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Al Oerter Center: Schau der Champions

Olympioniken als Künstler: In Ft. Myers, Florida, sind ihre Werke zu bewundern – und zu erwerben

Der nicht eben klein gewachsene Besucher muss aufblicken, als der piekfein im dunkelblauen Anzug gekleidete Mann den Galerieraum betritt. Schließlich ist der nicht nur baumlang, sondern auch einer der Helden aus vergangenen Jugendtagen. Der Wunderweitspringer Bob Beamon kommt mal eben so dahergeschlendert, grüßt freundlich, spricht nette Worte und erkundigt sich nach dem Woher und Wohin. Nun, es darf nicht überraschen, dem Champion hier in die langen Arme zu laufen.

Der Goldmedaillengewinner der Olympischen Spiele von 1968 ist gewissermaßen Hausherr im Al Oerter Center, untergebracht in einer mediterran anmutenden Immobilie in Ft. Myers, Florida. Beamon ist heute geschäftsführendes Vorstandsmitglied von „Art of the Olympians“ (artoftheolympians.org), einer gemeinnützigen Gesellschaft, die hier am Ufer des Caloosahatchee River nicht nur ein olympisches Museum und eine Kunstgalerie betreibt, sondern sich auch in Bildungsprojekten engagiert.

Ein Museum für die Kunst von Olympioniken? In Ft. Myers? Natürlich gibt es eine sportliche Geschichte dazu. Keine kennt sie besser als Cathy Oerter, einst selbst veritable Leichtathletin an der Iowa State University. Sie ist die Witwe der 2007 verstorbenen Diskus-Legende Al Oerter. Der holte zwischen 1956 und 1968 vier Mal olympisches Gold in seiner Disziplin – und seine Leidenschaft gehörte der Malerei.

Wenn Bob Beamon als Aushängeschild des Hauses dient, wirkt die aparte Cathy Oerter (Jahrgang 1952) heute als treibende Kraft der Organisation, die für ihren Mann Al eine Herzensangelegenheit war. Der Hüne, der olympische Geschichte schrieb und sich nach seiner Karriere schließlich als Computeringenieur in Ft. Myers niedergelassen hatte, durfte die Verwirklichung seines Traums nicht mehr erleben. Er starb 2007 im Alter von 71 Jahren, nachdem er wegen einer Herzkreislauferkrankung bereits 2003 ins Koma gefallen war.

Freizeitmaler Robert Harting lässt abwinken – keine Zeit

Cathy Oerter, die treibende Kraft.
Cathy Oerter, die treibende Kraft.

© Gerd W. Seidemann

Im 1. Stock des Al Oerter Centers kann der Besucher staunen. Kunstwerke verschiedener Genres sind hier in einem großzügigen Galerieraum ausgestellt. Augenfällig das überlebensgroße Gipsmodell eines Radrennfahrers. Unverkennbar Marco Pantani, der von den Italienern geliebte Mann mit dem Piratentuch auf dem kahlen Kopf, der sich buchstäblich zu Tode dopte. Die Originalbronzeplastik steht auf einem Sockel in seiner Heimatstadt Cesena, geschaffen von der Judoka Emanuela Pierantozzi, die bei den Spielen in Barcelona (1992) und Sydney (2000) den Sprung aufs Podest schaffte. Das Gipsmodell dürfte fürs Handgepäck zu groß sein, doch wer 10 000 Dollar ausgeben möchte, könnte die weiße Figur des tragischen Kokainschnupfers erwerben.

Eher unauffällig die Kunstfotografie einer Großen des Schwimmsports, Shane Gould. Sie gewann 1972 in München fünf Medaillen, darunter drei goldene. Gould bleibt auch in der Kunst ihrem Element treu und zeigt außergewöhnliche Unterwasserfotos. Fünf an der Zahl, die als Serie 750, einzeln 175 Dollar kosten sollen.

