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Indien: Gott Ganesha backboard

Flüsse, Seen und Kanäle bilden die Backwaters im Süden Indiens. Wie man dort lebt, lehrt eine Hausbootreise

Schiffskoch Manoj löst Kapitän Sabu am Steuer des Hausbootes ab und drückt mit dem rechten nackten Fuß lässig den Gashebel durch. Langsam nimmt die „Sree Parvathy“ Fahrt auf. Die Brise verspricht für einige Sekunden Kühlung – bis man merkt, dass auch dieser Lufthauch kaum Erfrischung bringt unter der heißen Sonne Südindiens. Der Smutje am Steuer, geht das gut? „Keine Angst, ich kann das!“, ruft Manoj den Passagieren zu – und weicht wie zum Beweis elegant einer herannahenden Fähre aus. Am Ufer wächst eine grüne Wand aus Kokospalmen empor, dazwischen erheben sich Bananenstauden, Mango- und Papayabäume. Hier und da leuchtet das Gelb abgeernteter Reisfelder auf. Frauen tauchen Wäsche ins flache Wasser, rubbeln sie und schlagen die feuchten Stücke dann klatschend auf die Ufermauer. Wir gleiten vorbei. Der Dieselmotor tuckert, das Wasser gluckst unter dem Rumpf. Entspannt geht es zu in den Backwaters, dem verzweigten Wassernetz im südindischen Bundesstaat Kerala. Das allgegenwärtige Wasser verlangsamt alles. Es lässt die Bilder der geschäftigen Straßen Alappuzhas mit ihren hupenden Tuk-Tuks und knatternden Mofas verblassen, wo das Boot eben noch vor Anker lag. Rund 1000 Kilometer misst das Labyrinth aus Seen, Flüssen und Kanälen und erstreckt sich von der Stadt Kollam im Süden bis nach Kochi im Norden. Eine Million Menschen leben hier mit und vom Wasser: Es lässt den Reis wachsen, ist Badewanne, Waschmaschine, Fischfangrevier und Transportweg. Und es bringt die Touristen. Fremdenführerin Anuja weiß nicht, wer hier vor 20 Jahren die Idee hatte, alte Reistransportkähne zu Hausbooten für Urlauber umzurüsten. „Aber es war eine gute Idee“, sagt sie. Inzwischen fahren rund 1500 dieser kettu vallam über die Backwaters – vom engen Ein-Raum-Boot bis zur Zehn-Zimmer-Nobelherberge mit Whirlpool und Sonnendeck. Schön anzusehen sind sie alle mit ihren tiefbraunen Rümpfen aus Jackbaumholz und den kunstvollen Deckaufbauten aus Palmblättern. Auf der „Sree Parvathy“ kümmert sich die dreiköpfige Besatzung um das Wohl der Gäste: Kapitän Sabu, Koch Manoj und Jose, „Mann für alles“. Manoj legt am Ufer an. Sightseeing an Land für die Passagiere. An kleinen Häusern in Mintgrün, Pink und Himmelblau vorbei führt der Uferweg zu einem mit Girlanden geschmückten Hindu-Tempel. Frauen in bunten Saris machen den Besuchern lächelnd Platz. Ein radelnder Fischverkäufer hat es mit seiner verderblichen Ware auf dem Gepäckträger schon eiliger und fordert klingelnd freie Fahrt. Am gegenüberliegenden Ufer ragt vom Dach einer Kirche ein riesiges Betonkreuz in den Himmel. 18 Prozent der Einwohner Keralas sind Christen. „In den Tempel gehen aber trotzdem viele“, sagt Anuja. Es könne schließlich nicht schaden, sich auch mit Vishnu, Krishna oder einem der über 300 Millionen anderen Hindu-Götter gut zu stellen. Zurück an Bord beäugt der elefantenköpfige Gott Ganesha als bunte Plastikfigur im Regal neugierig das Abendessen: Kingfish, gebratene Bananen, Gemüse, Reis und zum Nachtisch Payasam, eine süße Milchsuppe mit Nudeln, Cashewnüssen und Rosinen. Dazu das regionale Bier „Kingfisher“ – Eisvogel. Koch Manoj arbeitet nicht nur hier, das Schiff ist auch sein Zuhause, meistens jedenfalls. „Meine Frau und meine Tochter wohnen 100 Kilometer entfernt in den Bergen“, sagt er. „Vier freie Tage am Stück habe ich im Monat, da fahre ich nach Hause.“ Sabu hat es besser, lebt im nahen Alappuzha. „Früher habe ich auf den Reisfeldern und als Fischer gearbeitet“, erzählt er. „Aber dieser Job hier macht mir mehr Spaß.“ Nur manchmal gehen ihm Touristen ein wenig auf die Nerven, etwa seine Landsleute aus dem Norden, die recht arrogant sein können. „Das liegt am Kastenwesen“, meint Anuja. „Das ist da oben viel ausgeprägter als in Kerala.