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Ägäis: Wo Aphrodite schöner wurde

Die türkische Ägäis ist ein Paradies zum Baden. Rund um Fethiye locken fantastische Buchten. Und das Erbe der Lykier ist allgegenwärtig.

Amor ist beschäftigt. Er hascht nach der steinernen Schönheit, die halbnackt vor ihm auf dem Sockel steht. Die Urlauber würdigt er keines Blickes. Dabei haben manche von ihnen einen ordentlichen Spaziergang zu seinem Denkmal hinter sich. Denn der Liebesgott steht in der Mitte des weitläufigen Ferienklubs Letoonia. 627 Zimmer, verteilt auf ein Hotel und zahlreiche Bungalows, hat die All-inclusive-Anlage – und etliche liegen eben in respektabler Entfernung des Zentrums mit seinen Restaurants, Läden und Bars.

Vor zwanzig Jahren ist das Resort auf einer kargen, unbewaldeten Halbinsel vor dem Küstenort Fethiye entstanden. Die weißen Gebäude mit ihren roten Dächern haben Patina angesetzt. Und manche Gäste finden, dass die Zimmer nach heutigen Maßstäben keine fünf Sterne – die das Resort für sich reklamiert – mehr verdienen. Aber wer will schon im Zimmer sitzen, wenn die Zeit vor den Türen ein kleines Wunder vollbracht hat. Bäume, Sträucher und Palmen sind emporgewachsen, rosa Oleander und lila oder weiße Bougainvilleen bilden prunkende Alleen. Mehrere Gärtner sorgen hier so gut für rund 250 unterschiedliche Pflanzenarten, dass sich der Gast bisweilen in einem Botanischen Garten wähnt.

Wozu soll man das Resort verlassen? Es gibt einen über zwei Kilometer langen Strand, drei Badebuchten, Wasserrutschen, einen Tennisplatz, Sauna und Hamam, eine Disko und sieben Restaurants. Im „Moonlight“ speist man unmittelbar am Wasser, das so glatt ist in dieser Bucht, dass sich der Mond ganz eitel drin spiegeln kann. Romantiker müssen sich entscheiden, denn oben in der Resortmitte gibt es eine berückende Alternative. Zwar werden dort auf der Terrasse, das Publikum mag es offenbar international, Sushi serviert, aber auf der gegenüberliegenden Seite grüßt die Türkei. Fethiye hat sich ein funkelndes Abendkleid angezogen.

Ein Shuttleboot verbindet das Resort mit der Stadt. Und erst mal dort angekommen, beginnt der All-inclusive-Tourist zu grübeln. Denn verpasst er nicht eine ganze Menge in seiner schönen, doch künstlichen Idylle? „Sie kaufen, wir kochen“, steht auf der Tafel eines Restaurants. Und die anderen Lokale in den flachen Steinbauten rund um einen quadratischen Platz halten es genauso. An den Fischständen, in der Mitte gruppiert, sucht sich der Kunde seine Rotbrasse oder den Schwertfisch aus und lässt sie im Restaurant seiner Wahl zubereiten. Für sechs, sieben Euro bekommt man hier ein leckeres Mahl und kann beim Essen türkisches Alltagsleben beobachten, denn auch Einheimische kaufen und speisen hier. Es wird gescherzt und gelacht. „Fethiye lebt zu 50 Prozent vom Tourismus und zur anderen Hälfte von Landwirtschaft und Fischfang“ sagt Fremdenführerin Rabia. Eine gute Mischung, die dem Ort seinen besonderen Flair gibt.

Quirlig ist es – und authentisch. Zwar gibt es Souvenirgassen mit Teppichläden und Lederboutiquen, aber eben auch Einkaufstraßen für die Einheimischen. Töpfe und Pfannen mit Blumendekor werden da feilgeboten und jener dicke, rötliche Goldschmuck, den Touristen selten mögen. Die Schaufenster sind nicht schick dekoriert, sondern pragmatisch-skurril gefüllt. Da stehen mit Jeans und anderen Hosen bekleidete Polyesterbeine herum, an Oberkörpern ohne Kopf sind Tops und Trägerhemdchen dekoriert, auf Torsi werden rosa und gelbe Büstenhalter präsentiert.