Anders als die meisten der hier ausstellenden Sportler/Künstler hat sich Larry Young seit mehr als 25 Jahren ganz der Kunst verschrieben, von der er auch leben kann. Die abstrakten Skulpturen des Gehers (Bronze über 50 Kilometer sowohl 1968 als auch 1972) fallen in der Regel monumental aus und sind weltweit zu finden. Hier in der Galerie sind zwei kleinere ausgestellt, die als Mitbringsel nicht nur zu kaufen, sondern auch relativ mühelos zu transportieren wären, wenn man 3000 Dollar übrig hätte.

Etwa 50 ehemalige Olympiateilnehmer sind bisher mit dem einzigartigen Museum verbunden. „Kunst und Sport haben viel gemeinsam“, wird Al Oerter gern zitiert, „allein, Kunst ist nicht so schlecht für die Knie.“ Seine Witwe hat ein anderes Problem. „Uns fehlt ein Deutscher“, klagt Cathy Oerter. „Bei Ihnen muss es doch jemanden geben, der einmal bei Olympia war und sich auch künstlerisch betätigt.“ Und ob! Ganz spontan fällt uns der Berliner Goldjunge Robert Harting ein, der privat seiner Leidenschaft für Pinsel und Leinwand frönt.

Robert finde das Projekt „interessant“, teilt uns die Agentur des abgeschotteten Stars mit. Doch leider sei der Meister derzeit so mit den Saisonvorbereitungen beschäftigt, dass er keine Muße habe, sich mit solchen Dingen auseinanderzusetzen. Schade eigentlich, denn was hätte besser zum Oerter Center gepasst als ein malender Olympiasieger im Diskuswerfen?

Der Kunstgriff mit der Diskusscheibe

Bob Beamon, das Aushängeschild.
Bob Beamon, das Aushängeschild.

© Gerd W. Seidemann

Die Zeit der Trainingcamps hat der 66-jährige Bob Beamon längst hinter sich gelassen. Doch große Sprünge im übertragenen Sinn hat er nach seinem sportlichen Erfolg nicht gemacht. Er ist bescheiden geblieben, auch weil er weiß, dass sein Fabelsprung in großem Maße günstigen Umständen geschuldet war, die allesamt an jedem denkwürdigen Moment in Mexiko zusammenkamen: eine neuartige Tartanbahn, ein millimetergenauer Absprung, wie er selten gelingt, ein Maximum an zulässigem Rückenwind und, nicht zuletzt, die dünne Luft der hoch gelegenen mexikanischen Hauptstadt, wo weniger Widerstand herrscht als andernorts. Zuvor war der Weltrekord mit 8,35 Metern von Ralph Boston (USA) und Igor Ter-Owanesjan (UdSSR) gehalten worden.

Nach seinem Sieg bei Olympia war es still geworden um Beamon. Der gelernte Schneider hatte ein kurzes Intermezzo als Profisportler, schloss 1972 ein Soziologiestudium an der Adelphi University in New York ab, fand Gefallen an der Sozialarbeit und kümmerte sich vor allem um die Nachwuchsarbeit in der US-Leichtathletik. „Für mich ist es heute eine Ehre, das Anliegen des großen Al Oerter mit zu tragen, olympische Ideale und Werte zu vermitteln“, sagt Beamon.

Der viel beschworene olympische Geist weht vor allem im Erdgeschoss des Al Oerter Centers. Dort ist nicht nur in Wort und Bild die Geschichte der Olympischen Spiele der Neuzeit dokumentiert, es sind auch allerlei Memorabilien bekannter Athleten ausgestellt. Eine von Al Oerters Diskusscheiben, natürlich, die er übrigens auch in seiner Kunst verwendete, indem er viel Farbe auf riesige Leinwände goss, um sie dann mit dem Diskus zu befeuern.

Auf der Suche nach Unterstützung von Sponsoren und Sportler reist Cathy Oerter um die Welt. „Gib nicht auf!“, hatte Al ihr mit auf den Weg gegeben. So ist sie bei vielen großen Sportveranstaltungen unterwegs. „Die Olympischen Spiele sind natürlich die größte Bühne für Sportler. Deren Sprünge und Würfe haben jedoch alle schon gesehen. Wir hingegen bieten eine Plattform, um die anderen Talente der Sportler ins rechte Licht zu rücken.“

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