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Matthias, Herr des Pistenbullys. Manchmal haben auch Gäste die Gelegenheit, das Monster am Berg zu bewegen. Unter strenger Aufsicht natürlich.

© Penzl

Montafon: Raupen müssen fleißig sein

Fünf Skigebiete gehören zum Montafon und bieten Brettlspaß für Anfänger und Könner. Hauptsache, die Pisten sind tipptopp.

Wie soll das Monster denn funktionieren? „Keine Sorge“, sagt Matthias grinsend, „der Pistenbully ist von der harmlosen Art. Damit präparieren wir nur sanfte Hänge. Schwarze Pisten sind für ihn tabu.“ Um es kurz zu machen: Ich glaube dem Mitarbeiter der Silvretta-Montafon-Bergbahnen kein Wort. Zwar zählt seine weiß lackierte Bergziege nicht gerade zu den Hypermaschinen ihrer Art, aber schon der Blick durch die Panoramascheibe auf die schlappe Familienabfahrt „Madrisella“ lässt mir den Atem stocken. Doch ganz schön steil. „Der Hebel“, Matthias deutet auf den Joystick rechts neben dem Fahrersitz, „steuert Fräse und Schaufel, der Halbkranz ist das Lenkrad, und das Gaspedal ist wie beim Auto unten.“

Ich starte das Raupenmonster, der 320 PS starke Turbodiesel faucht los und die eineinhalb Meter breiten Kettenstege fressen sich in den Schnee. Allen Befürchtungen zum Trotz fährt der Achttonner wie auf Schienen. Nichts scheint ihn aus der Fassung zu bringen. Ich werde mutiger, gebe Gas, Matthias koordiniert Schubtiefe und Anstellwinkel der Schaufel, reguliert den Andruck der Fräse und nach einer halben Stunde ist die Familienabfahrt so glatt und perfekt wie ein Kinderpopo. Geht doch.

Doch jetzt setzt sich Matthias auf den Fahrersitz, jagt den Bully die steile schwarze (!) Nova-Piste hinauf, dreht um wie auf einem Bierdeckel, rattert an die Abrisskante des Steilhangs und zeigt auf den 4-Punkt-Sicherheitsgurt hinter meinem Sitz. „Anschnallen“, mahnt er, „sonst purzelst du gleich durch die Scheibe.“

Der Winterurlauber will mehr als Brettlspaß

„Perfekt gepflegte Pisten sind das Aushängeschild des Montafons. Pfuscht auch nur einer unserer Mitarbeiter, geben die Gäste ihr Geld im nächsten Winter woanders aus“, sagt Manuel Bitschnau. Natürlich weiß der Geschäftsführer von Montafon Tourismus, dass Pistenraupen und Schneekanonen kein Garant für klingelnde Kassen sind.

Der Winterurlauber will mehr als nur Brettlspaß, getreu dem Motto „Raus aus dem Grau der Großstädte, rein in die weißen Berge“ sehnt sich der moderne Pistenmensch nach nostalgischer Alm-Idylle, gepaart mit Service und Verwöhnoasen. Diesem Anspruch will das Montafon gerecht werden. „Wir sind ein 39 Kilometer langes Tal. Die Berge hier sind keine Mount Everests, unsere Pisten beginnen in der Regel auf rund 2000 Meter Höhe. Doch mit fünf Skigebieten und 218 Pistenkilometern werden wir jedem Geschmack und Anspruch gerecht“, sagt Bitschnau.

Der Brettlspaß beginnt einen Schneeballwurf hinter Bludenz und dem nahen St. Anton. Der Hausberg Golm ist wenige Bus- oder Autominuten vom Zentrum der beiden Örtchen entfernt. Dort locken 36 Pistenkilometer, die meisten sind rot-blaue Sahnehänge; auf durchtrainierte Könner warten neben der rabenschwarzen „Diabolo“-Piste eine Weltcupabfahrt, Skirouten und die über 1460 Höhenmeter führende Talabfahrt.

Jeder Skischuh sitzt perfekt

Touristischer Dreh- und Angelpunkt des Montafons sind Schruns und Tschagguns. Über die Hausbahnen Hochjoch und Zameg gondeln ambitionierte Skifahrer bis zum 2422 Meter hohen Alpilagrat und werden dort mit sonnigem Schönfahrspaß sowie einer Talabfahrt über 1700 Höhenmeter belohnt.

Schruns selbst besitzt einen Liliputbahnhof mit Gleisanschluss nach Bludenz, ein historisches Zentrum, ein paar schöne Läden, gediegene Hotels, Pensionen und Restaurants sowie das Schuhhaus Sander. Herr über die Mode-, Sport- und Skischuhe dort ist Richard Sander. „Bei mir wird jeder Skischuh individuell angepasst“, erzählt der 55-Jährige. „Wir bohren, drehen und fräsen, fertigen Einlagen auf Maß an und schäumen Außenschalen. Für jeden Fuß haben wir eine Lösung.“

Schon sein Vater und Großvater bewarben den perfekt sitzenden Schuh als Krönung des handwerklichen Tuns. „Papas Schusterkunst war weit über das Montafon hinaus bekannt. Vor allem im Sommer fuhren dicke schwarze Limousinen vor, berühmte Leute stiegen aus und ließen sich von ihm neue Wanderschuhe machen. Karajan und Helmut Kohl waren auch dabei“, sagt Richard Sander.

