zum Hauptinhalt

Deutschland: Einig Urlaubsland

Aus Fernweh wurde Heimatliebe: zum Reiseverhalten der Ostdeutschen.

Autos mit einem Kennzeichen aus „H“ oder „K“ waren schon zu DDR-Zeiten keine Seltenheit auf den Parkplätzen von Rügen und Usedom. Bis 1990 allerdings trugen Trabis von Urlaubern aus den Bezirken Halle und Magdeburg solche Nummernschilder, heute sind es Kombis und Vans von Feriengästen aus Hannover und Köln. 1989 gehörte die Reisefreiheit zu den wichtigsten Anliegen vieler Menschen in der DDR – 20 Jahre danach ist sie selbstverständlich geworden. Allerdings gibt es weiter Unterschiede in Ost und West, wenn es darum geht, eine Urlaubstour innerhalb Deutschlands zu planen.

Generell hat Inlandsurlaub in der ehemaligen DDR auch heute noch einen höheren Stellenwert als im Westen. 38 Prozent der mindestens fünftägigen Urlaubsreisen der Ostdeutschen führten im Jahr 2008 zu Orten zwischen Alpen und Ostsee. Bei den Westdeutschen traf dies nur auf 29 Prozent der Urlaubsreisen zu. Diese beiden Werte sind seit dem Ende der 90er Jahre verhältnismäßig konstant, wie die Daten der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (Fur) in Kiel zeigen.

Die Differenz lässt sich allerdings nicht damit erklären, dass es in Ostdeutschland eine stärkere Heimatliebe gibt oder noch die Vergangenheit nachwirkt – immerhin blieben zu DDR-Zeiten 90 Prozent der Urlauber im Inland, wie der Deutsche Tourismusverband in Bonn erklärt. Stattdessen seien die Unterschiede im Reiseverhalten durch die Wirtschaftslage zu erklären, sagt Martin Lohmann, der wissenschaftliche Leiter der Fur. Das tendenziell geringere Einkommen und die höhere Arbeitslosigkeit im Osten führten dazu, dass eher vor der Haustür verreist wird – eben an die Ostsee oder ins Erzgebirge.

Direkt nach der Wende war das noch anders: Im Jahr 1990 blieb nur jeder vierte ostdeutsche Urlauber in Deutschland. Zum ersten Mal nach Paris, Italien oder Mallorca – das stand für viele damals auf dem Plan. Einen solchen „Neugierdetourismus“ habe es vom Westen in den Osten hinein zwar auch gegeben, sagt Lohmann. Aber er sei auf niedrigerem Niveau gewesen, weil die touristische Infrastruktur – zum Beispiel Hotels und Verkehrswege – in Ostdeutschland noch nicht so gut entwickelt war, wie es die Bundesbürger schon damals kannten.

Doch Hotels wurden modernisiert und neu gebaut, Ausflugsziele und neue Straßen erschlossen. In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel habe der Tourismus von der Fertigstellung der Ostseeautobahn A 20 im Jahr 2005 sehr profitiert, erklärt Tobias Woitendorf, der Sprecher des Landes-Tourismusverbandes TMV in Rostock. „Der Service ist besser geworden, und aus dem ,Neugierdetourismus‘ wurde mit der Zeit ein ganz normaler Urlaubs- und Erholungstourismus“, erläutert Knut Scherhag, Tourismusforscher an der Fachhochschule Worms. Zum Teil habe der Osten bei der Urlaubsqualität nicht nur mit den alten Bundesländern gleichgezogen, sondern sie überholt. Das gelte zum Beispiel für den Ostseeraum und den Harz.

Als der Eiserne Vorhang noch existierte, waren die Reiseströme im Inland stark von einer Nord-Süd-Ausrichtung geprägt. Als die Mauer weg war, nahmen zwar auch die West-Ost-Reisen zu – „latent vorhanden ist die Nord-Süd-Ausrichtung aber immer noch“, hat Scherhag beobachtet. Das hat Lohmann zufolge auch etwas mit kurzen Reisewegen zu tun: Rügen liege den Dresdnern näher als Sylt, und vom Ruhrgebiet aus sei Norderney schneller erreicht als Usedom.

So verwundert es nicht, dass laut der Fur-Reiseanalyse 14 Prozent aller Urlaubsreisen der Ostdeutschen 2008 nach Mecklenburg-Vorpommern führten, hingegen nur drei Prozent aller Reisen der Westdeutschen. Und wenn sie danach gefragt werden, welche Ferienziele sie sich denn für die kommenden drei Jahre vorstellen könnten, dann nennen 45 Prozent der Ost-, aber nur 22 Prozent der Westdeutschen Mecklenburg-Vorpommern. Auch bei Sachsen (15 zu 6 Prozent) und Thüringen (17 zu 7 Prozent) ist das Interesse der Ostdeutschen größer. An Bayernurlaub sind dagegen die Westdeutschen mit 36 zu 27 Prozent stärker interessiert, auch bei Schleswig-Holstein liegen sie mit 35 zu 25 Prozent vorn.

Erhöhtes Interesse an Ferien in der eigenen Region sei weiter vorhanden, bilanziert die Fur. Zu spüren bekommen hat das auch Bayern, mit 17,4 Millionen Gästeübernachtungen das Schwergewicht unter den deutschen Urlaubsregionen. Im Jahr 2000 sei noch jeder vierte Bayern-Gast (25 Prozent) aus Ostdeutschland gekommen, heute seien es nur 16 Prozent, sagt Sybille Wiedenmann, Geschäftsführerin des Bayern Tourismus-Marketings in München. „Und das, obwohl wir insgesamt Zuwächse bei den Gästezahlen hatten“ – die Zahl der Besucher aus den alten Bundesländern hat also stark zugenommen. Der einst „sehr starke Berlin-Markt“ dagegen habe sich seit 1990 halbiert, weil die Berliner „ihre eigene Küste wiederentdeckt haben“.

Dort, an der Ostsee, stellen die Westdeutschen inzwischen allerdings ebenfalls die Mehrheit der Gäste. „1999 kamen erst 43 Prozent unserer Gäste aus dem Westen, inzwischen sind es 51 bis 52 Prozent“, sagt Tobias Woitendorf. Das liege daran, dass die Westdeutschen schlicht eine größere Gruppe als die Ostdeutschen seien, „und das wird sich noch weiter verschieben, auch wenn wir keine Stammgäste aus dem Osten verlieren.“ Besonders stark vertreten seien an der Ostsee und der Mecklenburgischen Seenplatte Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen – was auch die vielen „H“– und „K“-Autos auf den Parkplätzen erklärt. Christian Röwekamp, dpa

Christian Röwekamp[dpa]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false