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Stille. Auf den Wegen an Hase und Ems können Radler oft nur staunen: An den schönsten Stellen treffen sie keine anderen Menschen.

© J. A. Fischer / TMN

Emsland: Wo sich die Gräser wiegen

3500 Kilometer Radwege gibt’s im Emsland. Wer sie befährt, sieht meist bis zum Horizont. Die Gegend ist flach wie ein Brett.

Man könnte es für einen ziemlich gelungenen Scherz halten, das hölzerne Aussichtstürmchen, das da so einsam und verlassen am Ufer der Ems steht. Rundherum Wiesen, Büsche, Bäume, Felder. Weiter nichts. Also, wohin und worauf sollte man da ausblicken, bitte schön? Hahaha!

Man kann sich aber auch freuen über die Gelegenheit, den Blick einmal aus anderer Perspektive über die Landschaft schweifen zu lassen – so wie wir es tun. Also stellen wir unsere Räder an den blitzblank geputzten Ständern ab, steigen die paar Stufen hinauf und finden es toll: Wie der Fluss in sanften Kurven fließt, begleitet von leicht sich im Wind wiegenden Gräsern. Wie weit die Wiesen reichen, wie viele verschiedene Grüntöne auf ihnen zu entdecken sind. Wie tief der Himmel hängt mit seinen großen Wolkenbäuschen, die alles in ein graublaues Licht tauchen.

Und wie wenige Menschen zu sehen sind! Nämlich: nicht einer.

Wer will, kann sechs Wochen lang jeden Tag eine andere Tour unternehmen

Wer wenig für solche sensationsfreien Flachlandszenarien übrig hat, kommt besser gar nicht erst her, denn Landschaftsbilder wie dieses sind typisch für die Region. Doch die Zahl der Anhänger des Emslandes ist erstaunlich hoch. Von Jahr zu Jahr kommen mehr Touristen, weit mehr als 600 000 waren es im vergangenen Jahr, fast doppelt so viele wie 15 Jahre zuvor. Und ein Großteil der Gäste ist, wie wir, mit dem Fahrrad unterwegs. Kein Wunder.

Bald nachdem wir das Aussichtstürmchen nahe dem Dorf Rühle südlich von Meppen hinter uns gelassen haben und vom Feld- auf einen Asphaltweg gewechselt sind, warnt ein Schild vor „Wegschäden“. Baumwurzeln haben Risse verursacht, nur wenige Zentimeterchen lang, aber dennoch: sehr ungewöhnlich in dieser Gegend. Denn in der Regel sind die Radwege im Emsland tadellos – und sie sind tatsächlich allgegenwärtig.

Meist verlaufen sie an kaum befahrenen Neben- und Wirtschaftsstraßen, Feldwegen, Pfaden. Natürlich auch an Landstraßen, klar, für die, die es eilig haben. Und selbst innerhalb von Ortschaften müssen Radfahrer nicht auf die Straße wechseln. Ein 3500 Kilometer langes Radwegenetz durchzieht das Emsland. Das bedeutet: Wer denn wollte, könnte sechs Wochen lang jeden Tag eine andere Tour unternehmen.

Hier kann problemlos ohne Taschen unterwegs sein

Wir bleiben nur vier Tage in der Region, beziehen Quartier in der Kreisstadt Meppen, die sich ungefähr auf halber Strecke zwischen Papenburg an der nördlichen Grenze zu Ostfriesland und dem nordrhein-westfälischen Rheine jenseits der südlichen Grenze des Emslandes befindet. Von Meppen aus unternehmen wir Tagesausflüge: Rundtouren- und Streckentouren mit Rückfahrt per Bahn. Wir hatten gedacht, es sei angenehmer, das Gepäck an einem festen Ort zu lassen.

Mittlerweile wissen wir, dass man hier problemlos auch auf längeren Touren ohne Taschen unterwegs sein kann, denn Gepäcktaxis für Radtouristen sind eine Selbstverständlichkeit. Der Service wird nahezu überall angeboten.

Außerdem gibt es öffentliche Busse mit Fahrradanhängern und ein dichtes Netz an Fahrradwerkstätten. Dazu jede Menge auf Radler eingestellte Gastronomie, Hotels und Pensionen – auch im Meppener Parkhotel, in dem wir übernachten, liegen Papiertüten am Frühstücksbüfett bereit, für selbst geschmierte Stullen zum Mitnehmen.

Abschließbare Fahrradgaragen zur Miete sind ebenfalls allenthalben zu finden. Barrierefreie Wege für Handbiker, E-Bike-Ladestationen: Alles da. Sonst noch Wünsche? Uns fallen beim besten Willen keine ein. Für alles ist gesorgt, nur in die Pedale treten muss jeder selbst. Wobei auch das hier leichter fällt als anderswo.

Schmucke Häuschen, gepflegter Rasen, saubere Wege

Funktioniert noch. Dabei ist die Hüvener Mühle bereits 500 Jahre alt.
Funktioniert noch. Dabei ist die Hüvener Mühle bereits 500 Jahre alt.

