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Alpen: Und die Engel sind schon da

Der Bergadvent im österreichischen Großarltal hat seinen eigenen Zauber. Wem’s zu besinnlich ist, der geht auf die Piste.

Am Nachmittag waren die Jungs mit ihren Snowboards noch quietschvergnügt und waghalsig auf der Piste. Es fährt sich gut dieser Tage, dort oben am 2010 Meter hohen Kreuzkogel. Am Abend in der Pfarrkirche werden die zehn-, zwölfjährigen Buben kaum wiederzuerkennen sein. Als Hirten verkleidet stehen sie dann vor dem Engel, der ihnen von der Geburt des Heilands erzählt. Es ist nur eine Veranstaltung von zahlreichen, die zum Bergadvent im Großarltal gehören. Das Ganze gleicht einem Geschenkpaket voller Besinnlichkeit, weit weg vom Kassengeklingel in den Städten.

Im Zentrum des kleinen Ortes Großarl stehen, locker verteilt, zwanzig sterngeschmückte Holzhütten. Da gibt es Kerzen, Wollmützen, Glaskugeln oder bestickte Täschchen, meist von den Einheimischen selbst gefertigt. Der Duft von Glühwein und Punsch liegt in der klaren, kalten Luft. Man muss nicht lange anstehen fürs Hochprozentige oder für Krapfen und frisch gebackenes Kletzenbrot, eine Art Früchtebrot, die Spezialität der Region. „Was drin ist, sagen wir schon“, plaudert der betagte Bäcker freundlich, „aber das Rezept verraten wir nicht.“

Vor dem Hotel Neuwirt blasen Vater und Sohn in ihre Trompeten. Immer mal wieder werden sie die Instrumente ansetzen und die Menschen mit ihren Klängen auf dem schmalen Weg zur Kirche hinauf begleiten. Den Touristen hat man in den Hotels Fackeln in die Hand gegeben, auch Einheimische haben welche mitgebracht. Ab und zu hält die kleine Menge an. Daniela und Eva, beide 28 Jahre alt, stehen dann im Weg – und singen glockenhell. Oft seien sie in letzter Zeit ins 16 Kilometer entfernte St. Johann gefahren, um diesen Pongauer Viergesang zu lernen. „Denn nur dort gibt es noch eine ältere Frau, die ihn lehren kann“, sagt Daniela. Anrührende, fremd klingende Lieder im Dialekt sind es, die von Maria und Josef, vom Leben und vom Tod erzählen. „Es ist doch schön, wenn diese Texte nicht vergessen werden“, sagt Eva. Und: das Singen mache viel Spaß.

Oben an der Kirche halten drei Männer ihre Alphörner bereit. Drei bis vier Meter lang ist so ein Instrument. Und wahrscheinlich ziemlich schwer. „Ach nein“, sagt ein Musiker mit eisgrauem Bart, „sie sind leicht, es ist ja Fichtenholz.“ Sobald die Männer die Hörner absetzen, ertönt von unten – wie ein leises Echo – der Trompetenklang von Vater und Sohn. Das Publikum steht derweil still zwischen den schmiedeeisernen Kreuzen auf dem Kirchfriedhof. Auf den Gräbern flackern rote Totenlichter. Die Namen der Verstorbenen hat man tagsüber studiert: Laireiter, Prommegger, Viehhauser oder Toferer. Namen, die man immer wieder sieht an Hotels, Gaststuben und Läden. Die Großarltaler, so scheint’s, bleiben ihrer Heimat treu. Über viele Generationen hinweg werden Betriebe von derselben Familie geführt. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, ist denn alles eins?

„Jetzt, mit der EU, wird so viel vermischt“, sagt Josef Gschwandtl, „da darf das Eigene nicht vergessen werden, da muss man es hüten.“ Und deshalb ist der 51-Jährige froh über den Krippenverein, der sich 2002 gegründet hat und dessen Vorsitzender er ist. „Wir sind der einzige Krippenbauverein im Pongau“, sagt er stolz. 48 Mitglieder gehörten schon dazu, und immer mehr hätten Interesse, einzutreten. „Es hat keinen Sinn, immer nur zu kritisieren“, sagt Gschwandtl. Man müsse selbst etwas tun, um die Jugend ins Brauchtum einzubinden. Am besten in einem Verein, „wo man das lenken kann“.

