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Eine grüne Hölle sind die Mangrovenwälder auf Grand Bahama nicht. Vielmehr schützen sie vor möglichen Tsunamis.

© Helgard Below

Bahamas: Wo Makrelen Pirouetten drehen

Auf den Bahamas kann man nicht reich werden, aber glücklich, sagt ein Bewohner. Urlaubern gelingt das über und unter Wasser.

Ein großer dunkler Schatten nähert sich dem Strand. Lautlos gleitet er im knietiefen Wasser über den gewellten, lichtüberfluteten Meeresboden. Nackte Füße stehen im Kreis und warten. Zwischen den Zehen ist Fischfutter eingeklemmt. Georgina kennt das schon. Immer, wenn Tauchlehrer Brendal mit seinem Boot an einem halb zerfallenen Holzsteg auf Manjack Island anlegt, bringt er diese mobilen Futterspender mit. Der etwa eineinhalb Meter lange Stachelrochen schwimmt direkt auf die Menschen zu, Füße verschwinden unter seinem Maul und der erste spitze Schrei ist zu hören. „Uh, das kitzelt!“ Vorsichtig hat Georgina das Fischfleisch zwischen den Zehen herausgesaugt und ist schon unterwegs zum nächsten Futterfuß. Beim Abdrehen streift sie mit dem Flossensaum die nackte Haut wie ein nasser Waschlappen.

„Georgina kenne ich schon seit 25 Jahren“, sagt Brendal, „sie riecht die Beute und lässt leere Zehen einfach aus.“ Wenige Minuten vorher ist Brendals Boot in die türkisblaue Lagune der unbewohnten Insel eingelaufen. Sie gehört zu einem Staat mit 700 Koralleninseln in der nördlichen Karibik, von denen nur 29 bewohnt sind. „Baja Mar“ nannte Columbus den Archipel, als er ihn 1492 auf seinem ersten Landgang in der Neuen Welt betrat – „flaches Meer“. Daraus entstand der Name Bahamas.

Karibische Indianer bewohnten damals die einsame Inselgruppe. Später boten ihre versteckten Buchten Unterschlupf für Piraten. Heute sonnen sich normale Touristen und Prominente an makellosen, palmengesäumten Stränden, bewundern die bunten Holzhäuser des Örtchens Hope Town on Great Abaco Island, lassen sich in Luxushotels rundum verwöhnen oder erkunden als Kreuzfahrer bei einem Landgang den quirligen Hauptort Nassau. Aber die Bahamas bieten noch viel mehr. Beim Bonefischen, Schnorcheln und Paddeln lassen sich wahre Naturschätze erobern.

Die kleine Schnorchel- und Tauchergruppe ist auf dem unberührten Strand von Manjack ausgeschwärmt. Der eine oder andere hat zwischen Muscheln und Seesternen einen Seedollar gefunden, das runde, münzflache Skelett einer Seeigelart, das Glück bringen soll. Die weite Bucht leuchtet unter tropischer Sonne. Brendal grillt Red Snapper und Hummerschwänze, summt dabei Bob Marley-Songs. Die Gäste schlürfen im Schatten von Kokospalmen einen kühlen Bahama Mama (Rum, Grenadinesirup, Fruchtsaft) und lümmeln bei Reggaemusik im Sand. Und sie genießen die körperwarme Riesenbadewanne.

Gott muss hier seinen Tuschkasten umgekippt und die Blautöne verloren haben. Perfekt sind die Farben gemischt, von durchsichtigem Wasserblau über knalliges Türkis bis zu tiefblauem Ultramarin. Die Augen können sich nicht sattsehen. Auch die Haut ist unersättlich, das Meerwasser umschmeichelt sie wie Samt und Seide. Und kaum ist der Kopf mit dem Schnorchel unter Wasser, geht der Vorhang auf für ein überwältigendes Fischballett in Korallenkulisse.