© ET

Brettflaches Land, oft genug Wolken, die vor Hitze und Sonnenbrand schützen, ein milder, angenehmer Wind, auf unerklärliche Weise allerdings meist von vorn, ganz gleich, in welche Richtung man fährt. Und immer wieder Wälder, Felder, Wiesen. Fluss, Kanäle, Bäche. Dazu der ferne, weite Horizont mit wahrhaft malerischen Sonnenuntergängen.

Alte Dörfer und viele neue Siedlungen, die den Eindruck vermitteln, sämtliche Emsländer lebten in schmucken Einfamilienhäusern (was nicht weit entfernt von der Wahrheit ist) und verbrächten ihre Freizeit damit, zuerst die Gärten mit Nagelscheren und Pinzetten zu bearbeiten, dann die Straßen, Rad- und Fußwege mit Staubsauger und Feudel zu reinigen (was keine allzu große Übertreibung ist).

Vor urigen Gaststätten wie dem Bauernhofcafé In’t Hürhus bei Emsbüren stehen große Fuhrparks: Kinder- und Erwachsenenfahrräder, Rennräder, E- und Mountainbikes. Im schattigen Garten servieren die Frauen der Bauersfamilie Hulsmeier schmack- und nahrhafte Speisen von der „Radfahrerkarte“: Pfannkuchen mit Hackfleischfüllung etwa oder Schnitzel mit Speck, Pilzen, Brot. Alles frisch und selbst hergestellt, natürlich auch das Brot. Und alles für unter zehn Euro pro Teller. Wobei die Preise im Emsland uns generell recht günstig erscheinen und die Teller sehr voll beladen sind.

Aber wir bewegen uns ja viel, also können wir ordentlich reinhauen, um dann wieder loszuradeln, am Fluss entlang, zwischen Feldern und Wiesen, durch picobello Dörfer… Eintönig? Ja, und dabei auf eine ganz eigene Weise eindrucksvoll.

"Ölnicker" nennen die Einheimischen die Ölpumpen

Trotzdem darf auch ein wenig Abwechslung sein, die wir uns etwa auf dem „Moor-Energie-Erlebnispfad“ zwischen Twist und Geeste holen. Erdgas und -öl werden hier gefördert, Moor ergänzt die Wiesen- und Flusslandschaft, und an ganz langsam, rhythmisch sich wiegenden Ölpumpen vorbeizufahren – die Einheimischen nennen sie „Ölnicker“ –, das hat schon was. Texasfeeling im durchaus braven Westen Deutschlands.

„Aber nicht immer nur radeln!“, hatten Freunde uns dringend geraten. „Wenn ihr ins Emsland reist, müsst ihr unbedingt die Kunsthalle Emden besuchen!“ Ein Rat, den wir nicht befolgen, denn Emden liegt schließlich an der Mündung der Ems in Ostfriesland und damit doch zu weit entfernt für uns.

Nicht wenige Menschen denken, das Emsland sei ein Teil Ostfrieslands, aber weit gefehlt: Der Landkreis Emsland grenzt im Norden an Ostfriesland und zieht sich entlang der niederländischen Grenze. Mit 2880 Quadratkilometern ist er übrigens der größte Landkreis Westdeutschlands, deutlich größer auch als das Saarland. Topografisch ähneln Ostfries- und Emsland einander, in anderer Hinsicht unterscheiden sie sich sehr. Vor allem in Bezug auf die zwei K: Die Emsländer sind politisch mehrheitlich konservativ, und sie sind katholisch, beides zutiefst.

Großsteingräber wie dieses sind im Emsland keine Seltenheit.
Großsteingräber wie dieses sind im Emsland keine Seltenheit.

© Hartwig Wachsmann

Mariengrotten auf flacher Flur

Daran müssen sich viele Urlaubr aus anderen Regionen Deutschlands erst mal gewöhnen: Kein Hügel weit und breit, geschweige denn Berge. Dafür allerdings Flurkreuze an fast allen Wegen, Mariengrotten auf flacher Flur, riesige Kruzifixe vor Bauernhöfen.

Der Bauer jedoch, der nun zu uns herüberschaut, grüßt mit einem langgezogenen „Moin“. So gehört es sich hier, das wissen wir inzwischen, dennoch wäre uns verträumten Touristen angesichts des wuchtigen Kultbildes beinahe ein „Grüß Gott“ heraugerutscht. Oder wie wäre es mit „Moin Gott“? So scherzen wir später und kommen dabei zu dem Schluss, dass es eigentlich eine nette, herzliche Begrüßung im Emsland wäre. Nur trauen wir uns nicht so recht, sie auszuprobieren.

