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Schilder, wie dieses an der B1, zeigen, wann die Grenzbefestigungen jeweils beseitigt wurden.

© Hella Kaiser

Helmstedt: Ausfahrt zur magischen Quelle

Helmstedt-Marienborn, der alte Grenzübergang. An beiden Orten düsen viele vorbei auf der A 2. Schade, anhalten lohnt.

Wo liegt Helmstedt? Auf diese Frage, so sagt Stadtführerin Almut Viedt lächelnd, hätten viele nur einen Reim als Antwort: "An Helmstedt fährt man vorbei auf der A 2." Wer kommt, ist meist zufällig da. So wie die Feuerwehrmänner aus Holland, die unlängst ein lustiges Wochenende in Berlin verleben wollten. "Die planten bei uns ihre Mittagspause mit Stadtführung, weil Helmstedt ungefähr in der Mitte ihrer Strecke lag", ergänzt Viedts Kollegin Dorothea Minkley. Aber wenn die Gäste erst mal am Ort seien, staunten sie. "99 von 100 sind begeistert über das, was wir hier zu bieten haben", sagen die Stadtführerinnen.

Helmstedt hatte es schwer während der deutschen Teilung. Die meisten verbanden mit der Stadt nur den Grenzübergang Helmstedt-Marienborn. "Es war kein geeigneter Ort für den Tourismus", erklärt Almut Viedt. "Man konnte die Umgebung ja nur in westlicher Richtung erkunden." Die Stadt kam auch ohne Gäste aus. Bis 1990 wurden ihre Kassen durch die Zonenrandförderung zuverlässig aufgefüllt. Während in Westdeutschland in den 60er, 70er Jahren viel alte Bausubstanz Neuem weichen musste, blieb in Helmstedt das meiste einfach stehen. Die Stadt hatte die Modernisierungswelle irgendwie verschlafen. "Ein Glück", sagen Viedt und Minkley. Denn nun können sie mit Besuchern durch eine Altstadt bummeln, die noch 400 Fachwerkhäuser vorweisen kann.

Das prunkvollste steht am Markt. Das ehemalige Hoflager von Herzog Julius von Braunschweig war 1567 erbaut worden, zehn Jahre bevor der Herzog hier, an der Ostgrenze seines Reiches, eine Universität gründete. Zahlreich zogen Professoren in die Stadt, deren ehrwürdige Häuser zum Teil erhalten sind. Man erkennt sie an den großen Toreinfahrten, denn die Gelehrten wollten schließlich nicht zu Fuß gehen, sondern standesgemäß mit der Kutsche ankommen.

Allein in den ersten 60 Jahren nach der Universitätsgründung sollen 15 000 Studenten an der "Academia Julia" eingeschrieben gewesen sein. 1730 dann wurde die Universität in Göttingen gegründet, und Helmstedt versank in der Bedeutungslosigkeit. Das ochsenblutrote Universitätsgebäude mit dem imposanten Turm steht noch, prächtig restauriert. Nebenan sind 30 000 wertvolle alte Bücher in einer Bibliothek katalogisiert.

25 000 Menschen leben heute im beschaulichen Helmstedt. Richtig was los war hier nur am Wochenende nach der Grenzöffnung im November 1989. "Da wurde im Rathaus Katastrophenalarm ausgelöst", erinnert sich Almut Viedt. Etwa 60 000 DDR-Bürger waren herbeigeströmt, um ihre 100 D-Mark Begrüßungsgeld abzuholen. "Gut für die Stadt, denn das Geld wurde zum großen Teil gleich wieder bei uns ausgegeben", sagt Dorothea Minkley. Den kleinen Bankfilialen drohten die Scheine auszugehen, Aldi habe zwischenzeitlich immer wieder mal schließen müssen, um die Regale neu zu bestücken.

Aber die Helmstedter waren auch neugierig auf "die andere Seite". Almut Viedt sagt: "Wir hatten immer nur die Schornsteine in Harbke rauchen sehen, nun konnten wir einfach mit dem Fahrrad hinfahren." Die Helmstedterin radelte auch ins neun Kilometer entfernte Marienborn. "Das war die Entdeckung überhaupt", sagt sie. "Es heißt, dass es der älteste Wallfahrtsort Deutschlands ist, aber ich hatte zuvor nie davon gehört."

Marienborn war nicht nur der eine Teil vom Checkpoint Alpha, sondern ein stilles Dorf am Lappwald. Sperrgebiet. Wer hier zu DDR-Zeiten wohnte, hatte einen Sonderausweis, Besucher brauchten eine Genehmigung. "24 Stunden wurden gewährt, mehr nicht", sagt Erika Kiwitt. Heute führt die ehemalige Buchhalterin angemeldete Besucher ehrenamtlich durchs Klostergelände. Zu Beginn schließt sie immer die Kirche auf - und zeigt die Schätze. "Da ist das Vesperbild mit Maria, im Arm den toten Jesus von 1430, original", sagt sie, "und dort, das Kreuz an der Nordwand, entstanden um 1500, original." Auch berührende, spätgotische Schnitzaltäre haben die Zeiten nahezu unbeschadet überstanden.