Sieben Kilometer taleinwärts, kurz vor St. Gallenkirch, zweigt eine kleine Straße rechts ab. Nach neun Kilometern Serpentinen grüßt das Ortsschild von Gargellen. Das verträumte Örtchen auf 1423 Metern ist das höchstgelegene touristisch erschlossene Bergdorf des Montafons, kann auf 34 Abfahrtkilometer verweisen, bietet reichlich Sonne und gilt als Dorado für Skitourengeher. Hohe Schneesicherheit ist selbstverständlich, Durchgangsverkehr gibt es nicht und wer will, kommt mit den Latten nicht nur nach Klosters in der Schweiz (und mit dem Bus wieder zurück), sondern in der Regel auch bis zur eigenen Hoteltür.

Punkt 7 Uhr 20: Zeit für "Ländle Früah Sport"

Apropos Ski: St. Anton, Gaschurn und die Streusiedlung Kristberg sind in Sachen Brettl-Kilometer keineswegs die Schwergewichte. Die sportlichste Visitenkarte der Tals, das Skigebiet Silvretta Montafon, zählt mit 140 Pistenkilometern zu den Top Ten der österreichischen Wintersportziele. Zwischen St. Gallenkirch und Gaschurn bringen drei Gondelbahnen die Powderfans ins kristalline Glück. Zu den vornehmlich roten und schwarzen Pisten dort kommen Buckel-, Freeride- und schwarze Harakirihänge, preiswerte Restaurants – und der viel gerühmte „Ländle Früah Sport“.

Jeden Freitag Punkt 7 Uhr 20 trifft sich dazu ein Trupp Frühsportler an der Talstation der Versettla-Bahn, liftelt bei blasser Morgensonne auf 2000 Meter Höhe und lässt sich auf den (von Matthias?) frisch präparierten Pisten den Kopf freipusten. Wenn Otto Normalurlauber zwei Stunden später auf Kurvenpirsch geht, mundet den frühen Vögeln bereits das kernige Almfrühstück im Bergrestaurant.

Während sich auf den Bergen das Skikarussell dreht, setzt Pfarrer Joe Egle unten im Tal in Gaschurn eine Kräutermaische an. Der fromme Mann ist eine Art seelsorgerisches Allroundtalent; am Sonntag steht er auf der Kanzel, in der Woche ist er als Wanderführer, Bergretter oder Skilehrer unterwegs.

Auch hat er sich der Heilkraft der Kräuter, Beeren und Blüten verschrieben. „Früher waren die Klostergärten so etwas wie die Apotheke der armen Leute“, sagt er. Dann kam die Pharmaindustrie und verdrängte die Heilpflanzen. „Heute sind sie als sanfte Alternative zur Schulmedizin wieder en vogue.“ Pfarrer Egli liegt somit im Trend. Er vermittelt nicht nur das alte Wissen über die Wirkung der Pflanzen, er brennt auch pro Jahr (selbstredend steuerehrlich) rund 800 Liter Kräuterelixier und verkauft seine hochprozentige Liebeserklärung an die Natur im Pfarrhaus. Der Gewinn fließt in ein Hilfsprojekt in Brasilien.

1926 kam Hemingway - in Begleitung von zwei Damen

Ein paar Meter von seinem Brennkessel entfernt gibt sich das Posthotel „Rössle“ die Ehre. In seiner 200-jährigen Geschichte hat das heutige Vier-Sterne-Haus schon manch exotischen Gast kommen und gehen sehen. Per Zufall fiel den Besitzern irgendwann einmal ein Buch über Ernest Hemingway und seine Reisen nach Schruns in die Hände. Sie schauten einmal, schauten zweimal und entdeckten auf einem Foto die Fassade ihres Vorgängerhotels.

Flugs durchwühlten sie das Archiv und siehe da, am 12. März 1926 hatte sich Ernest Hemingway in Begleitung von zwei Frauen und anderen Kollegen ins Gästebuch eingetragen. „Unglaublich, dass er die Zimmer für die Damen damals ohne Trauschein bekam“, sagt die heutige Chefin Gaby Kessler amüsiert. Darüber, wie (und mit wem ... ) der spätere Literaturnobelpreisträger die Nächte im „Rössle“ verbrachte, schweigt die Chronik. Wahrlich euphorisch dagegen ist das Tagewerk des Schriftstellers beschrieben. Hemingway, so heißt es, war von der Preiswürdigkeit des Montafons, dem guten Essen, den Kirsch- und Enzianschnäpsen und – man höre und staune – dem Skigebiet begeistert.

Auf der Bielerhöhe, also im fünften Skigebiet des Montafons, dort, wo heute die Silvretta-Hochalpenstraße ihre Kurven in die Berge zeichnet und die weiße Stille des Winters für Tourengänger zum Suchterlebnis wird, legte er mit Fellen unter den Latten die Spuren für seine spätere Kurzgeschichte „Schnee auf dem Kilimandscharo“. Als „großartig, hoch und unvorstellbar weiß in der Sonne“ hatte Hemingway darin den höchsten Berg Afrikas beschrieben. Wer weiß, ob es in Wirklichkeit nicht das Vorzeigestück der Silvretta, der 3312 Meter hohe Piz Buin, war.

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