Das Königsgrab liegt in schummrigem Licht

Einparken leicht gemacht. Sichere Abstellboxen nehmen Fahrräder samt Gepäck auf. Sie stehen an vielen Sehenswürdigkeiten im Emsland
Einparken leicht gemacht. Sichere Abstellboxen nehmen Fahrräder samt Gepäck auf. Sie stehen an vielen Sehenswürdigkeiten im Emsland

© Nele-;arie Brüdgam

Im Vergleich zu den wuchtigen religiösen Denkmälern kommen die historischen Sehenswürdigkeiten, die uns am Wegesrand begegnen, mit fast schon übertriebener Bescheidenheit daher. Wie die Hünengräber, die mit rund 3500 Jahren immerhin älter sind als die Pyramiden von Gizeh. Zur Besichtigung der – wen wunderts’s? – sehr gepflegten Anlagen müssen wir weder Eintritt zahlen noch Abstand halten noch Menschenmassen ertragen. Wir sind die einzigen Besucher.

Das „Königsgrab“ bei Groß Berßen, nordöstlich von Meppen, liegt in schummrigem Licht, von dichtem Wald umgeben. Es misst 24 mal 12 Meter. Und dann ist da etwas, das sich schwer in Worte fassen lässt – wie in Gizeh. „Aura“ klingt albern, aber so ungefähr trifft es das schon.

Freiwillige vielerorts tragende Rollen

Wenige Kilometer weiter schauen wir uns die Hüvener Mühle an, die sowohl mit Wind- als auch mit Wasserkraft betrieben werden kann. „Als einzige Mühle dieser Art in Europa ist sie voll funktionsfähig“, erklärt Gästeführer Klaus Hannok. Gemeinsam mit 30 weiteren Ehrenamtlichen betreut er das historische Kleinod.

So wie hier spielen Freiwillige vielerorts im Emsland tragende Rollen. Weil es an Geld für Profis mangelt? Nein, wohl eher, weil Rentner und andere Menschen mit viel Zeit gern schöne, sinnvolle Ehrenämter ausüben. Wer im Emsland einer Erwerbstätigkeit nachgehen will, muss ja meist nicht lange suchen. Gerade mal drei Prozent beträgt die Arbeitslosenquote – zahlreichen florierenden mittelständischen Betrieben sei Dank.

Muss man sich als Fahrradtourist für so was interessieren? Natürlich nicht. Aber wir finden es gut zu wissen, wie er sich erklärt, der überall spürbare Wohlstand, sei es in Form von Immobilienbesitz oder von intakten Fahrradwegen. Und die werden wir gerne wieder nutzen.

Tipps fürs Emsland: Wer absteigt, kann was erleben.

Pause im Bauernhofcafé
Pause im Bauernhofcafé

© Nele-Marie Brüdgam

ANREISE

Mit IC und RE ab Berlin über Rheine in viereinhalb Stunden nach Meppen.

ÜBERNACHTEN

Zentral und komfortabel: Parkhotel ( Telefon: 059 31 / 979 00, Internet: parkhotel-meppen.de), Doppelzimmer ab 85 Euro inklusive Frühstücksbüfett, Fahrradgarage, -werkstatt sowie Fitness- und Sauna.

Für Familien: Gut Landegge – Familotel in Haren (Telefon: 059 32 / 12 21, Internet: gutlandegge.de), große Ferienanlage mit Wasserschloss, Reitschule, Sport- und Spielanlagen und Streichelzoo. Apartment für zwei Erwachsene und zwei Kinder ab etwa 210 Euro mit Halbpension

ESSEN UND TRINKEN

Urig: Bauernhofcafé In’t Hürhus, Emsbüren (Telefon: 059 03 / 65 60, Internet: bauernhofcafe-ems bueren.de); direkt an den Radwanderwegen Emsland Route und Ems-Hase-Tour gelegen. Montags Ruhetag

ERLEBEN

Emsland Moormuseum, Geeste/Groß Hesepe (Telefon: 059 37 / 70 99 90, Internet: moormuseum.de);

Schloss Clemenswerth in Sögel (Telefonnummer: 05952/932325, Internet: clemenswerth.de); barockes Jagdschloss des Kurfürsten Clemens August in sternförmiger Parkanlage.

Hüvener Mühle (Telefon: 059 64 / 95 97 00, Internet: huevener-muehle.de); voll funktionsfähige kombinierte Wind- und Wassermühle, deren Ursprünge fast 500 Jahre zurückliegen. Jeden zweiten Sonntag im Monat wird Getreide gemahlen (Winterpause November bis März).

RADELN

Das Radwegenetz ist sehr gut ausgebaut und beschildert, es gibt Gepäcktransporte, Fahrradbusse, abschließbare Fahrradboxen, zahlreiche Fahrrad- und E-Bike-Verleihe und -Werkstätten, barrierefreie Routen für Handbiker, gutes Kartenmaterial. Auskunft: siehe unten

AUSKUNFT

Emsland Touristik, Telefon: 05931 44 22 66, Internet: emsland.com

Nele-Marie Brüdgam

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