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Das Steinreich. Felsenlabyrinth im Fichtelgebirge.

© R. Schmidt, picture-alliance

Deutschland: „Jede Minute, Mensch, sei dir ein volles Leben“

In Oberfranken können Wanderer den Dichter Jean Paul kennenlernen. Seine Weisheiten sind nachzulesen am Wegesrand.

Seine Werke sind schwierige Kost. Jean Paul lässt sich nur häppchenweise genießen. Zu Lebzeiten waren seine Bücher wie „Hesperus“, „Siebenkäs“ oder „Flegeljahre“ Bestseller. Doch wenn man zu seinen zum Teil antiquierten Sätzen aus dem 18. und 19. Jahrhundert erst einmal Zugang gefunden hat, erweisen sie sich als wunderbar zeitlos: „Jede Minute, Mensch, sei dir ein volles Leben“ hat der Dichter zum Beispiel erkannt. Oder: „Das Alter ist trüber als die Jugend. Nicht, weil seine Freuden, sondern weil seine Hoffnungen erloschen.“ Diese und andere nachdenklich machende Weisheiten sind nachzulesen auf den Schautafeln entlang dem 200 Kilometer langen Jean-Paul-Wanderpfad, auf dem man im Fichtelgebirge etappenweise zu den Lebensstationen des Literaten wandert.

Die Route verläuft von Joditz über Schwarzenbach an der Saale, wo der Poet aufwuchs, nach Wunsiedel, wo Johann Paul Friedrich Richter 1763 geboren wurde, bis nach Bayreuth. Hier lebte er nach Stationen in Leipzig, Weimar und Berlin 21 Jahre lang, bis er 1825 verstarb. Der letzte Abschnitt des Weges endet in Sanspareil. In Bayreuth schließt er auch das Jean-Paul-Museum, das Schwabacher Haus, in dem der Dichter zwölf Jahre verbrachte, und die Jean-Paul-Stube in der Rollwenzelei ein, wo so mancher Buchstabe zu Papier kam.

Literarisch nimmt Jean Paul eine Sonderstellung zwischen Klassik und Romantik ein. Die Namensänderung geht auf seine große Bewunderung für den französischen Schriftsteller Jean-Jacques Rousseau zurück. „Viele Orte zwischen Hof und Bayreuth fanden Eingang in seine Bücher und Briefe“, erzählt Wanderführerin Inge Hessedenz. „Wanderungen durchs Fichtelgebirge waren für ihn eine Kraftquelle.“ Schon in seiner Kindheit ging er einmal in der Woche mit Rucksack und Einkaufsliste von Joditz nach Hof, um das Notwendigste aus der Stadt zu holen.

Den Wanderweg säumen alle ein bis eineinhalb Kilometer grüne Tafeln mit Aphorismen und Zitaten aus seinen Schriften, 161 an der Zahl. Dazu Hinweise zur Landschaftsgeschichte um 1800. Zu einzelnen Stationen sind Originaltexte als Hörspiel hinterlegt, die der Wanderer an Ort und Stelle per Telefon abrufen kann.

„Der Dichter war auch ein Genießer und beschrieb die eine oder andere Köstlichkeit in seinen Erzählungen“, sagt Inge Hessedenz. „Kartoffeln waren seine Leib- und Magenspeise, und er liebte ein kühles Bier.“ Zum Jean-Paul-Jahr 2013 haben sich einige Gasthäuser und Cafés entlang der Strecke auf Gerichte aus alten Zeiten besonnen: Schnepfendreck (eine gehaltvolle Vorspeise), Sardellensuppe mit Himmelsbrot, Fischpresssack, Wespennester, Hoppelpoppel (ein cremiges Dessert), Siebenkäs, Bernecker Pfefferkuchen und ein dunkles, leicht malziges Jean-Paul-Bier stehen auf den Speisekarten. „Ich halt’ es für schwer, einer Geliebten einen Pfefferkuchen zu schenken, weil man ihn oft kurz vor der Schenkung selber verzehrt“, ist vom Dichter überliefert.

