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Kultur des Lächelns - nicht nur an der riesigen Tempelanlage Prambanan. Im Mai 2006 war sie bei einem Erdbeben in Mitleidenschaft gezogen worden.

© laif

Java: Alle Blumen für die Götter

Die Welt hat Indonesien wiederentdeckt - und staunt über Java. Kolossal sind die Tempel, freundlich die Menschen.

Die blasse Engländerin, die sich auf der sechsten Terrasse des Borobudur-Tempels auf Java niedergelassen hat, summt verzückt "Here comes the sun". Langsam färben sich die Wölkchen über der waagerechten Fahne des Vulkans Merapi zartrosa. Aus dem Dunst der Nacht schälen sich die Silhouetten von Palmen, Bananenpflanzen und Jackfruchtbäumen. Dann glühen die Kringel und Tupfer dieser überdimensionierten steinernen Geburtstagstorte auf, als erwärmten sie sich von innen. Scharf und wie für die Ewigkeit gehauen treten die Umrisse der schweren Glocken der Stupas hervor, und auf die Gesichter der über tausend Jahre alten Buddhas legt sich ein rätselhaftes Leuchten.

Der Weg ganz nach oben, ins buddhistische Nirwana, ist lang. Aber Hanafi, der Muslim, ist ihn schon viele hundert Male gegangen. Und hat dabei seinen Gästen während der Rundgänge um die neun Terrassen des Heiligtums die Reliefs mit Szenen aus dem Leben Buddhas gezeigt und ihnen erklärt, wie man die Welt der Begierden hinter sich lassen muss, um irgendwann den Zustand der Erleuchtung zu erlangen. Nein, sagt der 43-jährige Führer mit den vielen Lachfältchen, sein Allah habe keine Einwände, dass er so verständnisvoll über eine andere Religion spreche. Sein Allah wolle, dass alle Religionen friedlich nebeneinander lebten. Auf der ganzen Erde - und auf Java sowieso.

Und sie tun gut daran - denn die Welt hat Indonesien wiederentdeckt. Nach blutigen Unruhen zu Beginn des Jahrtausends und dem Attentat auf Bali 2002, das 202 Menschen das Leben kostete, haben die Touristen langsam den Weg zurück gefunden. Sechseinhalb Millionen waren es im vergangenen Jahr, 15 Prozent mehr als 2008, darunter etwa 120 000 Deutsche, die es erstaunlicherweise überwiegend immer noch nach Bali zieht. Dabei hat Java, vor allem die Mitte und der Osten, noch im Übermaß, was der "Trauminsel" Bali zunehmend abhanden kommt: Platz, Ruhe, Charme - und Menschen, die ihren Besuchern freundlich, aber zurückhaltend gegenübertreten.

Als der Tag beginnt, bringen Pferdekutschen die Gäste übers Land zurück zum Hotel. Ein Bauer schleppt ein Bündel Tabakblätter, ein anderer hackt sein Reisfeld um. Kinder in Schuluniform winken fröhlich, aus einem Garten lodert ziegelrot ein Flamboyantbaum. In Tuksongo, einem kleinen Dorf, lässt Hanafi anhalten. Frauen sitzen in einem Hof und machen feixend offenbar Witze über die Fremden. Sie zerpflücken das Innere von Arén-Palmen, weichen die Fasern in Wasser ein und sammeln die Stärke, die sich am Boden absetzt. Auf Brettern hinterm Haus trocknen durchsichtige Schnüre, die daraus gepresst wurden: Glasnudeln! Junge Männer sitzen zwischen feuergeschwärzten Kesseln und wickeln die Nudeln zu Strängen auf - Nachschub für Suppen und Bami Goreng. Umgerechnet zwei bis drei Euro verdienen sie am Tag, wenn sie sich sputen. Etwa so viel erhält ein Angestellter in einem guten Hotel als Einstiegsgehalt. Etwa so viel kostet dort auch ein Bier.

Indonesien mutet dem Besucher einiges an Kontrasten zu: Hier die stickigen Höhlen der Batikmanufaktur, in deren Düsternis sich Männer und Frauen die Augen ruinieren. Oder die heiße Halle der Tabakfabrik, in der 500 Frauen zehn Stunden am Tag Zigaretten mit Nelkenschrot drehen, drehen, drehen. Dort die luftigen Terrassen alter Kolonialbauten oder die blumenübersäten Badewannen und extravaganten Bungalows manch großartiger Hotels, wo es sich die Besucher gut gehen lassen. Die weihevolle Stille exklusiver Wellnesstempel hier, apokalyptisches Geknatter Hunderttausender von Mopeds in Yogyakarta. Das Bild schwer atmender, schwarz verkrusteter Männer, die aus dem Moorsee Rama Pening fruchtbare Erde schaufeln, neben dem europäischer Hochzeitspaare, die im Liegestuhl bei einem Gin Tonic dem Sonnenuntergang entgegensehen.

