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Reise: Die Fürstin vom Mittelmeer

In Thessaloniki, der Welterbestadt am Mittelmeer, ist die Krise im Alltag kaum spürbar

Ladakia war in den vergangenen Jahrzehnten ein düsterer Ort, den man bei Dunkelheit besser mied. Viele der schmucken Backsteingebäude des Quartiers, in dem einst das ökonomische Leben pulsierte, waren verrottet. Heute hingegen steht das im 19. Jahrhundert bis zum Einmarsch der Deutschen 1940 überwiegend von Juden bewohnte Hafenviertel von Thessaloniki nach Feierabend hoch im Kurs. In die liebevoll und gekonnt renovierten Fabrikgebäude und Läden von Ladakia sind gut besuchte Restaurants, Musiktavernen und Bars gezogen. Selbst in Zeiten der finanziellen Krise sind die Griechen in der zweitgrößten Stadt des Landes nicht zu griesgrämigen Stubenhockern geworden.

Gehen wir in die Vaiou-Straße: Taverna Odos Oniron („Taverne der Traumstraße“) haben die Besitzer ihr populäres Lokal genannt. Live-Musik gibt es in der Regel ab 22 Uhr, vor zwei bis drei Uhr morgens treten Sänger und Musiker selten ab. Bis zu 200 Gäste finden in dem Gebäude, einst eine 1745 erbaute Olivenölfabrik, Platz. Wer für das Wochenende nicht reserviert, hat immerhin die Chance, an einem Tisch draußen an der autofreien Straße zu tafeln und die Festszenerie drinnen zu beobachten.

Ist die Krise den Griechen noch immer nicht auf den Magen geschlagen? Der freundliche Juniorchef Efthimiadias Charalampos sieht das so: „Früher ist man bei uns fünfmal pro Woche ausgegangen. Heute ist nach dem dritten Mal Schluss“, meint er ganz sachlich.

Für die „Taverne der Traumstraße“ ist das immer noch ein lohnendes Geschäft, schlagen doch die mittleren Ausgaben für einen zünftigen Ausgang, bei dem schnödes Sparen ein Fremdwort ist, mit 50 bis 70 Euro pro Kopf zu Buche. Besonders beliebt sind gegenwärtig die kleineren Musiktavernen, mit denen die 1,2 Millionen Einwohner zählende Stadt am Thermaischen Golf gut bestückt ist.

Das Leben in Thessaloniki spielt sich in der warmen Jahreszeit natürlich überwiegend draußen ab. Die beliebteste Flaniermeile der Stadt mit 70 000 Studenten ist die Paralia, deren Restaurants mit Meerblick trotz fürstlicher Preise nicht über Besuchermangel klagen können. Anstelle der schmucken Gründerzeitvillen erheben sich heute entlang der Paralia moderne Hochhäuser, in den Abendstunden kommt man dort zu Fuß entschieden schneller vorwärts, die Autos stehen im Stau.

Auf den ersten Blick zeigt sich die Mittelmeerfürstin, wie Thessaloniki einst apostrophiert wurde, von ihrer spröden, nüchternen Seite. Eine richtige Altstadt kann sie seit einem verheerenden Brand 1917 nicht mehr vorweisen. Auf dem gestampften Trümmerschutt entstand ein neues Zentrum.

Die meisten ausländischen Besucher, die ihren Urlaub in der Region Makedonien verbringen, zeigen der europäischen Kulturhauptstadt von 1997 die kalte Schulter. Zum Leidwesen der Fremdenverkehrsbranche, schließlich verfügt Thessaloniki über viele Hotels aller Kategorien. Als Messeort für landwirtschaftliche und kosmetische Produkte hat Thessaloniki noch immer einen guten Ruf.

Der Reiz der „Mittelmeerfürstin“ liegt im Verborgenen; nicht selten regelrecht von den Zweckbauten des vorigen Jahrhunderts umzingelt, hat ein Dutzend frühchristlicher und byzantinischer Gotteshäuser, Moscheen und türkischer Hamams Brände, Erdbeben, Plünderungen und die Verwüstungen des Zweiten Weltkrieg leidlich überstanden. Über die zentrumsnahen Quartiere verteilt, haben die gut getarnten architektonischen Juwelen Thessaloniki 1988 zu einer Nominierung auf der Welterbeliste verholfen. Zumindest diese verborgenen Kunstschätze beweisen, dass die Stadt wirklich alt ist und vermitteln eine Idee der früheren Pracht.

Von der römischen Epoche blieben nur Trümmer. Die ältesten Relikte erinnern an den Kaiserpalast und an das Hippodrom. Hatten die Osmanen fast alle Kirchen in Moscheen umgewandelt, revanchierten sich die befreiten Thessaloniker mit dem Abriss der Minarette, nur ein einziger Moscheenturm blieb im Stadtbild erhalten. Die muslimischen Baudenkmäler, darunter die siebenkupplige Aladschi-Imaret-Moschee, dienen heute gelegentlich als Orte für Konzerte und Ausstellungen.

Gastronomisch betrachten die Thessaloniker ihre Stadt allerdings als Mekka des guten Geschmacks. Die Meze genannten Vorspeisen, nach orientalischer Art mit Koriander und Zimt verfeinert, verraten orientalische Einflüsse. Getafelt wird auch heute nach bester Landestradition, man lässt sich Zeit und lebt damit auch in schwierigen Zeiten jene Leichtigkeit des Seins, wie sie ja auch in anderen mediterranen Städten üblich ist.

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