“ In der Tat ist in dem kleinen Bundesstaat, der im Westen vom Arabischen Meer und im Osten von den Gipfeln der Westghats eingerahmt wird, manches anders als im übrigen Land. Seit 1957 regieren in regelmäßigen Abständen die Kommunisten, die immer gegen das Klassendenken zu Felde zogen. Krasse Armut gibt es kaum, dank einer Landreform und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Wer es sich leisten kann, schickt auch die Töchter zur Universität – so wie die Eltern von Anuja. Die ist eigentlich Programmiererin. „Das war mir aber irgendwann zu langweilig“, sagt sie, kichert und klimpert mit ihren bunten Glasarmbändern. Die schönste Tageszeit in den Backwaters? Anuja muss nicht lange überlegen: früh um sechs zum Sonnenaufgang, wenn das Wasser noch spiegelglatt ist. Prompt sind am nächsten Morgen alle Passagiere früh auf den Beinen – und stolpern erst einmal über die Crew, die mangels eigener Kajüten noch friedlich an Deck schlummert. Auf dem Ankertau hockt ein Eisvogel. Das Wasser kräuselt sich kein bisschen. Und dann kommt der große Auftritt: Dunkelrot hievt sich die Sonne zwischen zwei Kokospalmen empor. Manoj serviert dampfenden süßen Marsala Chai, den indischen Gewürztee. Während sich die Kanäle langsam wieder mit den Booten der Ausflügler füllen, steuert die „Sree Parvathy“ das Ufer von Moncompu an. Denn es gibt noch eine andere wunderbare Art, in den Backwaters Urlaub zu machen: in einer der kleinen Privatpensionen, den Homestays, die von einheimischen Familien betrieben werden. Mit etwas Glück nächtigt man sogar in einem der liebevoll restaurierten, 150 Jahre alten Kerala-Häuser mit typischem Spitzgiebel und schönen Holzschnitzarbeiten. Bei Professor Chacko und seiner Frau Salimma etwa steht das von Säulen gesäumte Gästehaus „Nelpura Heritage“ direkt neben dem Wohngebäude. Auf der Veranda haben es sich Allison und David aus Oxford bequem gemacht. „Aufs Hausboot gehen wir morgen, aber hier ist es auch toll“, schwärmt David. Am Vormittag haben sie die örtliche Grundschule besucht. Immer wieder strecken Kinder auf dem Nachhauseweg ihre Köpfe über die Gartenmauer. Den drahtigen Pensionären fehlt hier nur eins: die eigene Bewegung. Zu Fuß kommt man schließlich nicht weit in diesem Wasserlabyrinth. Kalorien verbrennen – nach einem Urlaub im „Nelpura“ ist das dringend nötig. Denn Koch Thomas versteht sein Handwerk. Bedächtig bestreicht er ein Bananenblatt mit einer Paste aus Tomaten, Zwiebeln, Knoblauch, Chili und Pfeffer, legt ein Stück Fisch hinein und verschnürt das Ganze zu einem kleinen Paket. „Das kommt in den Wok, 15 Minuten auf kleiner Flamme“, erklärt er. Dazu Pachaddi aus Roter Bete und Kokospaste, gebratener Weißkohl und Pappaddam, knusprig frittierte Fladen aus Linsenmehl. Dass man ihm in der Küche auf die Finger schaut, ist der 51-Jährige gewöhnt: An Wochenenden bietet das Gästehaus auch Kochkurse an. Wenn der Abend naht, wird auch in Moncompu der Koch zum Kapitän. Dann stakt Thomas Besucher im Kanu durch die verwunschenen Wasserstraßen. Vor den schmalsten Kanälen müssen nämlich selbst die Hausboote kapitulieren. Wer ins Herz der Backwaters vordringen will, muss eine Nummer kleiner unterwegs sein. Langsamer ist das, ruhiger – und umweltfreundlicher. Denn das durch die rasante Besiedlung ohnehin angeschlagene Ökosystem der Region leidet zunehmend auch unter den Dieselmotoren der stattlichen Hausbootflotte. Das Kanu hingegen gleitet geräuschlos durchs Wasser, während das Tageslicht verblasst. Ein Cashewfruchtbaum reckt seine Äste über den Kanal. Im Halbdunkel steht eine junge Frau im Wasser und wäscht sich die Haare. Eine Flussbiegung, dann noch eine. So verschlungen scheint das Netz kleiner Kanäle, dass man sich fern jeglicher Zivilisation wähnt. Da taucht am Ufer die weiße Mauer des „Nelpura“ wieder auf. Das Kanu parkt in einem Teppich blauer Wasserhyazinthen. Noch immer ist die Luft heiß. Auf der Veranda wartet ein Liegestuhl unterm leise summenden Ventilator. Und im Eisfach ein kühles „Kingfisher“.

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