Silbrige Makrelenschwärme wirbeln in tausendflossigen Pirouetten, Quallen schwingen ihre rosa Fransenröcke zwischen lilafarbenen Fächerkorallen und bunte Clownsfische tanzen Pas de deux im Anemonenwald. Aus einer dunklen Höhle erscheint der giftige Skorpionfisch und vollführt einen eleganten Schleiertanz. Und in der Ferne sausen pfeilschnell Barrakudas vorbei, die großen Räuber des Riffs.

Lenny Kravitz nimmt hier seine Platten auf

Tauchlehrer Brendal ist immer gut drauf.
Tauchlehrer Brendal ist immer gut drauf.

© Helgard Below

Brendal Stevens kennt nicht nur die Fischgründe und Korallenriffe der Bahamas wie seine Westentasche, sondern auch die Promis dieser Welt. In seinem Tauchshop auf Green Turtle Cay listet er auf einer „Wall of Fame“ all die großen Namen auf, die seit 1972 mit ihm auf Unterwassersafari waren: Jacques Cousteau, Paul Newman, Alfred Hitchcock und Marlon Brando. Weitere Berühmtheiten dürften in jüngerer Vergangenheit dazugekommen sein, seit Johnny Depp und Aga Khan sich benachbarte Inseln gekauft haben und Lenny Kravitz hier seine Platten aufnimmt. Kein Wunder. Kravitz’ Mutter ist auf den Bahamas geboren und so ist auch sein berühmtester Song „Fly away“ hier entstanden.

Inselhüpfen auf bahamaisch geht so: Vor dem Einstieg in die kleine Propellermaschine wird weniger das Ticket als das Körpergewicht kontrolliert. So manch einer flüstert seine Kilos verschämt der Frau am einzigen Abfertigungsschalter zu, denn Schummeln ist nicht angeraten. Schließlich möchte keiner einen Absturz der Cessna heraufbeschwören. Fünf Reihen hat der Flieger mit je zwei Sitzen. Eventuelle Ängste sind wie weggeblasen, wenn er schwerelos über die hunderte Inselchen gleitet. So fühlt sich Freiheit an.

Der Empfang auf der Landepiste von Grand Bahama ist herzlich: „Ich habe für gutes Wetter gebetet“, sagt Ranger Chad bei strahlendem Sonnenschein. 95 Prozent der Bevölkerung der Bahamas sind wie Chad strenggläubige Christen. Als Kind haben ihm die Nonnen in der Schule eine besondere Schöpfungsgeschichte erzählt: Als Gott nach sechs Tagen mit der Schöpfung fertig war, fiel ihm auf, dass er einen Platz zum „Chillen“, zur Entspannung, vergessen hatte. Da schuf er die Bahamas.

Wer die Einheimischen kennenlernt, findet diese schöne Legende bestätigt. Sie scheinen ihr Leben in einer Art Tiefenentspannung zu führen. „Wir haben weder Bodenschätze noch fruchtbare Böden auf den Bahamas. Und als wir begriffen, dass man hier nicht reich werden kann, haben wir beschlossen, einfach glücklich zu werden“, verkündet Chad mit einem breiten Grinsen.

Dabei verhehlt er nicht, dass es durch den Tourismus und viele Amerikaner, die hier einen Zweitwohnsitz haben, zu einem gewissen Wohlstand gekommen ist. „Seit der Finanzkrise kann man Ufergrundstücke schon für 100 000 Dollar kaufen“, sagt er lockend. „Wer Interesse hat, dem kann ich eins vermitteln.“ Geschäftstüchtig sind die Bahamaer also doch.

Chad erkundet lieber Wälder als den Ozean. Allerdings auch zu Wasser. Sein Gebiet sind die Mangroven des Grand Lucayan Nationalparks auf Grand Bahama. Wälder zwischen Land und Meer. Bäume, die im Schlamm wachsen, mit Luftwurzeln, die täglich von der Flut überschwemmt werden. Nachdem er die Touristen ins Paddeln eingewiesen hat, führt er sie durch Priele, über denen Mangrovenäste grüne Tunnel bilden. Die unerfahrenen Kanuten haben Mühe, nicht zu kentern, schrammen rechts und links hart am Gebüsch vorbei und rauschen manchmal auch mit der Kanuspitze hinein.

