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Blick auf Block I der von den Nationalsozialisten als Ferienresort geplanten Urlaubsmaschine. Vor 75 Jahren wurde der Grundstein für das KdF-Seebad Prora gelegt. Foto: Stefan Sauer

© dpa

Aktenfund bei Prora: Urlaub für alle

Neue Aktenfunde zu Prora belegen: Beim Nazi-Tourismusprojekt liefen die Kosten total aus dem Ruder

Die mächtige Fassade zieht sich als endlos scheinendes graues Band am Meer entlang. Die erdrückende Monotonie der sechsstöckigen Gebäudefront am Strand der Insel Rügen macht den Menschen noch heute klein: Prora – als Prestigebau des NS-Regimes geplant – rottet trotz mehrerer Revitalisierungsversuche vor sich hin. Als „Seebad der Zwanzigtausend“ sollte das „Kraft durch Freude“-Bad auf Rügen alle Dimensionen von Tourismus sprengen. Dabei liefen den Nazis die Kosten hoffnungslos aus dem Ruder, wie neue Dokumentenfunde zeigen.

Im Landesarchiv Greifswald verwahrte Originalakten aus der Bauzeit des KdF- Seebades zeigen die Gigantomanie, mit der die nationalsozialistische Einheitsorganisation „Deutsche Arbeitsfront“ (DAF) den fünf Kilometer langen Komplex plante. Neben einer umfangreichen „Kostenzusammenstellung zum Neubau des KdF-Seebades Rügen“ umfasst das Konvolut Baugenehmigungen zur Errichtung von Arbeiterlagern sowie Bauunterlagen für Umspannstationen und Trinkwassersysteme. „Diese Unterlagen sind eine wertvolle Ergänzung der Baugeschichte des Seebades, umso mehr, da die eigentlichen Baupläne für den NS-Bau bis heute als verschollen gelten“, erklärt der Prora- Forscher und Leiter des Dokumentationszentrums Prora, Jürgen Rostock.

Penibel sind in einem 62-seitigen Dokument der KdF-Baudirektion vom 29. Oktober 1938 die einzelnen Posten für den Vorzeigebau aufgelistet. Danach betrugen die erwarteten Gesamtkosten 237,5 Millionen Reichsmark, was einem heutigen Wert von rund 800 Millionen bis knapp einer Milliarde Euro entspricht. Mit dieser Summe wird der vom DAF-Führer Robert Ley vorgegebene Kostenrahmen um das Sechsfache überschritten. Noch im Februar 1936 hatte Ley die Architekten auf einer Sitzung ermahnt: „Als Grenze für die Bausumme möchte ich 40 Millionen nennen. Als Mobiliar und Zubehör rechnen wir ungefähr zehn Millionen mehr.“ Die Kostenexplosion wurde offenbar unter Verschluss gehalten.

„Man wollte den Eindruck vermeiden, dass hier eine riesige Verschwendung betrieben wird von Mitteln, die nach dem Verständnis des Regimes besser zur militärischen Aufrüstung verwendet werden sollten.“ Leys Vorhaben – immerhin waren neben Prora vier weitere KdF-Bäder geplant – standen bei NSDAP-Ideologe Alfred Rosenberg wegen ihrer Kosten in der Kritik, wie Rostock berichtet.

Bei einer Massenveranstaltung am 2. Mai 1936 ließ Ley in der Prorer Wiek zwischen Binz und Sassnitz den Grundstein für das Mega-Feriendomizil legen. Es war ein Tag mit Symbolwert: An diesem Datum jährte sich zum dritten Mal die Zerschlagung der Gewerkschaften durch das NS-Regime. Das Vermögen der Gewerkschaften – nach Angaben des Dokumentationszentrums Prora allein 500 Millionen Reichsmark des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes – verleibte sich die DAF ein.

Die eigentlichen Bauarbeiten begannen in den Wintermonaten 1936/1937. Die Anlage, die heute – 75 Jahre nach der Grundsteinlegung – weitgehend erhalten ist, sollte neben anderen KdF- Projekten wie den Passagierschiffen „Robert Ley“ und „Wilhelm Gustloff“ dazu dienen, die Bevölkerung im gemeinsamen Erlebnis der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ gleichzuschalten. In Prora sollten sie für eine Tagespauschale von zwei Reichsmark bei einem einwöchigen Ostseeurlaub auf Systemtreue getrimmt werden.

„Leys Ziel war es, in den Seebädern jährlich 14 Millionen Menschen für eine Woche unterzubringen“, sagt Rostock. Als die KdF-Planer im Oktober 1938 die Kostenaufstellung von 237,5 Millionen Reichsmark verfassten, schritten die Bauarbeiten noch voran: Die Rohbauten der acht Urlauberunterkünfte mit 10 000 Doppelzimmern schlugen mit knapp 95 Millionen Reichsmark zu Buche. Geplant waren auch je zwei Schwimm- und Gymnastikhallen für 14 Millionen Reichsmark, Strandpromenaden, Wasserspiele, Kolonnaden, Läden – alles im Dokument durch die KdF-Ingenieure auf Reichsmark und Pfennig genau beziffert. Sogar an eher unbedeutende Details – wie 150 000 Preiselbeerpflanzen (Stückpreis fünf Pfennig) – dachten sie. Manches war schon reduziert worden: Die ursprünglich konzipierte Festhalle für 20 000 Personen wich einer weitaus günstigeren Variante.

Aus der Kostenaufstellung ist auch eine erhebliche Umweltzerstörung ablesbar. Allein 13 000 Bäume mussten bis 1938 auf dem Areal weichen: Der Etat weist für die Sprengung von 10 000 Baumstümpfen 10 500 Reichsmark aus. Die Rodung weiterer 3000 Baumstümpfe wurde mit 60 000 Reichsmark beziffert. Der Bau wurde bei Kriegsbeginn gestoppt, andere Vorhaben wie die Entwicklung von V-2- Waffen in der NS-Heeresversuchsanstalt auf Usedom hatten nun Vorrang.

Dass die Dokumente erst jetzt ans Licht der Öffentlichkeit kommen, hängt mit den besonderen Umständen des 1946 gegründeten Landesarchivs zusammen. Die Rügener Akten aus der Zeit des Dritten Reichs kamen vermutlich wie die Akten aus anderen Kreisverwaltungen Vorpommerns bereits in den 60er Jahren in das Landesarchiv – blieben aber unbeachtet.

„Aufgeschlossen wurde der Bestand erst ab 1995“, sagt Archivdirektor Martin Schöbel. Zu diesem Zeitpunkt war die erste Welle der Prora-Forschung nach der Wende bereits abgeschlossen. Selbst in die 2004 eröffnete Ausstellung des Dokumentationszentrums in Prora „MachtUrlaub“ sind noch die alten Kostenschätzungen von 40 Millionen Reichsmark eingegangen.

Martina Rathke

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