Wundersam ist die Geschichte um Marienborn ohnehin. Im tiefsten Mittelalter war es unwirtlich in der waldreichen Senke nahe der Aller. Räuberisches Gesindel soll sich hier herumgetrieben haben, und wer eben konnte, machte einen Bogen um Mordthal, wie man die Gegend nannte. Einem Schäfer, der seine Tiere dort weidete, soll eines Tages an einer Quelle die Jungfrau Maria erschienen sein. Später haben andere Hirten ihr Vieh an diese Quelle zum Tränken geführt. Doch obwohl die Tiere durstig waren, wichen sie vor dem Wasser zurück und tranken es nicht. "Da wusste man, dass es nur für Menschen bestimmt war, es war heilig", erklärt Erika Kiwitt.

Eine Kapelle wurde an dieser Stelle errichtet, 1191 kam ein Kloster dazu. Aus Mordthal war Marienborn geworden. Das Kloster ist zu Teilen erhalten, auch der Klostergang ist noch da. Zu DDR-Zeiten hatte man die Gebäude ihrem Schicksal überlassen. "Kirche war nicht verboten, aber auch nicht erwünscht", sagt Erika Kiwitt, und das sei irgendwie doch aufs Gleiche hinausgekommen. Nässe steckt noch immer in den Mauern des Gotteshauses, Flecken zeugen davon, dass es auch hereingeregnet haben muss. Inzwischen gibt es immerhin ein neues Fenster, eine einbruchssichere Tür und eine elektrische Orgel, nach und nach bezahlt aus privaten Spenden. "Es geht sehr langsam voran, aber man muss sich auch über kleine Schritte freuen", sagt die Marienbornerin.

Ab und zu treffen jetzt wieder Pilger ein. Machen Halt auf dieser Station des regionalen Jakobsweges, an den man sich erst unlängst wieder erinnert hat. Die Quelle in der notdürftig restaurierten Kapelle unten im Park sprudelt wieder, seit sie im Jahre 2000 gesäubert worden ist. Manchmal kommen nun auch Kranke, um von dem Wasser zu trinken, erzählt Erika Kiwitt. "Ich weiß, dass es meinen Krebs nicht heilen wird", sagte ihr neulich ein Mann, "aber ich fühle mich doch gestärkt hinterher." Könnte man das Wasser nicht in Flaschen abfüllen und verkaufen? Erika Kiwitt schaut entsetzt. "Natürlich nicht", sagt sie, "es ist doch heilig. Wenn man es verkauft, liegt kein Segen mehr drauf."

531 Bewohner leben in Marienborn. Friedlich wirkt das Dorf. Selten fährt ein Auto auf der Hauptstraße vorbei, an diesem Montagvormittag. Eine Arbeitskolonne in orangefarbenen Westen ist soeben dabei, die Wege im kleinen Park zu harken. Ein-Euro-Jobber, die später unter der Trauerweide an der Kirche ihre Wurstbrote auspacken. "Früher gab es genügend Arbeit, viele waren bei der Bahn oder am Grenzübergang beschäftigt", sagt Erika Kiwitt. Die Abfertigungsgebäude, Wachtürme und Kontrollhäuschen sind stehengeblieben für die 1996 eingerichtete "Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn". Der Alltag an der Grenze ist detailliert dokumentiert in einem Zentrum auf dem Gelände, doch vom Dorf Marienborn erfährt man wenig. Dabei war es quicklebendig. "Wir hatten zwei Bäcker, einen Fleischer und ein Textilgeschäft", zählt sie auf. Heute ist alles dicht. Früher habe man in der Gemeinschaft gelebt. "Man gratulierte sich übern Gartenzaun zum Geburtstag, man unterhielt sich und wusste, wenn jemand krank war", sagte die Marienbornerin. Heute zähle bei allen nur noch das Geld. Auch Familien "von drüben" seien hergezogen, das Bauland sei eben billig gewesen. Aber diese Leute führen morgens zur Arbeit und kämen abends wieder heim, da hätte man keinen Kontakt.

