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Der Kampf mit der Luftmatratze war einmal. Moderne Wohnmobilisten reisen voll ausgestattet an.

© defd (aus dem Film von 1956 "Kleines Zelt und große Liebe" mit Eva Kerbler und Dietmar Schönherr).

Camping: Sommer im Quadrat

Camping XXL - einer der größten Plätze Deutschlands liegt auf einer Rheininsel bei Wesel. An manchen Tagen leben hier 35.000 Menschen - dazu noch 650 Hunde.

Unter den Füßen knirscht ein perfekt gepflegter Kiesweg. Einer von vielen. Insgesamt 38 Kilometer, die der Campingfreund hier auf der Grav-Insel bei Wesel abschreiten kann. Ein Gebiet so groß wie 40 Fußballplätze. Einer der größten Campingplätze Deutschlands liegt am Niederrhein.

Die Luft über dem "Erholungszentrum Grav-Insel" ist geschwängert von Würstchen- und Schnitzelduft. Fast alle Grills der 2010 Dauercamper-Parzellen, die hier Meter an Meter stehen, laufen auf Hochtouren, trotz der Sommerhitze. Auch bei Rita und Hartwig Dehn, die ihrem Camperglück seit zehn Jahren lustvoll frönen, brutzelt es. Das Rentnerehepaar aus Gelsenkirchen lebt auf einer 180-Quadratmeter-Parzelle, Jahr für Jahr von April bis Ende Oktober. Am Wochenende auch gern mit ihren vier Kindern und den fünf Enkeln. Hinterm Hauptzelt gedeihen Tomaten, wachsen Gurken und Sellerie in Plastikwannen. "Dat wächst wie auf Hefe", erklärt Rita in breitem Gelsenkirchenerisch, die zwischen Rosmarin und Salaten schnell die getrocknete Wäsche abnimmt. "Wir haben natürlich auch eine eigene Waschmaschine, Trockner, eigenes Bad mit Toilette, Dusche, Waschbecken und so." Camperstolz.

Der 71-jährige Hartwig, rüstig und flott, kümmert sich unterdessen ums leibliche Grill-Wohl und rückt dabei gleichzeitig - bewaffnet mit der Blumenschere - dem ausufernd wachsenden Lavendel rund ums Wohnmobil zu Leibe. Ordnung muss sein. Auch oder besonders auf dem Campingplatz.

So hält es auch Familie Lautenschläger. Auf dem proppevollen Platz hat sich die Hausfrau und Mutter von vier Kindern mit ihrem Ehemann auf 140 Quadratmeter Grundstück und 40 Quadratmeter Mobilwohnfläche vor etwa elf Jahre häuslich eingerichtet. "Warum soll'n wir nach Mallorca fliegen?", fragt Mutter Marion. "Hier ham wir alles, wat dat Camperherz begehrt." Damit meint die 55-Jährige das bequeme Leben auf dem Campingplatz, unweit ihrer Heimatstadt Essen. Von "Vater Rhein" umspült, den 450 Quadratmeter großen Supermarkt nur wenige Meter von der eigenen Parzelle entfernt. Auch der Bootsanlegeplatz für zirka 300 Hobbykapitäne ist vorhanden. Ganz wichtig für Vater Lautenschläger, der hier sein Bötchen bis zu den ersten Wintertagen vertäuen kann.

Die meisten der rund 2510 Parzellen sind für Dauercamper reserviert. Deren Sommersaison beginnt bereits im Februar, dann sind sie noch unter sich. Viele von ihnen haben seit mehreren Generationen ihren Campingwagen auf der unter Naturschutz stehenden Grav-Insel fest installiert. Bei wärmeren Temperaturen finden an Wochenenden und in den Ferien dann die Kurzzeiturlauber ihren Weg zum XXL-Campingplatz am Niederrhein. "Rund 500 Parzellen stehen unseren Freizeitcampern derzeit zur Verfügung", berichtet Frank Seibt, der die Grav-Insel in zweiter Generation leitet und oft auf zwei Handys gleichzeitig telefoniert. "An manchen Tagen leben bei uns bis zu 35.000 Menschen und bis zu 650 Hunde", berichtet der 48-jährige gelernte Landwirt und Kaufmann, der mit einem ausgeklügelten Logistikkonzept die Abläufe auf dem Platz dirigiert. Auch 144 fest angestellte Mitarbeiter brauchen ihre Anweisungen. Sie sind unter anderem in der Verwaltung tätig, beim hauseigenen Wachdienst, sie sind als Elektriker unterwegs, in der Krankenstation mit Notarztwagen im Einsatz oder als Reinigungskräfte und Gärtner. Natürlich zählen hier auch die guten Seelen des hauseigenen Streichelzoos dazu, die neben Esel Julius und Shetlandpony Jerry auch Nymphen- und Wellensittiche, Ziegen, Schafe, Hängebauchschweine, Gänse, Enten, Hühner, Kaninchen, Frettchen und Meerschweinchen versorgen. Sehr zur Freude vor allem der jüngsten Nachwuchscamper, für die neben dem Streichelzoo auch eine kostenlose Kinderanimation zur Verfügung steht. Für Betreuungsaufgaben sind auch die freien Mitarbeiter der Camping-Kirche da.

