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Reise: Cola in der dritten Reihe

Koh Samui in Thailand war ein Hippieparadies. Nun ist alles schick – und der Charme perdu.

„Paradise!“ So verheißt es jedes dritte Wort auf der Insel, ob auf Plakaten für ein Hotel (in der Einflugschneise), für Immobilien oder Golfplatz. Ganz Koh Samui empfiehlt sich als gediegener Garten Eden, in dem es Luxusvillen mit Pool gibt und Rotwein, das Glas für acht Euro. Das war einmal anders, als das Eiland noch nicht derart marktschreierisch für sich werben musste und das „Paradies“ für nicht einmal acht Euro zu haben war. Am Tag.

Ins Wat Phu Khao Thong verirrt sich nur selten ein Urlauber, die Mönche können keinen mumifizierten Buddha, Meditationskurse oder sonstige Attraktionen bieten. Weit und breit kein Strand, kein Sprudelbecken, keine Bar oder gar irgendein Jetskivergnügen. Eine Beerdigungsfeier ist in vollem Gange: Der Mekong-Whiskey macht die Runde draußen bei den Männern an den Holztischen, von den Frauengruppen schallt herzhaftes Lachen. Einige tragen weiße Stirnbänder als Zeichen ihrer Trauer, drinnen auf dem Altar brennen Weihrauchstäbchen und Kerzen, davor Bilder des Verstorbenen. Die abseits stehende Touristin wird eingeladen, Platz zu nehmen. Ein Teller mit Hühnercurry wird gereicht. Koh Samui kann auch heute noch echte Gastfreundschaft und Neugier zeigen ohne Gedanken an Profit und Geschäfte. Doch die zwei Jahrzehnte des Booms und Ausverkaufs haben ihre Spuren auf dem Eiland hinterlassen.

Ein etwas wehmütiger Rückblick: Mit 247 Quadratkilometern etwa so groß wie Leipzig ist Thailands drittgrößte Insel Nummer eins in der Gunst der Inselhüpfer im Golf von Thailand. Mehr als zwei Millionen Kokospalmen beschatten die Insel und ihre Klippen, kilometerlange Sandstrände und malerische Buchten, Regenwald und Tempel, Fischerdörfer und Souvenirmärkte, Wellnesshotels und Reggae Pubs. Anfang der 1980er mussten die Hippies und Robinsons noch eine 14-stündige Zugfahrt aus Bangkok in Kauf nehmen und im Festlandsort Suratthani in die klapprige Fähre umsteigen. Die meisten Samuianer (damals knapp 30 000, heute 50 000) wollten die bunt gekleideten Fremden bald nicht mehr missen, waren sie doch eine sichere Einnahmequelle neben den Kokospalmenplantagen und der Fischerei.

Seit der Flughafeneröffnung 1989 ließen sich immer mehr Pauschalurlauber mit kurzer Zwischenlandung in Bangkok direkt aus Europa und Asien einfliegen, und die Touristenzahl schnellte auf heute rund eine Million. Die Tage der hundehüttengroßen, windschiefen Palmblattbungalows am idyllischen Bo Phut Beach waren gezählt.

Um das Jahr 2005 herum brach der Bau-Irrsinn auf Koh Samui aus: Die meisten „Land for sale“-Schilder sind heute weg, die Palmenhaine gnadenlos abgeholzt. Kein früher üppig grüner Hügel, der heute nicht von einer meist exklusiven Herberge, von Eigentumsanlagen oder Ferienhaussiedlungen gekrönt wird. Kaum eine internationale Hotelkette, die hier nicht präsent ist. „Die Zahl der Hotels hat sich um 200 Prozent erhöht“, sagt Naddapen Toommanon von der Tourist Authority Koh Samuis. „Es wird jetzt wie auf Phuket in zweiter und dritter Reihe gebaut, in Chaweng wurde soeben die letzte Baulücke geschlossen.“ Statt Dschungel und Palmenhainen endlose Schilderwälder in den Urlaubsorten Lamai und Chaweng und auf den umliegenden Haupt- und der Inselringstraße Stop and Go der Blechlawine.

Rund 500 offiziell gemeldete Hotels (ohne Gästehäuser und Privatbungalows) mit insgesamt 19 000 Zimmern zersiedeln mittlerweile die einst traumhafte Küstenkulisse.

Die Insel hat massive Probleme mit der Wasser- und Stromversorgung sowie dem Abwassersystem. Hotelmanager Ruprecht, seit sechs Jahren hier lebend, warnt: „Da muss was gemacht werden, sonst wird Koh Samui untergehen.“ Heute schon liege die Auslastung fast aller Hotels bei nur 60 Prozent – und das in der Hochsaison.

Noch ist Koh Samui eine Lieblingsinsel der Deutschen. Volly und seine Freundin sind begeistert und lassen sich am herrlichen Strand von Chaweng trendige Henna-Tattoos auf die Haut malen. Die beiden stört weder das allnächtliche Feuerwerk noch der Rummel am Strand zwischen Jetski und wandelnden Imbissständen mit Tragekörben voller Grillspieße, Bier und Cola. Das zugeraunte Marihuana-Angebot des fliegenden Mangohändlers lehnen sie ebenso cool ab wie die quasi im Minutentakt offerierten Massagen, Pediküren, Zöpfchenflechtereien und Batikkleider. Was die beiden hier pro Tag im Juni in der Nebensaison pauschal allein fürs Vier-Sterne-Hotel bezahlen, davon lebte ein Hippiepärchen bei Bratreis, Pancake und Lassi-Milchshake drei Wochen.

Doch es gibt sie noch, die rustikalen Bungalows für Urlauber mit bodenständiger Sehnsucht nach Romantik und Ruhe. Allerdings nur wenige. „Wir waren hier die ersten“, erzählt Hathairat Thongchan, „damals kostete die Hütte ab 40 Baht (1,20 Euro), heute nehmen wir 500 bis 2000 Baht (12-48 Euro).“ Die Thailänderin hatte ihr New Lapaz am Maenam Beach vor 25 Jahren mit einigen Palmblatt-Wellblech-Gemächern eröffnet, heute muss man für solch ein Bungalow-Relikt mindestens zwölf Euro hinlegen – in der dritten Reihe hinten im Garten. „Wir haben Stammkunden, die könnten mittlerweile auch locker 10 000 Baht (240 Euro) pro Nacht zahlen – aber sie wollen es gar nicht wie zu Hause haben, so mit Flachbildfernseher, Klimaanlage usw. Die wollen einfach nur schwimmen, sich sonnen, ein Buch lesen und gut essen.“

Einer der letzten, der sich inmitten von Luxusvillen am Nordostzipfel in der Thongson Bay mit seinen Bungalows behauptet ist Suthipong Charoensuk, ein echter Samuianer im Hüftsarong mit bloßem Oberkörper: „Alle sagen mir, ,Du könntest reich sein‘, doch ich will es so erhalten.“ Alle paar Tage kämen potenzielle Käufer und Investoren oder auch zwielichtige Gestalten bei ihm vorbei. Ist aber auch zu traumhaft, diese Hängemattenidylle, versteckt in einer Mini-Bucht mit Stelzenhäuschen im Grünen. Wer weiß, wie lange das kleine Strandparadies noch besteht ...

Martina Miethig

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