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Kunst überrascht den Urlauber auf dem Darß schon lange nicht mehr. Sie ist einfach da, wie beim Umweltfotofestival in Zingst. Foto: dpa

© picture alliance / ZB

Reise: Ein Drehtag für den Gänsegeier

Die Natur auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst ist filmreif. Die faszinierenden Ergebnisse sind am Ort zu bestaunen

Am Rande des Festivals wundert sich Filmemacher Jürgen Eichinger über die vielen Radfahrer, die bei Wind und Wetter über den Darß strampeln. Seltsam findet er das. „In Bayern käme bei dem Wetter niemand auf die Idee“, fügt er hinzu. Seit Jahren schon ist der gebürtige Pockinger mit preisgekrönten Dokumentationen auf dem Darßer Naturfilmfestival vertreten. Von der Halbinsel hat er bisher allerdings wenig gesehen. Doch er weiß, dass es sich lohnt, die Region näher zu betrachten und nicht nur durch die Kameralinse.

Während des Filmfestivals Ende September ist der „Vogel des Glücks“ der Superstar. Wer vor den Kinosaal tritt, hört die Hauptdarsteller schon trompeten und sieht sie in langen Ketten oder Keilformationen am Himmel ziehen. Bis zu 60 000 Kraniche machen auf dem Weg ins südliche Winterquartier für einige Wochen Station an der Ostseeküste. Der Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft zählt zu den bedeutendsten Kranichrastplätzen Mitteleuropas. Die Landschaft versorgt die Zugvögel mit allem, was sie brauchen. Tagsüber fressen sie sich auf den abgemähten Feldern den Bauch voll mit Getreide und Maiskörnern, Kartoffeln, Insekten und Würmern. Die Nächte verbringen sie stehend in seichten Boddengewässern und auf den Inseln, wo sie sich vor Feinden sicher fühlen. In Zingst lässt sich der Abendeinflug der Kraniche wunderbar beobachten. Auf der Boddeninsel Kirr gleich gegenüber fliegen sie zur Dämmerung in großen Trupps ein.

Mit dem Kranichzug im Herbst füllen sich auf dem Darß noch mal die Gästebetten. Neben Hobbyfotografen, Ornithologen und anderen Naturfreunden zieht es seit einigen Jahren auch Cineasten auf die Halbinsel, um an zwei Spielstätten die Schönheit der Natur in opulenten Bildern zu verfolgen. Das Naturfilmfest hat sich mittlerweile zu einem renommierten Festival gemausert. Für den Publikumspreis dürfen die Zuschauer für ihren Lieblingsfilm votieren. Auch aus deutscher Produktion stehen wieder eine Reihe Filme zur Wahl. Und bei der Verleihung des Deutschen Naturfilmpreises sorgt der Kranich – wie immer im Herbst – für das größte Aufsehen: Der Sieger bekommt nämlich den „Goldenen Kranich“ verliehen – eine Bronzeplastik des Rostocker Künstlers Thomas Jastram.

Der Darß entwickelt sich überhaupt mehr und mehr zu einem Hort von Kunst und Kultur. Was im Jahre 1892 begann, als der Maler Paul Müller-Kaempff die Künstlerkolonie in Ahrenshoop begründete, wurde mit weiteren Sparten fortgesetzt. Vor vier Jahren hat sich das Umwelt-Fotofestival „Horizonte Zingst“ etabliert, das seither Ende Mai mit Fotoausstellungen und Workshops auf sich aufmerksam macht. Das Naturfilmfestival hingegen wurde schon vor sechs Jahren zum 15. Geburtstag des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft ins Leben gerufen. Es ist das kleinste und intimste dieser Art. Nach den Filmvorführungen oder auch beim „Abspann“ abends in der Kneipe kommt man mit Filmemachern schnell ins Gespräch. Jürgen Eichinger setzt sich gern gleich auf das Podium der Multimediahalle in Zingst und stellt sich den Fragen der Zuschauer. Hundert Drehtage habe seine Dokumentation „Wilde Pyrenäen – Berge des Lichts“ verschlungen, erzählte er im vergangenen Jahr. Allein für die Schlusssequenz habe er eine Woche mit versteckter Kamera im Zelt gesessen, bis die um einen Kadaver raufenden Gänsegeier endlich im Kasten waren. Auf eigene Rechnung sei solch ein Film nicht finanzierbar. Schlechtes Wetter oder Tiere, die sich nicht blicken lassen, machen einen Naturstreifen meistens unkalkulierbar. Daher handele es sich bei Naturfilmen immer um Aufträge öffentlich-rechtlicher Fernsehanstalten.

Das Einzigartige des Darßer Naturfilmfestivals ist das Rahmenprogramm. Jeden Tag werden geführte Spaziergänge und Exkursionen in die Natur geboten, schließlich ist der Darß selbst an Dynamik kaum zu überbieten. Nirgendwo sonst an der Ostsee vollziehen sich Landabtragung und Landbildung so schnell wie hier. Natur gibt es nahezu überall, sei es im Schutzgebiet Ahrenshooper Holz oder bei einer Bootsfahrt auf den Bodden, den von der Ostsee abgeschnürten flachen Gewässern. Man trifft sich zum Abendeinflug der Kraniche oder marschiert zum Darßer Ort, dem nördlichsten Zipfel der Halbinsel.

Die Elemente verändern die Küste, wenn am Weststrand Sand abgetragen und von der Strömung in den Norden der Halbinsel transportiert wird. 50 000 Kubikmeter werden jedes Jahr bewegt. Durchschnittlich zehn Meter pro Jahr wachse der Darßer Ort, erklärt Nationalpark-Führerin Heike Lawrenz. Dort, wo der Bohlenweg über junge Dünen durch Neuland führt, sei vor 300 Jahren noch die Ostsee gewesen. Gespannt lauschen die Kinofreunde ihren Ausführungen. Die Natur liegt allen am Herzen.

Dass so viele Radfahrer bei Wind und Wetter unterwegs sind und vorzugsweise gen Osten Richtung Zingst fahren, lässt sich übrigens leicht erklären: Die vorherrschende Windrichtung kommt aus West, und zwischen April und Oktober drehen Busse mit Fahrradanhänger ihre Runden auf dem Darß. Gegen den Wind stemmen sich auch passionierte Radfahrer nicht gern. Und offenbar Jürgen Eichinger schon gar nicht.

Das 7. Darßer Naturfilmfestival findet vom 28. September bis 2. Oktober statt. Festivalkarte 30 Euro einschließlich Exkursionen. Programm im Internet zu finden unter www.arche-natura.de

Auskunft über die Region: Tourismusverband Fischland-Darß-Zingst, 18314 Löbnitz; Telefon 03 83 24 / 64 00, im Internet www.fischland-darss-zingst.de

Elke Sturmhoebel

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