„Es ist ein unendlich Kreuz, gutes Glas herzustellen“

Kurze Verschnaufpause – Erfrischung spendet die Weissmainquelle.

© Dagmar Krappe

Wem die Jean-Paul-Zitate doch zu schwerverdaulich sind, der hat auf zahlreichen weiteren Wegen ausreichend Gelegenheit, die oberfränkische Region vor den Toren Bayreuths kennenzulernen. Zum Naturpark Fichtelgebirge am Fuße des Ochsenkopfs zählen die vier Gemeinden Bischofsgrün, Fichtelberg, Mehlmeisel und Warmensteinach mit etwa 8000 Einwohnern. Der Fränkische Gebirgsweg ist 425 Kilometer lang und trägt das Gütesiegel „Qualitätsweg Wanderbares Deutschland“. „200 Kilometer führen durchs Fichtelgebirge“, weiß die Wanderführerin. „Dabei sind zwei Eintausender, Schneeberg und Ochsenkopf, zu bewältigen.“

Doch die Anstiege auf breiten Trassen durch dichten Fichtenwald und entlang von Granitformationen sind gemäßigt. Niemand kommt da außer Atem, keiner benötigt Hochgebirgskondition. Der Ochsenkopf ist zwar nur der zweithöchste Berg, gab jedoch der Gegend den Namen. Nicht nur Jean Paul, auch Goethe hat ihn 1785 erklommen – wie am Goethe-Felsen vermerkt ist. Der Schneeberg war bis Mitte der 1990er Jahre militärisches Sperrgebiet. Heute erwartet den Wanderer auf dem Gipfel neben einem wuchtigen Radarturm der bescheidene Aussichtsturm Backöfele von 1926.

Themenwege erinnern an die „steinreiche Ecke Bayerns“ und an alte Handwerke. Das Fichtelgebirge war von Eisenerz- und Silberbergbau geprägt. Schmelzöfen und Hammerwerke säumten die Ufer der Steinach. Der bergbauhistorische Wanderweg „Auf den Spuren der Bergleute“ rund um Warmensteinach führt zu Stollen und Schächten des ehemaligen Flussspat- und Eisenerzabbaus. Mit Grubenlampe und Bergmannshelm fahren Besucher ein ins Silbereisenbergwerk „Gleisinger Fels“ bei Fichtelberg.

Ein weiterer Erwerbszweig im oberen Steinachtal war die Glasherstellung. Er habe noch Glasbläser gelernt, berichtet Bernhard Raab, bevor er 1969 das Gasthaus Zum Loisl seiner Eltern übernahm, an dem der elf Kilometer lange Glaswanderweg vorbeiführt. Das traditionelle Glasmacherzeichen, eine liegende Acht auf einem Kreuz, markiert die Strecke. „Das Zeichen symbolisiert einen alten Glasmacherspruch: Es ist ein unendlich Kreuz, gutes Glas herzustellen“, erklärt Raab.

„Mehr als 400 Jahre währte die Glasmachertradition rund um den Ochsenkopf. Proterobas, ein dunkelgrünes Gestein, Holz und Wasser waren die Grundlage.“ Es begann mit Knöpfen und Perlen, die anfangs zu Rosenkränzen verarbeitet wurden. Später folgte die Herstellung von Schmuck und Spiegelglas.

Nur ganze 56 Meter Höhenunterschied sind auf dem Echowaldweg rund um Mehlmeisel zu überwinden. Gekennzeichnet ist der Verlauf durch eine gelbbraune Trompete auf weißem Grund. Wer es besonders romantisch mag, der bestellt sich bei der Touristinformation des Ortes einen Trompeter. Dieses Klangerlebnis hätte ganz sicher auch Jean Paul zu neuen Geschichten inspiriert.

Die Region auf der ITB: Halle 6.2B

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