Auf einer Nussschale aufs Meer hinaus

Immer hungrig. Stachelrochen Georgina.
Immer hungrig. Stachelrochen Georgina.

© Helgard Below

Chad zeigt links auf einen Nachtreiher, der mit eingezogenem Kopf auf einem Ast schläft, am Himmel zieht ein Truthahngeier seine Runden, rechts sind Muschelbänke und vorne kleine, blaugelbe Doktorfische. „Die Mangroven bilden eine Barriere gegen mögliche Tsunamis“, sagt er, „und unsere Rifffische ziehen hier ihre Jungen auf.“ Unverhofft öffnet sich der schmale Wasserlauf und mündet an einer wildromantischen Küste ins Meer. Am Gold Rock Creek Beach hat Chad ein Picknick für die eifrigen Paddler vorbereitet.

Direkt nebenan fördert er Piratenspuren zutage. Aber die der Neuzeit. In einem Hafenbecken, das heute verlassen und wenig spektakulär aussieht, lagen die Piratenschiffe des Films „Fluch der Karibik“. Dort wurden Wellen und Stürme simuliert, während weiter landeinwärts die Filmstudios aufgebaut waren. Mit Kostüm und Maske verwandelten sich die auf Grand Bahama rekrutierten Statisten im Handumdrehen in verlotterte Seeräuber. Der zweite und dritte Teil des Kinofilms wurden teilweise hier am realen Schauplatz gedreht.

Denn nicht nur Johnny Depp als Jack Sparrow raubte und kaperte auf den Bahamas, sondern auch seine historischen Vorbilder. Im 18. Jahrhundert waren etwa 1000 Freibeuter ansässig in der Hauptstadt Nassau und machten Jagd auf spanische Segler auf dem Rückweg in die Heimat, schwer beladen mit Gold aus Südamerika. In den unzähligen verborgenen Buchten reparierten sie ihre Schiffe und versteckten in unterirdischen Kalksteinhöhlen die eroberten Schätze. Trockendocks und Bankschließfächer gab es für sie schließlich nicht.

Ein weiterer Inselhüpfer mit dem Kleinflugzeug führt auf das fast 130 Kilometer lange, aber sehr schmale Long Island. Charles Knowles verspricht hier das ultimative Wassererlebnis beim Bonefischen, einer seltsamen Art des Fliegenfischens, einer Kombination aus Jagen und Warten. Auf einer Art Nussschale fährt der Gast dabei aufs Meer hinaus, steht im knietiefen Wasser einer riesigen Bucht, wird von Haien und Schildkröten beäugt, und wartet nur auf den einen Fisch, den Knochenfisch. Leider kommt er nicht.

Der Himmel öffnet sich. Ein tropisch-warmer Regenschauer prasselt hernieder, macht ihn zum Wasserwesen wie den Gejagten, lässt oben und unten miteinander verschmelzen. Würde der gut getarnte, kräftige Fisch heranschwimmen, stünde ein zäher Kampf zwischen Angler und Beute an. Wie bei Ernest Hemingway, der sich beim Hochseefischen auf den Bahamas zu seinem Buch „Inseln im Strom“ inspirieren ließ. Der Roman beginnt mit einem Kampf zwischen Fischer und Fisch, zwischen Mensch und Natur. Ein bei Hemingway beliebtes Motiv, das sich in „Der alte Mann und das Meer“ wiederfindet. Doch heute bleibt der Kampf aus, der Fisch lässt sich nicht blicken. Ganz im Gegenteil verschmelzen Mensch und Meer, werden ganz friedlich eins. Was kann der Schöpfer dieser Inselwelt mehr gewollt haben?

Helgard Below

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