Sein Geld verdient Gschwandtl als Maschinist bei der Bergbahn, sein Herz aber gehört dem Krippenverein. Dafür hat er nach dreijährigen Kursen die Prüfung zum Krippenbaumeister bestanden. Sein Meisterstück steht jetzt neben anderen Werken in der Krippenausstellung. 40 Stunden Zeit gab man Gschwandtl, um die geforderte orientalische Krippe zu fertigen. Die übrigen Schauplätze der Geburtsstätte Jesu sind oft alpenländischer Art, aus Moos, Wurzeln und Holz. Und manch ein Häuschen sieht mit den Balkonen, geschnitzten Türen und Schindeln wie eine originale Almhütte aus, die hier und da auf den Wiesen steht.

Gschwandtl wünscht sich für jedes Großarltaler Haus eine Krippe. Er mag es nicht, wenn man seine Arbeit im Krippenbauverein als Hobby bezeichnet. „Ich sehe es eher als Auftrag an“, bekennt er.

Werte bewahren will auch der 35-jährige Willi Huttegger vom Steinmannbauer Hof. Allerdings anders als die Generationen vor ihm. „Es bringt nichts, einfach nur wie der Vater weiterzumachen“, sagt er. Neues zu entwickeln sei „eine Notwendigkeit“. Er hat auf ökologische Landwirtschaft umgestellt. Mensch, Tier und Umwelt, das sei eine Dreiecksbeziehung. Die müsse stimmen. Und die Einstellung zur Arbeit natürlich auch. „Das Wichtigste ist: Man muss tun, was einen freut. Wenn’s dich freut, wird’s auch gut“, sagt er überzeugt.

Ein Motto, das auch ungeübte Skifahrer beflügeln kann. Achtzig Pistenkilometer sind vorhanden und gehören zum Großverbund Ski amadé. Da können Anfänger täglich ihre Fortschritte beim Einkehrschwung feiern. Hütten gibt’s genug, die einen mit Schrummelweisen und andere sogar mit Technomusik. Die Beschallung ist allgegenwärtig. Selbst auf den Toiletten sind Lautsprecher angebracht.

Immer mehr Gäste halten sich lieber abseits des Pistenrummels. Und probieren zum Beispiel eine Schneeschuhwanderung. Rund um die 1800 Meter hohe Saukaralm kann man durchs unberührte Weiß stapfen und zum Bergkreuz hinaufsteigen. Von dort oben, so sagt der Wirt von der Saukarhütte, kann man 600 Gipfel sehen. Und sich später in der mollig beheizten Hütte einen Kräutertee bestellen. Alte bemalte Gedenkscheiben für Schützen schmücken die Wände. Eine zeugt vom schrägen Humor der Bergler. Da tragen Hirsche einen Sarg, auf dem Gewehr, Jagdhorn und Jägermütze liegen. Ein Fuchs marschiert fröhlich vorneweg, ein Reh spitzt vergnügt die Ohren. Der Spruch darunter: „Ihm ist wohl, uns ist besser.“ Vielleicht hat sich der Scheibenmaler das an einem langen, dunklen Adventsabend ausgedacht.

Bevor die Touristen kamen, war das Leben im Großarltal kein Zuckerschlecken. Das kann man in den alten Filmen sehen, die fürs Almkino im Freilichtmuseum Hüttschlag digitalisiert wurden. Einer fängt an mit dem Begräbnis von Jakob Gratz und erzählt dann seine Lebensgeschichte. Als junger Bursche im ersten Weltkrieg diente er bei den Kaiserschützen und brachte seine Familie später nur mit Mühe durch. Bauernarbeit brachte nicht viel ein. Die Suppe, die von den Kindern am Tisch gelöffelt wurde, war dünn, und die Gesichter der Eltern waren wettergegerbt und vor der Zeit runzlig geworden.

Die Lieder, die heute an diesem Adventssonntag gesungen werden, gab es schon damals. Zu Gitarre, Xylofon und Harfe erklingen fröhliche Melodien. Nichts hört sich getragen an, die Weihnachtszeit steht nicht für traurige Botschaften. „Oh, die Engel sind a scho da“, ruft ein kleiner Hirte in der Aufführung und strahlt die beiden Mädchen in den weißen Gewändern an. Die Einheimischen schmunzeln, und einer sagt zum Nachbarn: „Wie dem Franz sein Xaverl schon gewachsen ist.“

Später, beim Hinausgehen, beklagt sich eine Urlauberin im Pelzmantel über die kalte Kirche. „Das alles“, sagt sie schnippisch, „hätte man doch ebenso gut im Hotel Edelweiß aufführen können.“ Ein Einheimischer schaut sie mitleidig an. Die Arme: Sie hat ihn nicht gespürt – den Zauber des Bergadvents.

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