Ebenfalls vom Dauercampervirus infiziert sind Karl-Heinz und Roswitha Oelschläger. Seit mehr als zehn Jahren hat das Ehepaar aus Gladbeck hier seinen festen Wohnsitz. Auf 23 Jahre Camperleben blicken sie inzwischen zurück. "Jetzt wohnen wir hier für immer", klärt uns die 59-jährige Hausfrau auf. 84 Quadratmeter Mobilwohnfläche auf zwei Ebenen plus 350 Quadratmeter Parzellengrundstück sind für die beiden der Inbegriff des Camperglücks. "Langweilig wird es uns nie. Unsere ehemalige Wohnung in Gladbeck haben wir längst aufgegeben."

"Das ist hier wie in einer Kleinstadt", resümiert Dieter Herzog. "Nur gemütlicher." Der 68-jährige ehemalige Elektriker ist seit 34 Jahren Dauercamper und seit 2002 die "gute Seele" auf der Grav-Insel. Herzog kümmert sich um die großen und kleinen Camperprobleme. "Ich kenne alle Bewohner mit Namen - und ihre Bedürfnisse." Und wer glaubt, Campen sei ein Freizeitvergnügen für finanziell weniger gut gestellte Menschen mit Bierdeckel-Horizont, wird eines Besseren belehrt: "Auf unserem Platz lebt der Akademiker neben dem ehemaligen Zechenarbeiter. Neid oder Standesdünkel kennen wir hier nicht." Frank Seibt sorgt mit seinem Team rund um die Uhr für Ruhe und Ordnung unter den Campern. Jeder Bewohner ist mit einem Inselausweis ausgestattet. "Ohne den kommt niemand raus, geschweige denn rein", sagt der Chef. Denn vor dem Raus und Rein gilt es, diverse Formalitäten zu erledigen. Da geht es an der Hauptzentrale streng zu wie an einem Grenzübergang. "Das muss sein, um den Überblick nicht zu verlieren", beteuert Seibt.

Probleme gibt es zwar manchmal, doch keins, das der Chef nicht lösen könnte. Eine der größten Schwierigkeiten hat er auch in den Griff bekommen: Hochwasser. Ein eigens errichteter Deich rund um die Insel hält den Bewohnern - im Notfall - den Rhein aus der Hütte. Der Schutz wurde dringend benötigt. Denn manches der luxuriösen Mobileigenheime kostet schon mal 70.000 Euro und mehr. Selbst ein finanzkräftiger Campingfreund überlässt so ein Teil eher ungern den Fluten.

Bei Familie Dehn sind mittlerweile Würstchen und Schnitzel auf den Punkt gar gegrillt. Rita schmeckt noch die Sauce ab für den Gurkensalat. "Der muss jetz' noch wat durchziehen, dann isser so weit." Bei den Lautenschlägers herrscht ebenfalls Grillalarm, auf dem Rost brutzelt es gewaltig. Hausfrau Marion, mit einem kleinen Tattoo auf dem linken Oberarm, freut sich nicht nur aufs Essen, sie sieht auch erwartungsvoll dem weiteren Ausbau ihrer Parzelle "Am Sommerdeich 141" entgegen: "Hier isset so schön, hier bleiben wir, bis wir sterben." Übrigens, auch daran ist vonseiten der Geschäftsleitung gedacht. "Stirbt einer von unseren Campern, erinnern wir seit 1970 mit einer Gedenktafel samt Kreuz an diesen Menschen", berichtet Frank Seibt stolz.

Ans Ableben denkt Waltraud noch lange nicht. Seit 30 Jahren lebt sie von April bis Oktober auf ihrer Parzelle und hat vor, dies auch noch länger zu tun. "Ich muss jetzt Kartoffeln schälen, damit Wilhelm heute Abend was zu essen hat."

Nach der langen Tour neigt sich der Tag. Unter den Füßen knirscht ein perfekt gepflegter Kiesweg. Irgendwo zwischen Amselweg und Krähenwinkel. Oder ist es der Weideweg, zwischen Drosselgasse und Hasensprung? Im Camperdorf hinterm Deich wird der Abend sorgfältig vorbereitet. "Jetzt müssen noch die Blumen gegossen und der Rasen gesprengt werden", erklärt Roswitha Oelschläger. Na, da will man die Ordnung nicht weiter stören - zwischen gut gepflegten Blumenbeeten und akkurat gestutztem Rasen, Wäscheleine, Hollywoodschaukel und Gurkenzucht irgendwo hinterm Hauptzelt. So ein bisschen Stress gibt's also auch im Camperparadies.

Simone Brockes

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