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© laif

Reise: Alles, watte wills

Wandelbares Oberhausen: von der Wiege der Ruhrindustrie zur Kulturmetropole. Eine Stadt, wie gemacht für Entdecker

Wer sich früher im Urlaub als Oberhausener outete, wurde immer bemitleidet. „Ihr wollt sicher mal blauen Himmel sehen“, war die meistgehörte Reaktion, auch als die Fabrikschornsteine, Zechentürme und Hochöfen schon längst abgerissen waren. Aber dann kam der späte Triumph. Im nahen Holland hingen zeitweise Werbeplakate, in denen für drei Städtetrips geworben wurde: London, Paris und – Oberhausen. Und in diesem Jahr ist die Metropole Ruhr Europäische Kulturhauptstadt – mit Oberhausen mittendrin.

Den Städteurlaubern ging es bisher zugegebenermaßen meist um das CentrO, das „größte Einkaufszentrum Europas“ in der Neuen Mitte. Sei es wie es sei: Vor einem Vierteljahrhundert hätte man es nicht für möglich gehalten, dass auf den Industriebrachen am Autobahnkreuz mal Hotels gebaut werden würden, eine Riesenarena, ein Freizeitpark, ein Musicaltheater, ein Aquarium und ein Spaßbad. „I know, Oberhausen is very important“, hat Brian Ferry einmal in London gesagt.

Die Neue Mitte befindet sich tatsächlich so ungefähr im geografischen Mittelpunkt der 217 000-Einwohner-Stadt. Gekommen ist das dadurch, dass Oberhausen aus drei Orten gebildet wurde: Alt- Oberhausen im Süden, Sterkrade im Norden und Osterfeld im Osten. In der Mitte lag das Firmengelände der Gutehoffnungshütte. Die gigantische Hochofenanlage produzierte noch 1960 zehn Prozent der bundesdeutschen Roheisenproduktion. 

Das CentrO, ein von Parkhäusern eingefasstes Einkaufszentrum, verzeichnet im Jahr 23 Millionen Besucher. Die meisten Touristen beschränken sich auf diese Glitzerwelt. Dabei ist Oberhausen besser als sein Ruf. Es ist vielleicht keine Stadt für Genießer, aber eine Stadt für Entdecker. Die „Wiege der Ruhrindustrie“ entstand aus dem Nichts, in einer Art Goldgräberstimmung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das Gold war die Kohle. Oberhausens Entwicklung ist für Deutschland ganz untypisch und eher mit der amerikanischer Städte zu vergleichen. Die Straßenführung in Alt-Oberhausen verläuft so rasterartig wie in Manhattan. Die Revierstadt war ein Schmelztiegel verschiedenster Nationen.

Die Stiche und Fotos im LVR-Museum in einer ehemaligen Fabrik hinter dem Hauptbahnhof zeigen noch das gewaltige Industriepanorama, das bis in die 80er Jahre Bestand hatte. Oberhausen konnte damals spektakulär sein, vor allem in der Abenddämmerung: die Ruß spuckenden Kokereien, die aus den Hochöfen flackernden Stichflammen, untermalt vom ewigen Rattern der Güterzüge.

Von der Gutehoffnungshütte zeugen heute noch das ehemalige Hauptlagerhaus, das Werksgasthaus und der Gasometer, „Europas außergewöhnlichste Ausstellungshalle“. Das Raumerlebnis in diesem „Tower of Power“ beeindruckt auch den Weitgereisten: Im gläsernen Panorama-Aufzug schwebt man an der Innenseite des ehemaligen Gasspeichers zur Aussichtsplattform und bekommt dort das ultimative Oberhausen-Feeling. „Wenn die Sonne versinkt über der A3, is der Rest der Welt dir total einerlei. Und dann stehste auffem Gasometer im Sturmesbrausen. Und alles, watte wills, is Oberhausen.“ Sangen die Missfits, auch aus Oberhausen.

Die Gutehoffnungshütte baute 1844 die erste Arbeitersiedlung des Ruhrgebiets: Eisenheim, heute pechschwarz eingerußt von längst gesprengten Hochöfen. Eine Bank vor dem Haus, hintendran ein Gärtchen und auf dem Dach ein Taubenschlag – die pure Ruhrgebietsidylle. Wie die Betriebschefs wohnten, lässt sich in der Gartenkolonie Grafenbusch besichtigen. Gegenüber liegt das schönste Fleckchen der Stadt, der im englischen Landschaftsstil gehaltene Kaisergarten mit einem heiß geliebten kleinen Tierpark, dessen Besuch gratis ist.

In Oberhausen ist alles Menschenwerk, sogar der einzige Berg: eine Schlackenhalde. Aber das heißt nicht, dass es zwischen den Kanälen, Autobahnkreuzen und Gewerbegebieten kein Grün gibt, im Gegenteil. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts wurde Oberhausen als Park-Stadt konzipiert, in der sich terrassenartig gegliederte Grünflächen mit zeitgenössischer Architektur und Industrieanlagen abwechselten. Nach dem Krieg hat man dieses Erbe lange vernachlässigt, doch in den vergangenen Jahren wurden die Parkanlagen nach und nach restauriert.

Das schönste Beispiel dafür ist der Grillopark in der Innenstadt, hinter dem sich das Rathaus wie ein Ozeanriese aus einem Meer von Bäumen erhebt. Die Kontraste von hellem Naturstein und dunklem Klinker symbolisieren das Zusammenspiel gegensätzlicher Kräfte in einer Demokratie. Das Rathaus stammt aus der kurzen Blüte der Weimarer Republik. Ein Wunder, dass es den Bombenhagel überstand, ebenso wie die Jugendstilvillen des angrenzenden Marienviertels. In der Herz-Jesu-Kirche an der Marktstraße war der gebürtige Oberhausener Christoph Schlingensief jahrelang Messdiener: „Zwei bis drei Vorstellungen in der Woche, für einen Schauspieler ein guter Schnitt.“

Die alte Innenstadt hat unter der Konkurrenz des CentrO sehr gelitten. Die Kaufkraft wurde umgeleitet, auf der Marktstraße hielten Billigketten Einzug. Der Unterschied zwischen alter und neuer Mitte ist frappierend. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die eine für die Armen, die andere für die Reichen bestimmt ist. Oberhausen hat es aber auch nicht leicht, die hoch verschuldete Stadt muss sich völlig neu erfinden. In den 70er und 80er Jahren ist die traditionelle wirtschaftliche Basis nahezu komplett weggebrochen. Die neue Erlebnislandschaft in der Neuen Mitte ist da sicher nicht der schlechteste Rettungsanker. Eine Institution hat allerdings in Oberhausen und dem gesamten Pott überlebt: die „Bude“. Rollmöpse und Gurken finden sich heute seltener, doch Pilsken und Fluppen gibt’s weiterhin. Und vor allem: Kommunikation.

Christoph Driessen

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