Am Hafen erfährt der Fremde an einem Denkmal, wie die Stadt Fethiye zu ihrem Namen kam. In der Antike hatten die Lykier hier die Stadt Telmessos gegründet, unter den Osmanen hieß sie Megri. Kemal Atatürk taufte sie dann Fethiye, nach dem Piloten Fethi Bey, der 1914 bei seinem Flug von Istanbul nach Kairo tödlich verunglückt war.

An der langen Uferpromenade liegen die Ausflugsboote dicht an dicht. „Es sind zu viele“, jammert Kapitän Mehmet und schätzt die Zahl auf rund 50. Und sie alle wollen Touristen auf eine „Blaue Reise“ entführen, einen Tag lang zu den Dutzenden Buchten und Inselchen der Ägäis. Mit einfachem Essen inklusive kostet so ein Trip 15 Euro pro Person.

Wenn die Schiffe in der Hochsaison alle unterwegs sind, dürfte es schon mal eng werden in der Aphrodite-Bucht. Denn dort, am schmalen Strand, soll sie gebadet haben und danach noch schöner emporgetaucht sein, heißt es in den Werbeprospekten. „Versuchen Sie es selbst“, animieren die Bootsführer. Auch in Göcek wird gestoppt, und das Ausflugsboot macht zwischen feinen Jachten fest. Hier, so behaupten manche, sei das Saint Tropez der Türkei. Aber so nennen sie ja auch das viel größere, glitzernde Marmaris, das weiter oben an dieser Traumküste liegt. In Göcek aber haben nicht nur Stars und Sternchen mit ihren schicken Booten angelegt – auch Bill Clinton war mal hier.

Wirklich hübsch ist der Ort mit seinen neuen Häusern nicht. Zwar säumen auch hier Palmen die Promenade, aber gegenüber denen im Letoonia-Resort nehmen sich doch arg bescheiden aus. Die Preise in den Restaurants zeigen, dass Billigtouristen hier nicht erwünscht sind. An der ägäischen Küste setzt man schon lange mehr auf Klasse denn auf Masse.

Die Engländer, so erzählen deutsche Touristen, haben die Preise verdorben. Viele haben sich Häuser in der Region gekauft. Oberhalb des schönsten Strandes Ölüdeniz (der in der Hochsaison allerdings vor Menschen nur so wimmelt) haben sich die Engländer eine erstaunliche Parallelwelt geschaffen. In Hisarönü Köy gibt es Pubs und Fish-and-Chips- Buden, Sportbars und ein veritables Post Office. „Können wir stoppen und ein Wasser kaufen?“ – Rabia schüttelt den Kopf. „Hier nehmen sie nur Pfund.“

Wer will ernsthaft englische Lebensart bestaunen, wenn das bewaldete, spannende Hinterland lockt? Die Lage von Kayaköy ist einmalig. Auf den Resten der antiken Stadt Carmylessus hatten Griechen gesiedelt und ihre Häuser den Berg hinaufgebaut. Rund 3200 Griechen lebten hier – bis sie 1922 gehen mussten. Nach Ende des Griechisch-Türkischen Krieges (1919– 1922) bekam die Türkei im Friedensvertrag von Lausanne die Kontrolle über Anatolien zurück, ein Bevölkerungsaustausch wurde verfügt. Die Griechen verließen Kayaköy, und an ihrer Stelle kamen Türken aus Rhodos. Die Insel ist nah. Nur 90 Minuten braucht heute ein Tragflügelboot zur türkischen Küste in Fethiye.

