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Deutsche Bahn: Tabellen außer Dienst

Das Kursbuch der Bahn ist Geschichte und wandert ins DB-Museum.

Auf dem Tisch dicke Bände mit Tabellen, zwei Finger in den Seiten, den Bleistift hinterm Ohr – so wurden über mehr als eineinhalb Jahrhunderte Bahnreisen geplant: mit dem Kursbuch, jenem Nachschlagewerk mit allen Zugläufen und Bahnhöfen. Bald geht das nur noch am Bildschirm. Wenn in diesem Dezember der neue Fahrplan kommt, geht für viele Bahnfreunde eine Ära zu Ende: Es wird kein neues Kursbuch mehr gedruckt, die altertümlichen Tabellen gibt es dann nur noch im Netz und auf CD. Eine gedruckte Luxus-Ausführung für Liebhaber war noch bis heute im Angebot, jetzt ist Schluss.

„Man kann es sich heute nicht vorstellen: Noch vor wenigen Jahren war das Kursbuch die einzige Möglichkeit, eine Reise zu planen“, sagt Rainer Mertens, Historiker im Museum der Deutschen Bahn in Nürnberg. Er habe das noch in der Schule gelernt. Generationen gingen mit dem Kursbuch auf Tour – oder zumindest im Kursbuch, als Reisender in Gedanken und mit dem Finger in den Tabellen. Zeitweise stieg die Auflage des Nachschlagewerks auf mehr als 100 000 Exemplare.

1845 hatte der Fürstlich Thurn und Taxische Oberpostamts-Sekretär Hendschel die erste deutschlandweite Ausgabe vorgelegt, den „Telegraph für Post-, Eisenbahn- und Dampfschiffverbindungen“. Seitdem sind Kursbücher mehr als Fahrplanbücher, sie erzählen Geschichte. Wer in alten Ausgaben blättert, sieht Zugläufe nach Berliner Zeit und Münchner Zeit. Er erfährt, dass bis in die 20er Jahre 15 Uhr noch 3 Uhr hieß, und dass die Reichsbahn einst auch nach Königsberg fuhr.

Vergeblich sucht man aber ein Kursbuch von 1945, nach dem Krieg gab es dagegen gleich vier Ausgaben: eine für jede Besatzungszone. Kein Wunder, dass in Feuilletons melancholische Abgesänge auf das Kursbuch erscheinen. In der „Frankfurter Allgemeinen“ warf es Hans-Magnus Enzensberger auf den „Misthaufen der Geschichte“ – auch sein „Kursbuch“, die gleichnamige Zeitschrift der 68er-Generation, ist jetzt nach mehr als 40 Jahren eingestellt worden. Ein Enzensberger-Gedicht steht neben dem Artikel: „lies keine oden, mein sohn, lies die fahrpläne: sie sind genauer.“ „Es gehörte zur Kultur der Eisenbahn“, heißt es nicht ohne Wehmut beim Fahrgastverband Pro Bahn. „Gerade historische Kursbücher sind zum Teil richtige Schmuckstücke“, sagt dessen Vorsitzender Karl-Peter Naumann, der selbst ein Exemplar von 1849 besitzt.

Nüchtern nimmt der Bundesverband der Eisenbahnfreunde Abschied von dem langjährigen Begleiter. „Ich weine dem Kursbuch keine Träne nach“, sagt der Vorsitzende Peter Briegel. „Ganz ehrlich: Ich habe schon jahrelang keins mehr in der Hand gehabt. Ich gehe ins Netz für Fahrplanauskünfte.“ Gelegentlich wird aber auch in der digitalen Zukunft ein altes Kursbuch gebraucht werden. Nennt vor Gericht ein Angeklagter eine Bahnfahrt als Alibi, wird die Verbindung in alten Kursbüchern gesucht. Soll der Held im historischen Roman Zug fahren, fragt der Autor im DB Museum nach Fahrzeiten. Das werde auch in Zukunft so sein, ist Historiker Mertens überzeugt. Und wie bewahrt ein Museum ein Kursbuch, das es nur noch elektronisch gibt? Es druckt es aus.

Mehr dazu im Internet unter:

www.bahn.de/kursbuch

Burkhard Fraune

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