ihre Thesen haben beide Seiten nicht.

Zeitweise glich der Verhandlungssaal in Santa Maria einer Multimediashow. Die Anklage warf die überlebensgroßen Gesichter von drei Jungen an die Wand, die Jackson bereits in den 90er Jahren missbraucht haben soll. Zweien von ihnen zahlte er Millionen-Abfindungen. Daneben starrte als Vierter der aktuelle Ankläger von der Wand, ein heute 15-jähriger Junge, der sich gerade von einer Krebsoperation erholte, als er Michael Jackson kennen lernte. Weil nur dessen Bruder beobachtet haben will, wie sich der Sänger an seinem jungen Gast verging, es aber sonst keine weiteren Augenzeugen gibt, war es für den Staatsanwalt so wichtig, Jackson als Wiederholungstäter darzustellen.

Am Tage sei die Neverland-Ranch für die jungen Besucher ein Schlaraffenland gewesen, sagte Zonen. Sie spielten mit extra für den Amüsierpark gebauten Gokarts, mit den neuesten Videospielen, den Karussells und stopften sich voll mit Eis und Süßigkeiten. „Doch in der Nacht“, fuhr der Ankläger fort, „betraten sie die Welt des Verbotenen in Mr. Jacksons Schlafzimmer. Es war wie ein veritables Fort, mit Schlössern und Geheimcodes, die die Jungen bekamen. Und sie lernten Dinge über die menschliche Sexualität von jemandem, der nur zu gerne ihr Lehrer war.“

Die Anklage ging auch direkt auf die Verteidigung ein. Mesereau habe seine Versprechungen von vor drei Monaten nicht eingehalten, sagte Zonen. Der Verteidiger habe zum Beispiel nicht bewiesen, dass die Mutter des Klägers versucht habe, Night-Talker Jay Leno um Geld anzugehen. Genauso wenig habe sie Boxer Mike Tyson oder die Schauspieler Adam Sandler und Jim Carrey um Geld für ihren krebskranken Sohn angebettelt.

Die Glaubwürdigkeit der Mutter dürfte bei der Entscheidung der Jury eine entscheidende Rolle spielen. Ihre schillernden Auftritte im Zeugenstand waren für die Anklage in der einen Minute hilfreich und in der anderen schädlich. So stellte sich im Laufe der Verhandlung heraus, dass sie eine große amerikanische Kaufhauskette unter falschem Vorwand verklagte, um Schmerzensgeld zu bekommen. Am gleichen Tag, da ihr eine Entschädigung von mehreren zehntausend Dollar zugesprochen wurde, beantragte sie Sozialhilfe.

Natürlich ließ sich Jacksons Verteidiger auch diese letzte Gelegenheit nicht entgehen, die Mutter des vorgeblichen Opfers als raffgierige, Prominente jagende Lügnerin darzustellen. Das Bild, das sie von seinem Klienten gezeichnet habe, sei eine grelle Fantasie, erfunden von dessen Feinden und von einer Familie, die seinen Reichtum und seine Bekanntheit auskundschafteten, um selber reich zu werden.

„Das alles war ein hinterhältiger, gemeiner und barbarischer Versuch, Mr. Jackson zu verteufeln“, sagte Mesereau. Und an die Jury gewandt: „Sie müssen das alles glauben, ohne den geringsten Zweifel zu haben. Und das ist unmöglich.“ Michael Jackson selbst starrte während des ganzen Spektakels weitgehend ins Leere. Er wirkte geschwächt, als sähe er das Ende vor sich. Seine Vertrauten verbreiten, er fürchte sich vor seiner Zukunft. Finanziell ruiniert ist er schon jetzt. Sollte die Jury ihn in allen Anklagepunkten schuldig befinden, muss er für bis zu 20 Jahre ins Gefängnis. Beim Verlassen des Gerichtssaals befragt, wie er sich fühle, hauchte er einem Reporter zu: „Ich bin okay.“

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