„Die Türken wollten nicht in Kayaköy wohnen“, sagt Rabia. Abgesehen davon, dass sie gewohnt waren, ein Stück Land rundherum zu beackern, waren sie sehr abergläubisch. Die Griechen hatten ihre Toten im Dorf begraben, die Türken fürchteten sich vor der Rückkehr der Seelen. Kurzum: Sie bauten ihre Häuser lieber unten und nahmen sich aus den verlassenen Gebäuden der Griechen nur, was sie gebrauchen konnten: Fensterläden, Türen, Dachziegel.

So wurde Kayaköy zur Geisterstadt. In der dachlosen orthodoxen Kirche, die 1840 noch restauriert worden war, entdeckt man noch die Stelle, wo der Altar war. Reste von Wandbemalungen sind zu sehen, blass gewordene Heilige und Spuren von Engeln.

Drei Kirchen gab es insgesamt im Ort, dazu eine Mädchen- und eine Jungenschule. „Als die Griechen fort waren, wurde es schwer“, sagt Rabia. Sie waren im Gegensatz zu den türkischen Bauern Handwerker und Kopfarbeiter. Es gab Ärzte und Apotheker. „Die angestammten Türken wollten nicht, dass die Griechen gehen“, sagt Rabia. Man kam gut miteinander aus, respektierte und mochte sich. Eine Griechin hatte ihrer türkischen Nachbarin eine Schachtel zum Aufbewahren gegeben, bevor sie ihr Haus für immer verließ. „Heute ist die Türkin eine sehr alte Frau und weigert sich noch immer, jemandem zu zeigen, was ihr die Griechin gegeben hat.“ Sie wache darüber, als sei es ein Schatz. Und will es der einstigen Nachbarin unversehrt geben, falls diese doch mal wiederkommt.

Kayaköy, mittlerweile Unesco-Weltkulturerbe, ist ein verwunschener, stiller Ort. Faruk, ein Maler aus Istanbul, hat sich in ihn verliebt. Er hat ein dreihundert Jahre altes Haus restauriert und führt darin nun gemeinsam mit seiner Frau ein kleines, mit altem Mobiliar liebevoll eingerichtetes Lokal. Im obersten Stock gibt es ein kleines Museum mit Alltagsgegenständen, die Faruk zwischen den Ruinen gefunden hat.

Vielleicht werden bald andere hier Geschäfte machen. Schick könnte dieser Ort werden mit restaurierten Häusern, mit Bars, mit Boutiquen. Noch liegt Kayaköy im Dornröschenschlaf. Grillen zirpen durch die friedliche Stille, eine Katze schleicht umher.

Ruhe liegt auch über Tlos. Wie viel Geschichte birgt dieser Ort! Auf dem Hügel thronte einst eine lykische Burg, die später von einer türkischen Festung überbaut wurde. Lykisches und römisches Stadtmauerwerk umschließen ein Areal von Wohnvierteln. Stadion, Thermen, Agora, Theater, alles ist, auch ohne Erklärungen, gut zu sehen. Am beeindruckendsten aber sind die Sarkophage der Lykier, deren Deckel wie ein Schiffsrumpf geformt sind. Die Lykier glaubten an die Auferstehung. Und wenn sie aufwachten, so dachten sie wohl, könnten sie den Sarkophag umdrehen und hätten gleich ein Boot. Die abgeschiedene Lage führte dazu, dass hier bis ins späte 19. Jahrhundert hinein Talfürsten und blutrünstige Banditen lebten.

Weit schaut man von oben übers Land. Und stellt sich vor, wie es wäre, dort unten zwischen Wiesen und Feldern in einem alten Steinhaus zu wohnen. Aber Rabia ruft: „Bitte kommen Sie zum Bus, wir wollen zum Abendessen im Resort sein.“ Dort entfliehen wir später den Diskoklängen und schauen in den klaren Sternenhimmel. Genauso haben ihn die Lykier betrachten können – vor mehr als 2500 Jahren.

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