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Musikfestival: Virtuos wie der Sommer

Kühne Konzeption: Warum das Musikfestival im niederösterreichischen Grafenegg so anziehend ist.

Der Weg zum Schloss Grafenegg endet für die meisten Besucher bereits kurz hinterm Wiener Tor. Tückisch wie eine Prafümabteilung im Kaufhaus ist hier nämlich das Café Mörwald positioniert. Eine echte Prüfung ist das, die nur wenige bestehen – Kaffeeduft steigt in die Nase, Obstkuchen mit Sahne lockt. Sitzt man dann an einem der Tische unter den alten Bäumen, geht der Blick unwillkürlich gen Westen, wo der mächtige Turm des Schlosses die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Der Bau, den er stolz überragt, ist ein echtes Märchenschloss im Tudor-Stil.

1971 begann Franz Albrecht Metternich-Sándor, der damalige Hausherr, in Grafenegg Kultur zu präsentieren. Platz war schließlich genug, hatte die sowjetische Besatzung bei ihrem Abzug am Ende des Zweiten Weltkrieges doch fast das gesamte Mobiliar und sogar alle Bücher aus der Bibliothek mitgenommen. Tassilo Metternich-Sándor, Franz Albrechts Sohn, startete dann vor zehn Jahren mit Erwin Pröll, dem Landeshauptmann Niederösterreichs, eine Public Private Partnership. Metternich stellte sein Anwesen zur Verfügung, das Land Niederösterreich rekonstruierte ihm dafür aufwendig den englischen Landschaftsgarten und fügte ein modernes Pendant zum Schlossturm hinzu: den Wolkentum. Ein in kühner Architektur sich in den Himmel schraubender Musikpavillon, geeignet für große Sinfoniekonzerte vor 1700 Gästen unterm Sternenhimmel.

2007 wurde die Open-Air-Spielstätte eröffnet, ein Jahr später konnte in Sichtweite ein nagelneues Konzerthaus mit knapp 1300 Plätzen eingeweiht werden. Der große Saal in klassischer Schuhschachtel-Architektur besticht innen mit rot-violetter Bestuhlung und leicht kühler Raumgliederung und ist außen von glänzender Bronze ummantelt. Durch die große Glaswand des Eingangsbereichs scheint nachts warmes Licht nach draußen, so dass man auf weiß gekieselten Wegen seinen Weg nach Hause – oder in die benachbarte Vinothek – gut finden kann. Duftende Bäume und Blumen, das Zwitschern der Vögel vor und das Zirpen der Grillen nach dem Konzert – das macht Grafenegg zur Sinfonie der Sinne.

Hier wurde nicht gekleckert, sondern geklotzt. Fußend auf dem politischen Willen, Niederösterreich als internationales Reiseziel zu etablieren, wurde ein Masterplan ausgearbeitet, der Vorhandenes mit Zukünftigem verbinden will. Unter dem Dach der Niederösterreichischen Kulturwirtschaft GmbH (Nöku) wurden nicht weniger als zwölf Veranstaltungs- und Ausstellungsbetriebe zusammengefasst, die künstlerisch zwar selbstständig arbeiten, hinsichtlich Finanzierung, Vermarktung und Verwaltung aber in die Holding- Strukturen der Nöku eingegliedert sind. Neben dem Landestheater Niederösterreich und dem Theater Baden gehören die Österreichische Filmgalerie, die Kunstmeile Krems, der Archäologische Park Carnuntum, das Niederösterreichische Tonkünstlerorchester und Grafenegg dazu.

In Grafenegg gastieren – wenn die Tonkünstler Pause machen – die feinsten Orchester der Welt. In diesem Jahr zum Beispiel das Cleveland Orchestra, das Concertgebouworkest Amsterdam, das Mariinsky-Orchester St. Petersburg, die Staatskapelle Dresden, das Orchestre National de France oder die Wiener Philharmoniker.

Den Klassikfreunden der österreichischen Hauptstadt gefällt’s. Wenn im Sommer Staatsoper und Volksoper, Musikverein und Konzerthaus geschlossen sind, kommen die Gäste gern nach Grafenegg. Schließlich ist es von Wien nicht weit, zumal ein Shuttlebus die Anfahrt erleichtert. Und – für auswärtige Kulturliebhaber gut zu wissen – auch der Flughafen Wien liegt nur eine knappe Autostunde entfernt.

Der Musiksommer Grafenegg startet am 17. Juni und endet am 14. August. Programminformationen und Karten unter der Telefonnummer 0043/27 35 55 00 sowie im Internet unter www.grafenegg.at

Ulrich Ruhnke

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