Immerhin, eine Gaststätte gibt es noch im Ort: die Jägerklause. "Da schicke ich Besucher hin, die nach einer Einkehr fragen", sagt Erika Kiwitt und ergänzt: "Ein bisschen Geld kann ja auch in Marienborn bleiben." Am Wochenende werden es Besucher vielleicht auch im Café Antik los. Unter der Woche ist es geschlossen, "dann lohnt sich der Betrieb auch nicht", sagt Erika Kiwitt. Selten kämen Touristen vorbei. So trist und bizarr das Mobiliar des Cafés, ist der Zustand des Gebäudes, in dem es sich befindet. Die Orangerie, Überbleibsel des Schlosses, das bereits 1889 abgerissen wurde, ist ein Schinkelbau. Doch seine einstige Anmut ist nur noch schemenhaft zu erkennen. Eine Seite wurde mit einer Betonwand verstärkt, über die bröckelnde Ruine hat man ein Blechdach gestülpt.

Das geschichtsträchtige Marienborn könnte mit Fug und Recht auf sich aufmerksam machen. Im nahen Wald gibt es zahlreiche Wanderwege, ein uraltes Sühnekreuz ist zu bestaunen, sogar eine echte "Räuberhöhle". Aber niemand scheint hier ein touristisches Konzept zu haben. Und so dämmert Marienborn weiter dahin, im 20. Jahr der Einheit.

Helmstedt ist ein bisschen munterer. Die Stadtinformation sitzt in einem restaurierten Fachwerkhaus am Markt von 1491. "Damals war Amerika noch nicht entdeckt, da ist Kolumbus gerade losgesegelt", sagt Almuth Viedt begeistert. Wann könne man schon mal so ein Haus von innen besichtigen? Achtzig Farbschichten wurden freigelegt, die Erweiterung des Hauses über die Jahrhunderte kann man nun nachverfolgen und verzierte Holzbalken verschiedener Epochen bestaunen. Draußen vor der Tür geht es sehr ruhig zu. Hunderte Jahre zuvor aber muss es vor Händlern nur so gewimmelt haben. Denn hier am Markt kreuzten sich die alte Salzstraße und die Reichsstraße Nr. 1.

Auch Helmstedt indes müht sich noch mit dem Tourismus. Zu viele Besucher zur selben Zeit überfordern die Stadt, erst recht, wenn sie in Gruppen nahen. "Wenn zwei Busse gleichzeitig kommen und die Leute auch noch unangemeldet Mittagessen wollen, haben wir ein Problem", sagt Dorothea Minkley. Es gebe zwar einige Restaurants, aber die seien meist nur klein. Wer nach 14 Uhr noch speisen will, hat eher Pech. "Dann ist hier Schicht", sagen die Stadtführerinnen.

Das dürfte auch für die Jägerklause in Marienborn gelten. Und so ist trefflich zusammengewachsen, was zusammenpasst. Die stille Region ist sich treu geblieben und trotzt den Veränderungen. Touristen sind willkommen. Aber man kommt auch ohne sie aus.
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TIPPS FÜR HELMSTEDT-MARIENBORN //

Des Herzogs Uni - prächtig restauriert

ANREISE

Wer sich nur Helmstedt anschauen möchte, reist gut mit der Bahn. Die Fahrt dauert rund zwei Stunden, Ticket ab 34 Euro pro Strecke. Wer auch die Umgebung mit Marienborn entdecken will, sollte lieber mit dem Auto kommen, auch wenn Marienborn Haltepunkt an die Regionalbahnstrecke zwischen Magdeburg und Braunschweig ist.

TOUR GRENZENLOS

Die begleitete Fahrt führt zu ehemaligen Grenzeinrichtungen der Region. Besucht werden dabei das Zonengrenz-Museum, das Grenzdenkmal Hötens leben (größte und besterhaltene Grenzanlage in Deutschland) sowie der ehemalige Übergang Helmstedt-Marienborn. Die Fahrt findet an jedem letzten Sonnabend im Monat statt, in diesem Jahr nur noch im Oktober, wieder ab Mai 2011. Dauer: 3,5 Stunden, Preis: zehn Euro pro Person. Infos und Buchung: Grenzenlos - Wege zum Nachbarn e. V., Kontakt: 053 51 /17 77 77, www.grenzdenkmaeler.de

ZONENGRENZ-MUSEUM Helmstedt, Südertor 6, Telefon: 053 51/121 11 33, Eintritt frei

UNTERKUNFT

Zentral: Parkhotel Helmstedt, Albrechtstraße 1, Telefon:053 51 / 54 48 80, www.parkhotel-helmstedt . de; Doppelzimmer mit Frühstück 70 Euro

AUSKUNFT

Helmstedt, Info am Markt, Markt 7/8, Telefon: 053 51 /39 90 95, www.stadt-helmstedt.de

Förderverein Wallfahrtsort Marienborn, Telefon: 03 94 00 / 30 31, Internet: www.wallfahrtsort-marien born.de; Führungen können vereinbart werden unter der Telefonnummer: 03 94 00/21 69

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