Immer ist hier die Armut neben dem Luxus zu Hause, das Erhabene neben dem Profanen, das kleine Dorf neben der großen Welt. Und die Zerstörung neben dem Aufbau.

Am 27. Mai 2006, morgens um 5 Uhr 50, ging für die Menschen südlich von Yogyakarta die Welt unter. "Gempa" brach aus, ein Erdbeben der Stärke 5,8. Es tötete 5800 Einwohner, zerstörte 130 000 Häuser und machte auch vor Prambanan nicht halt, dem 1200 Jahre alten Heiligtum der Hindus. 16 der ursprünglich einmal 240 Tempel hatte man bis 1993 renoviert - und alle wurden sie an jenem verhängnisvollen Morgen in Mitleidenschaft gezogen. Hell klingen die Hämmer der Steinmetze über das weite, wohlsortierte Trümmerfeld, aus dessen Mitte filigrane Kuppeln und Türme ragen. Ein Generator wummert, ein Eisengerüst stützt den Nandi-Schrein - immerhin wurde Prambanan nach dem Unglück zum Weltkulturerbe erklärt. So fließt Geld und 60 Javaner finden Arbeit bei der Restaurierung.

Auch Endang Supriyanti in Yogyakarta hat es getroffen: Ihr Haus zerfiel in wenigen Augenblicken. Seitdem lebt sie, eine Frau um die 40, in einer "Hütte aus Bambus mit Plastikplanen" - und hat doch ihren Humor nicht verloren. Die Dutzende von Tempelwächtern im Palast des Sultans, durch den sie führt, seien zu nichts gut, als "herumzusitzen, zu rauchen und zu trinken". Und auch zum Sultan selbst hat sie ein entspanntes Verhältnis: Keine Frage, er habe magische Kräfte - schließlich verschonte das Beben ausgerechnet sein riesiges Anwesen mitten in der Stadt. Und sein Vater, Sri Sultan Hamengku Buwone, war ein tapferer Mann, dessen Treue zu Sukarno zu Recht mit seiner Unabhängigkeit belohnt wurde. Aber die Huldigungen, die ihm zuteilwerden, kommentiert sie eher spitz. Die Polohandschuhe? Der Herrscher war eben ein guter Spieler. Die Briefmarke, die ihn mit Baden-Powell, dem Gründer der Pfadfinder, abbildet? Der Sultan war selbst Verfechter der Bewegung. Das Meißner Porzellan und die Junghans-Uhr? Staatsgäste müssen schließlich eine Kleinigkeit mitbringen. Und die Fleischklopfer, Kartoffelstampfer und Dosenöffner, die wohl beleuchtet und gut geschützt wie Reliquien hinter Glas ausliegen? "Hobbykoch war er auch, unser Sultan - und sehr stolz auf sein Werkzeug aus Europa."

Ein weiteres Mal heißt es früh aufstehen. Am Mount Bromo ist es kühl, aber die Jackenverleiher stehen schon Spalier. Umgerechnet eineinhalb Euro für zwei Stunden, für ein Jäckchen das im Einkauf gerade mal fünf kostet - bessere Profitraten finden sich im ganzen Inselreich nicht. Wie modelliert steigen die Kegel dreier Vulkane aus dem zehn Kilometer breiten Tengger-Kessel empor: Batok mit seinen grünen, scharf konturierten Rippen neben dem fahlen Bromo. Dahinter Semeru, mit 3670 Metern der höchste Berg Javas, der, wie im Bilderbuch des Vulkanologen, in längeren Abständen eine Wolke ausstößt, die sich gefährlich aufbläht, ehe sich ihre Konturen im Himmel verlieren.

Durch schwarzen Sand führt der Weg zum Bromo und dann nochmal 250 Stufen hoch zum Kraterrand. Es stinkt nach Schwefel, graue Dampfschwaden jagen hoch, reißen manchmal auf und geben für Sekunden den Blick frei auf weißgelb verkrustete Felsen und einen schrundig zerklüfteten Abgrund.

Junge Männer verkaufen Sträuße aus malaiischem Edelweiß, das an Schleierkraut erinnert. 5000 Rupias, etwa 40 Cent, kostet es, die Götter tief unten milde zu stimmen. Immer galt und gilt es auf Java, Kräfte milde zu stimmen, die sich einfach nicht besänftigen lassen wollen. Auch die Besucher aus dem Westen schleudern ein Gebinde in den Schlund. Und wünschen, dass sie endlich Frieden finden, die freundlichen, so hart geprüften Menschen von Java.

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